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Mittellos vor der blauen Wand
Die deutschen Fußballern verlieren ihr Auftaktspiel, wollen aber nicht viel ändern
Joachim Löw hatte sich auf die wiederkehrenden Fragen zur Dreierkette und Joshua Kimmich auf der ungeliebten rechten Seite vorbereiten können, schließlich beantwortet er sie schon seit Wochen. Dass das Thema nach der 0:1-Niederlage gegen Weltmeister Frankreich am Dienstagabend in der Münchner Arena erneut aufkam, lag vor allem am größten Makel im Spiel der deutschen Nationalmannschaft. Bei ihrem Auftakt in die EM hatte sie zwar häufig den Ball, in ernsthafte Bedrängnis brachte sie die Franzosen mit ihrer vermeintlichen Dominanz aber kaum. Ein Volleyschuss von Serge Gnabry aufs Tor in der 54. Minute - das war’s schon an nennenswerter Torgefahr, trotz Rückkehrer Thomas Müller und Champions-League-Sieger Kai Havertz. Stattdessen hatte nur der andere Rückkehrer, Mats Hummels, bei einer verunglückten Rettungsaktion mit dem Schienbein ins eigene Tor getroffen (20.).
Löw beklagte durchaus die fehlende »Durchschlagskraft« zu Beginn seines letzten Turniers nach 15 Jahren als Bundestrainer. Systematische Veränderungen erwägt er für das kommende Gruppenspiel gegen den ebenfalls sehr gefährlichen Europameister Portugal am Sonnabend aber offensichtlich nicht. Das ließ jedenfalls sein Kurzreferat erahnen, in dem es um seine 3-4-3-Formation ging. »Wir hatten nur drei Verteidiger, mit Gündogan und Kroos zwei offensiv ausgerichtete Mittelfeldspieler, die mehr in ihrer Spielanlage in die Offensive gehen«, erklärte Löw, »mit Havertz, Müller und Gnabry hatten wir drei Offensive, die aus dem Zentrum agieren, dazu zwei offensive Außenpositionen. Wir haben genug Offensivkräfte auf dem Platz gehabt.« Ähnlich hatte Löw auch schon in der Vorbereitung argumentiert, als er seine Dreierkette gegen den Vorwurf verteidigte, für diese eine Kreativposition in der Offensive zu opfern.
Es war eine kleine Basta-Rede, die die Außenspieler Robin Gosens und Joshua Kimmich einschloss. Beide sollten die Dreierkette bei Frankreichs Vorstößen unterstützen und bei eigenem Ballbesitz offensiv Druck über die Flügel erzeugen. Was in der Theorie schlüssig klang, entpuppte sich gegen Didier Deschamps abgeklärte Weltmeister-Elf aber als wenig wirkungsvoll - in beide Richtungen.
Mehrfach konterte Frankreich die deutsche Elf aus, die durchaus mehr als ein Gegentor hätte kassieren können. Und im Angriff wirkte das DFB-Team ziemlich mittellos vor der blauen Wand. Frankreich sei eben auch »Weltmeister im Verteidigen«, erinnerte Löw, »wir haben viel Druck gemacht. Das war schon okay. Vielleicht müssen unsere Laufwege noch besser werden.«
Wer es positiv sehen wollte, konnte auf das große Engagement verweisen und darauf, dass ein Eigentor die Partie entschieden hatte. Kritiker kamen dagegen nicht umhin, die wenigen Chancen der DFB-Elf ebenso anzuführen wie Adrien Rabiots Pfostenschuss, die beiden Abseitstore von Kylian Mbappé und Karim Benzema sowie jene Grätsche, bei der Hummels im eigenen Strafraum gegen Mbappé mehr Glück hatte als bei seinem Eigentor.
Unterm Strich steht die deutsche Mannschaft nun unter Zugzwang. Vier Punkte müssen wohl her gegen Portugal und Ungarn, um das Achtelfinale zu erreichen. »Wenn man das erste Spiel verliert, ist der Druck groß«, sagte Mittelfeldlenker Toni Kroos. Auch Gosens sprach von »Druck auf dem Kessel«. Löw versuchte dagegen, gar nicht erst den Eindruck von Anspannung zu erwecken. »Es ist ja nichts passiert. Wir haben noch zwei Spiele«, erinnerte er, »und in diesen können wir alles geradebiegen.« Dass auch die vier besten Gruppendritten weiterkommen, könnte dabei helfen.
Nur muss es irgendwann mit dem Toreschießen klappen. Dafür wirkte gerade Kimmich auf der rechten Seite verloren und seinen Gestaltungswille längst nicht so ausgeprägt wie auf seiner angestammten Position zentral vor der Abwehr. Stattdessen spielten dort Kroos und Ilkay Gündogan. Das Mittelfeld bestehe aus »Weltmeistern des Sicherheitsfußballs«, kritisierte Paul Breitner, Weltmeister von 1974, im »Münchner Merkur«, »Franz Beckenbauer würde es wohl Altherrenfußball nennen.«
Bei der deutschen Mannschaft sehen sie es selbstredend anders. Man habe »ein gutes Spiel gemacht«, sagte Kroos, »was uns gefehlt hat, ist ein Tor.« Auch Kimmich befand, man habe mit dem Favoriten mithalten können. Für den nun anstehenden Vergleich mit Portugal forderte er: »Wir müssen im nächsten Spiel zeigen, dass wir auch ein Favorit sind.« Zumindest als Teilzeitkraft soll dann auch Leon Goretzka wieder zur Verfügung stehen. Löw bezeichnete den Bayern-Profi als »gute Option«, zumindest für eine Einwechselung im Laufe des Spiels. Unabhängig vom Personal will Löw unbedingt optimistisch bleiben. »Wir werden uns wieder aufrichten und das nächste Spiel gewinnen«, beschloss der Bundestrainer. Wie genau das gegen Portugal gelingen wird, verriet er nicht.
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