Eltern sind schlimmer als das Wetter

Wenn Eltern nur ihre Arbeit im Kopf haben, muss die schräge Findeloma ran

  • Lesedauer: 8 Min.

Elias’ Eltern sind ständig beschäftigt: Der Vater erfindet Computerspiele, die Mutter ist Restauratorin. Für Elias haben sie beide wenig Zeit. Großeltern hat Elias keine, daher verbringt er viel Zeit allein. Eines Tages findet er im Park ein gelbes Ei, das er mit nach Hause nimmt und in seinem Sockenkorb versteckt. Er hofft, dass der kleine Vogel, den er drin vermutet, ausschlüpfen wird. Am nächsten Tag ist aus dem Ei eine winzige Oma mit Flügelchen geschlüpft, die ganz anders ist, als Elias sich Omas vorgestellt hat. Sie muss vieles erst lernen, hat ziemlich viel Unfug im Kopf und bringt im Haushalt einiges durcheinander. Aber das Chaos verändert die Wahrnehmung und hat daher auch sein Gutes: Die Eltern nehmen sich mehr Zeit für Elias und freuen sich wieder an gemeinsamen Erlebnissen.

Die Autorin und die Illustratorin

Iva Procházková wurde 1953 im tschechischen Olomouc geboren. Weil ihr Vater zu den intellektuellen Führern der Bewegung »Prager Frühling« gehörte, emigrierte sie und lebte in Österreich und Deutschland im politischen Exil. In dieser Zeit machte sie sich einen Namen als Kinderbuchautorin. Nach der politischen Wende kehrte sie in ihre Heimat zurück. Zurzeit lebt sie als freie Schriftstellerin und Drehbuchautorin mit ihrer Familie in Prag.

Marion Goedelt studierte an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und arbeitet seitdem als freie Illustratorin in Berlin. Neben Bilder- und Kinderbüchern gestaltet sie Schulbücher, Belletristik-Cover und Internetseiten. Ihre Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und ihre Arbeiten u.a. auf der internationalen Kinderbuchmesse in Bologna ausgestellt.

Über Mama, die Prinzessin, und Papa Spielvater

Mit Eltern ist es wie mit dem Wetter. Man sucht sie sich nicht aus. Ob es uns gefällt oder nicht, sie sind einfach da und es hat keinen Sinn, sich zu beschweren.

Um ehrlich zu sein, ist es mit den Eltern schlimmer als mit dem Wetter. Wenn es regnet, spannen wir den Regenschirm auf; wenn die Sonne blendet, setzen wir eine dunkle Sonnenbrille auf, und bei Schneeschauern können wir uns an den Ofen setzen und gemütlich das Fußballtrikot oder die Puppenkleider bügeln. Aber versucht mal, mit einem Regenschirm oder Bügeleisen gegen zickige Eltern vorzugehen! Ich sage: Versucht mal, aber ich meine natürlich: Versucht es auf keinen Fall! Nicht im Traum soll es euch einfallen! Habt Geduld mit ihnen. Vielleicht beruhigen sie sich wieder. Vielleicht werden sie erwachsen. Wie auch immer, wenn sie euch zu sehr auf die Nerven gehen, erinnert euch an Elias.

Vor nicht allzu langer Zeit ist er sieben geworden und stellt euch vor, seine Mutter hat immer noch nicht gelernt, wie man »Außerirdische« spielt, und sein Vater weiß bis heute nicht, wie richtige Flugdrachen gebastelt werden! »Du hast es gut!«, findet Viktoria, die mit Elias in eine Klasse geht. Sie kann ihre Zähne vorne herausnehmen und isst keine Möhren. »Deine Mutter sieht aus wie eine Prinzessin!« »Klar«, antwortet Elias dann mit lauter Stimme.

Mit Prinzessinnen kennt er sich nicht aus, will es vor Viktoria aber nicht zeigen. »Was haben die Mädchen immer mit ihren Prinzessinnen?«, wundert er sich dann mit seiner zweiten Stimme, einer leisen, die keiner außer Elias hört. »Wenn alle Prinzessinnen wie Mama sind, hat man nicht viel Spaß mit ihnen.« Viktorias Mutter ist bestimmt keine Prinzessin. Sie hat graue Haarsträhnen, trägt Hosen, die an den Knien ausgebeult sind, und man langweilt sich nicht mit ihr. Sie erzählt Viktoria lauter spannende Sachen, zum Beispiel wie, als sie klein war, der große Regen kam und sie im Wäschekorb in die Schule paddeln musste. Oder wie die Tante einen Knopf an ihren Schlafanzug nähte und ihn ihr dabei aus Versehen auch an den Bauch annähte: Viktorias Mutter musste tagelang im Schlafanzug herumlaufen, bis sie den Mut fand, ihn abzuschneiden. Außerdem spielt sie mit Viktoria jeden Abend »Schwarzer Peter« um Erdnüsse und ist Expertin im Schwindeln.

Elias’ Vater ist auch Experte. Nicht im Schwindeln, sondern in Spielen aller Art. Er kann »Schwarzer Peter« und »Mensch-ärgere-dich-nicht«, er kann Schach, Dame, Mühle, Schiffe versenken, Risiko und eine Menge anderer Spiele. Nicht dass er spielen würde, er verändert sie und macht sie besser, damit sie immer schöner, bunter und lauter werden und viele Leute sie kaufen wollen. Elias’ Vater ist Erfinder von Computerspielen.

»Ich hätt’ auch gern so’n Papa wie du!«, gibt Emil hin und wieder neidisch zu. Emil hat die gleichen Sportschuhe wie Elias, sodass sie sich jedes Mal beim Umziehen in der Turnhalle um sie zanken müssen, weil auf beiden ein großes E steht.

»Du musst zu Hause mindestens eine Million Spiele haben, oder?«

»Ja, mindestens eine Million«, gibt Elias Emil recht, mit seiner lauten Stimme. Mit seiner leisen Stimme wundert er sich: »Was haben die Jungs immer mit ihren Computerspielen? Mit einem Computer kann man keine Erdnüsse gewinnen, und schwindeln kannst du vergessen!«

Eine Mutter zu haben, die Prinzessin ist, und einen Spielvater, sieht auf den ersten Blick wie ein Riesenglück aus. Auf den zweiten ist es ein kleineres Glück und auf den dritten Blick ist das Glückchen schon ganz unscheinbar. Ein armes, kleines Tröpfchen Glück. Und Elias kommt sich arm vor, unendlich arm. Wundert euch nicht darüber, denn mit seinen beiden Eltern ist es nicht zum Aushalten! Ihr würdet aus der Haut fahren! Elias ist schon ein paarmal aus der Haut gefahren, aber er ist schnell wieder hineingeschlüpft, weil er ohne Haut nicht mal richtig fluchen konnte. Er hat ein Lieblingsschimpfwort. Es ist ein wenig schwierig, aber doch sehr schön. Es geht so: Schluss-Broccolimus-Käsefuß-Fetter-Popelesser-Bepisstes- Gespenst - Ich hab genug! Es muss sehr schnell gesagt werden und Elias kann es wie aus der Pistole geschossen. Zum Beispiel am Samstag sagte er es mit Rekordgeschwindigkeit ein paarmal hintereinander. Sein Vater saß am Computer und schrieb etwas. Durch die Fenster schien die Sonne wie der neue gelbe Fußball, den Elias zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Elias kickte im Zimmer herum, bis er einen direkten Treffer auf die Lampe landete und aufhören musste.

»Geh auf den Spielplatz. Wenn Papa fertig ist, kommt er zu dir raus, dann spielt ihr zusammen mit dem Ball«, versprach die Mutter. Elias ging auf den Spielplatz und kickte den Ball so lange gegen die Mauer, bis er drüberflog und dahinter verschwand. Der Vater saß bis abends vor dem Computer, der Ball blieb im fremden Garten und Elias schimpfte den ganzen Weg vom Spielplatz bis nach Hause: »Schluss-Broccolimus-Käsefuß-Fetter-Popelesser-Bepisstes-Gespenst - Ich hab genug!«

Oder zum Beispiel am Mittwoch. Die Mutter holte Elias von der Schule ab und sagte: »Ich muss mir jetzt einen Film angucken über Schloss Buchlowitz und seine Bilder. Sei brav, mal was Schönes, und wenn der Film zu Ende ist, spielen wir ‚Außerirdische‘ zusammen.«

Elias malte in seinem Zimmer und freute sich. Er wusste, dass seine Mutter »Außerirdische« nicht spielen konnte, aber er war froh, dass sie es versuchen wollte. Doch die DVD war ewig lang, die Mutter hielt sie immer wieder an und sprang zurück und notierte sich irgendwas und plötzlich war es Abend, man bereitete das Abendessen vor und »die Außerirdischen« waren wieder vergessen.

Elias nahm die Bilder, die er gemalt hatte, und zerriss sie vor Wut. Er riss sie in Tausende und Abertausende Stücke. Die Stückchen warf er ins Klo und spülte sie hinunter. Danach war das Klo verstopft. So ordentlich verstopft, dass der Vater es mit dem Abflussreiniger frei machen musste. Dabei schimpfte er mit Elias, und Elias schimpfte zurück: »Schluss-Broccolimus-Käsefuß-Fetter-Popelesser-Bepisstes-Gespenst - Ich hab genug!«

Aber Elias schimpfte mit seiner leisen Stimme, nicht mit der lauten, so dass ihn niemand hören konnte, denn seine Mutter und sein Vater sollten denken, dass er sich schäme und es ihm leid tue. Sie kamen ihm dann beide einen Gutenachtkuss geben und so versöhnten sich vor dem Schlafengehen alle miteinander. Elias wusste jedoch, dass es nur für eine Weile war. Er würde wieder schimpfen müssen, wenn nicht morgen, dann übermorgen, und wenn nicht wegen des Fußballs und der »Außerirdischen«, dann wegen etwas anderem. Weil der Vater und die Mutter machten, was sie wollten. Sie waren unmöglich. Sie waren ungezogen. Und Elias kannte niemanden, der sie ihm hätte erziehen können.

Das verrostete Gartentor

… Einen Tag, nachdem er den Geburtstagsball verloren hatte, machte er sich auf den Weg, ihn zu suchen. Er ging zum Spielplatz, der von einem Park umgeben war, und lief immer weiter und weiter an der hohen Mauer entlang, hinter der der Ball lag. Er lief, bis er in die entlegeneren Gegenden des Parks kam. Eigentlich hätte er jetzt umdrehen müssen, denn seine Mutter hatte ihm strengstens verboten, woanders hinzugehen als bis zum Spielplatz. Aber dann fiel ihm ein, dass Mama gerade auf einem Workshop über Wandmalereirestaurierung war und ganz andere Sorgen als Elias’ Herumlaufen im Park hatte. Er sagte sich, dass jede Mauer ein Tor haben muss, und dieses Tor wollte Elias um jeden Preis finden.

Und endlich, da, wo das dichteste Gestrüpp wuchs, entdeckte er ein Gittertor. Es sah aus, als ob es schon lange niemand benutzt hätte. Es war verrostet und hatte ein Schlüsselloch, in dem ein großer Schlüssel steckte. Eine Klinke hatte es nicht, aber als Elias den Schlüssel mit beiden Händen packte, ließ er sich drehen. Das Tor knirschte und öffnete sich. Dahinter stand das Gestrüpp genauso dicht. Elias ging zehn Schritte und blieb stehen. Er hatte Angst weiterzugehen. Was wäre, wenn er nicht mehr zurückfand? Was, wenn jemand das Tor abschloss und er nie wieder auf die andere Seite kam?

Elias war schon drauf und dran, umzukehren - als er den Fußball sah. Er steckte im Matsch am Rande eines kleinen Teiches. Elias besorgte sich einen langen Stock und versuchte den Ball aus dem Matsch zu befreien, doch er steckte zu tief drin. Elias blieb nichts anderes übrig, als durch den Matsch zu waten und den Ball mit bloßen Händen herauszuholen ... Aber welche Überraschung, als er feststellte, dass das gelbe Ding, das er herauszog, gar nicht sein Ball war, sondern ein Ei! Ein großes, gelbes, schmutziges Ei!

Iva Procházková
Elias und die Oma aus dem Ei
Illustriert von Marion Goedelt
Verlag Jungbrunnen
120 S., geb., 15,00 €
Für Kinder ab 8 Jahren

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!