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Einfach mal aufs Tor schießen
Den deutschen Kickern fehlte zum Auftakt der Mut. Gegen Portugal soll die Offensive nun ins Rollen kommen
Bevor es am Freitagnachmittag mit dem Bus die knapp 200 Kilometer von Herzogenaurach über die A 9 nach München ging, hielt das Abschlusstraining der deutschen Nationalmannschaft im EM-Quartier noch eine gute und eine nicht ganz so gute Nachricht bereit. Die gute war, dass auch Serge Gnabry an der letzten Einheit vor der Abreise zum zweiten Gruppenspiel gegen Portugal an diesem Sonnabend teilnahm, nachdem er tags zuvor vorsichtshalber pausiert hatte. Von der womöglich weniger guten Nachricht kündete nun allerdings ein Tape, das auf ein nicht ganz intaktes linkes Knie bei Gnabry schließen ließ.
Der Münchner soll aber im Gegensatz zu Lukas Klostermann (Muskelfaserriss) und Jonas Hofmann (ebenfalls Knieprobleme) spielen können. Dennoch wäre schon ein leichtes Zwicken ein Störfaktor beim Vorhaben, mehr Torgefahr zu erzeugen als im ersten Gruppenspiel gegen Weltmeister Frankreich am vergangenen Dienstag. Bei der 0:1-Niederlage hatte Gnabry mit einem Aufsetzer für die einzig nennenswerte Torchance gesorgt. Dass der Ball dabei letztlich nur aufs Tornetz fiel, fügte sich ins Bild der offensiven Harmlosigkeit des deutschen Teams. Nicht einen ernsthaften Schuss oder Kopfball hatte Frankreichs Torwart Hugo Lloris im gesamten Spiel abwehren müssen. Einen solch ruhigen Abend soll nun nicht auch Portugals Schlussmann Rui Patrício erleben.
Bisher deutet wenig darauf hin, dass Bundestrainer Joachim Löw Änderungen an seiner Startelf vornehmen wird, trotz aller System- und Personaldebatten. Dennoch soll sich gegen den Europameister inhaltlich einiges ändern, vor allem im Angriffsspiel. Die erforderliche Entschlossenheit versuchte Löw seiner Mannschaft beim Abschlusstraining vorzuleben, während von einem Fanbus aus der Nähe der Song »Deutschland, schieß ein Tor!« dröhnte. Löw schlug derweil bei seiner Ansprache energisch mit der Faust in die Innenseite seiner anderen Hand. Ein bisschen Situationskomik war durch die Begleitmusik schon dabei. In jedem Fall passte Löws Geste aber zu Matthias Ginters Ankündigung, dass man »voll auf Sieg spielen« werde. Stürmer Kai Havertz versicherte zudem, dass die Mannschaft über die dafür nötigen Fähigkeiten verfüge: »Ich glaube, dass wir offensiv eine sehr, sehr hohe Qualität haben«, sagte der Mann vom FC Chelsea.
An der individuellen Klasse der deutschen Offensivspieler gibt es in der Tat wenig Zweifel. Viele Hochbegabte wie Havertz sind in dieser Abteilung der Mannschaft zu finden, dazu der erfahrene und gedankenschnelle Thomas Müller. Ein klassischer Mittelstürmer fehlt in diesem Ressort allerdings schon seit Jahren. Allein dieser Mangel könnte das Vorhaben erschweren, mit einem Sieg den angestrebten Einzug ins Achtelfinale auf den Weg zu bringen - zumal in einer Partie, die beinahe schon wie ein K.o.-Spiel daherkommt. Bei einer Niederlage der DFB-Elf würde die Zulassung fürs Achtelfinale akut in Gefahr geraten, obwohl auch die vier besten Gruppendritten noch weiterkommen. Ein Sieg im dritten Gruppenspiel gegen Ungarn am Mittwoch könnte nach zwei Niederlagen schon zu wenig sein, und fest einplanen ließe sich ein Erfolg zum Abschluss ohnehin nicht. Mindestens ein Unentschieden sollte nun also gegen Portugal gelingen, damit diese EM für das deutsche Team nicht womöglich ebenso nach der Gruppenphase endet wie zuletzt die WM 2018. Um das Achtelfinale aus eigener Kraft und sicher zu erreichen, wären sogar zwei Siege gegen Portugal und Ungarn nötig.
Es wird auch wegen dieser gefährlichen Konstellation ein Balanceakt gegen den Titelverteidiger. Unabhängig von System und Personal soll dabei mit mehr Mut und Wucht in der Offensive die Basis fürs Weiterkommen gelegt werden. Zugleich ist jedem klar, dass dem EM-Rekordschützen Cristiano Ronaldo und dessen Offensivkollegen besser nicht zu viele Räume für Konter angeboten werden. »Sie müssen gewinnen. Das kann manchmal ein positiver Faktor sein, kann sich aber auch negativ auswirken, weil die Nerven eine Rolle spielen«, sagte Portugals Mittelfeldspieler Bruno Fernandes über die deutsche Mannschaft.
Immerhin spricht die Historie für die Heimmannschaft: Deutschland verlor nur eines von sechs Turnierspielen gegen Portugal. Das war fast auf den Tag genau vor 21 Jahren, am 20. Juni 2000. Damals schied das DFB-Team nach einem 0:3 im dritten EM-Gruppenspiel aus dem Turnier aus.
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