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  • Finnen bei der EM in Russland

»So eine Tour sagt man doch nicht ab«

Fanvertreter Hartikainen verteidigt die finnischen Anhänger, die ins coronabelastete Russland gekommen sind, gegen die heimischen Medien

Jussi, wie läuft’s für die finnischen Fans in Russland? Mehrere Tausend sollen in St. Petersburg sein. Sind alle happy, oder gab es schon welche, die schlechte Erfahrungen gemacht haben? Die russischen Fans wiederum sind ja durchaus schon unangenehm aufgefallen.

Ach was, alles ganz super: Die Russen sind sehr freundlich. Die helfen, auch wenn viele nicht Englisch sprechen. Hier passiert einem nix, wenn man sich clever verhält. Also besser in Gruppen unterwegs sein, vielleicht die dunklen Nebengassen meiden, nicht so viel trinken, dann ist alles sicher.

Jussi Hartikainen

Jussi Hartikainen ist Finnlands Ober-Fan, auch wenn er es in finnischer Zurückhaltung nicht so ausdrücken würde. Der 44-Jährige arbeitet für den Verein Suomen Maajoukkueen Kannattaja (SMJK) - übersetzt: Unterstützer der finnischen Nationalmannschaft. In St. Petersburg treffen sich die Finnland-Fans in einem Biergarten nahe des Stadions, in dem der SMJK seinen Stand aufgebaut hat. Der 44-jährige Hartikainen ist dort meistens vor Ort. Sein Lieblingsverein ist der Drittligist FC Vuosaaren Viikingit aus Helsinki, und seit 2010 ist er auch treuer Anhänger der Auswahl Suomis, die es erstmals in ihrer Geschichte zur EM-Endrunde schaffte.

Gibt es finnische Hooligans?

(lacht)

Ich kenne keine. Nein, so was haben wir in Finnland nicht.

Das Bier hier in Russland ist billig, jedenfalls für finnische Verhältnisse, nehme ich an. Noch dazu ist der Umgang mit den Hygienemaßnahmen lax: Feiern die Fans nicht eine einzige große Party?

Manche machen sich hier schon eine Party daraus, klar! Aber für die meisten ist es einfach eine schöne Woche mit normalen Dingen. Wir wollen da auch kein Riesending draus machen.

In Russland schießen die Infektionszahlen nach oben, in Finnland sind sie niedrig. Was sagen denn Ihre Nachbarn und Freunde zu Ihrer Reise?

Von meinen Freunden hat keiner irgendwas Schlechtes gesagt. Die finnischen Medien aber machen gerade ein ziemliches Fass deswegen auf. Nach finnischen Gesetzen ist es erlaubt, hierher zu fahren, sie aber sagen ziemlich resolut: Fahrt nicht nach St. Petersburg! Das gehört sich nicht angesichts steigender Corona-Zahlen! Es ist unverantwortlich! Und die Gesundheitspolitiker argumentieren genauso.

Und? Haben Sie daran gedacht, die Reise abzublasen?

Nein, keinesfalls. Fußball ist meine Leidenschaft. Und Finnlands erste EM-Teilnahme aller Zeiten, die kann ich mir doch nicht entgehen lassen! Ich versuche jetzt natürlich die ganze Zeit, mich hier verantwortlich zu verhalten. Ich meide die Innenstadt und Kontakte, ich teste mich regelmäßig. Ich hab zu Hause auch schon die erste Impfung bekommen. Ich tue also, was ich kann. Aber zu Hause bleiben? Nein. So eine Tour sagt man doch nicht ab!

Was ist denn diesmal anders an der Auswärtsfahrt zur ersten Europameisterschafts-Endrunde mit Finnland?

Normalerweise wären zu einem Auswärtsspiel - sagen wir zum Beispiel nach Dänemark - so etwa 500 bis 1000 Leute mit dem Team mitgereist. Doch unser Weiterkommen hat die Finnen aufgeweckt. Hätten wir die EM 2020 spielen können ohne Corona, wären sicher 10 000 bis 15 000 Finnen in St. Petersburg dabei gewesen. Nun sind es 2021 immerhin 2000 Leute, was durch die Zahl der verkauften Tickets limitiert ist. Das ist immer noch viel.

Sind Sie selbst bei jedem Auswärtsspiel der Nationalmannschaft dabei?

Nein, ich hab gar nicht die Zeit dafür. Ich hab vielleicht zehn Auswärtsfahrten gemacht. Aber manche machen tatsächlich jede Fahrt mit. Die haben’s wirklich drauf, mit wenig Geld zu reisen: Die buchen alles ein halbes Jahr oder länger im Voraus, wenn’s noch billige Flüge und Hotels gibt.

Gleich das erste EM-Spiel der Finnen war ein Drama. Dänemarks Christian Eriksen musste nach Herzversagen auf dem Rasen wiederbelebt werden. Wie war das für Sie?

Das Spiel war wirklich eine Achterbahnfahrt. Nichts für schwache Nerven. Erst war unser Team unter Druck, wir waren irre aufgeregt; dann die schrecklichen Szenen mit Eriksen. das war direkt vor unserem Block. Wir waren 30 Meter entfernt. Das Warten, dann die Info, er ist okay, es wird weitergespielt. Alle waren erleichtert. Und dann gab es die Gesänge, wir riefen: »Christian!« Und die dänischen Fans: »Eriksen!« Und schließlich unser Tor durch Pohjanpalo! Unglaublich, wir gewinnen! Nach dem Abpfiff waren wir bestimmt noch eine halbe Stunde im Stadion. Wir konnten es kaum fassen. Auf dem Heimweg allerdings waren wir alle ganz leise. Keine Gesänge oder so was. Dafür war es alles viel zu ernst. Insgesamt ein verrückter Abend!

Wie geht denn Finnlands wichtigster Fangesang?

Das ist »Oi Suomi on« zu der Melodie von »When the Saints Go Marching In«. Das heißt so was wie: »Oh, das ist Finnland!« Mit dem Satz geht’s ein paar Mal hin und her und dann weiter mit: »O Finnland ist so wunderbar, wir haben Sauna, Schnaps und eine Axt, oh Finnland ist so schön!«

Am Montag wird es in St. Petersburg zu hören sein, dann gegen Belgien. Hat Finnland eine Chance?

Ich glaube, Belgien wird es leichtnehmen, die sind ja schon durch. Uns gelingt ein Unentschieden - und wir schaffen es ins Achtelfinale!

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