Der wichtigste Jubel dieser EM

ZIRKUS EUROPA freut Leon Goretzkas Geste vor Ungarns Fans mehr als dessen Tor.

Ein Schritt nach links, dann doch der Schlenker nach rechts. Da war doch was. Da war doch wer. Leon Goretzka hatte sich einiges vorgenommen für dieses letzte Gruppenduell der deutschen Fußballer gegen Ungarn. Er wollte neuen Schwung ins Spiel seiner ratlos wirkenden Kollegen bringen, sie vor dem EM-Aus retten, was ihm mit seinem Tor zum 2:2 in der 84. Minute auch gelang. Doch der Münchner wollte offenbar noch mehr, und das fiel ihm in der Sekunde kurz nach dem Treffer wieder ein: ein Zeichen der Liebe setzen, wenn auch mit ganz schön viel Wut im Bauch. Also rannte er auf die ungarischen Fans zu und formte mit seinen Fingern ein Herz. Der Blick dabei wie eingefroren. Sekundenlang, bis ihn Mitspieler Kevin Volland im Jubelwahn zu Boden riss.

Leon Goretzka verkörpert eine neue Generation Fußballspieler. Eine mit politischem Bewusstsein. Keine Frage, längst nicht alle seiner Generation sind wie der 26-jährige Mittelfeldspieler vom FC Bayern, können sich so eloquent ausdrücken und dabei auch noch authentisch wirken. Goretzka war schon am Montag nicht ohne Grund vom Deutschen Fußball-Bund in die alltägliche Pressekonferenz geschickt worden, als noch darüber diskutiert wurde, ob Manuel Neuers regenbogenfarbene Kapitänsbinde als politisches Symbol von der Uefa verboten werden könnte. »Es wäre völlig absurd, wenn wir uns dafür entschuldigen müssten«, sagte Goretzka dazu, »weil klar ist, wofür es steht. Wir werden genau so weiterhandeln.«

Es folgte das Hickhack um die Stadionbeleuchtung. Und dann kam die »Carpathian Brigade« nach München. Es ist eine Fanexperten zufolge von Nazis unterwanderte Gruppe ungarischer Anhänger, die schon in den Spielen gegen Frankreich und Portugal mit rassistischen und homophoben Rufen aufgefallen war. Am Mittwoch sollen sie beim Anblick Hunderter Regenbogenfahnen in der Arena »Deutschland, Deutschland homosexuell!« skandiert haben, offensichtlich als Beleidigung gedacht.

Goretzka hätte sich nach seinem Tor darüber freuen können, sein Team gerade vor dem Ausscheiden bewahrt zu haben. Er hätte zu Joachim Löw rennen können, dessen Bundestrainerkarriere er soeben noch einmal um ein paar spannende Tage verlängert hatte. Es sagt viel über Goretzka aus, dass er in diesem Moment nicht nur Sportler war, sondern der politische Mensch in ihm die Kontrolle übernahm. Diese Geste war ihm wichtiger. Dieses Herz, das von Jugendlichen so inflationär für Millionen nichtssagende Schnappschüsse genutzt wird, bekam endlich wieder eine viel tiefere Bedeutung: Die Liebe für alle muss verteidigt werden. Sichtbar. Überall. Selbst bei einem Fußballspiel. Und wer weiß: Vielleicht wird dieser Jubel länger in Erinnerung bleiben als das Tor, das ihm vorausging.

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