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Vom Lebensende an den Anfang
Über das emotionale und wunderbare Glück der Geburt
Pietro Giammanco hat gerade seine erste Schicht im Kreißsaal des Krankenhauses »Paolo Giaccone« in Palermo hinter sich. Glückliche Mütter und Väter zu sehen, hat ihn berührt. »Ich musste selbst kurz beiseite gehen, so feucht wurden mir die Augen«, erzählt er.
Pietro Giammanco, wie ist es, jetzt im Kreißsaal zu arbeiten?
Der Arzt Pietro Giammanco hat an der Universität La Sapienza in Rom Medizin studiert und danach als Anästhesist im Krankenhaus seiner Heimatstadt Palermo gearbeitet. Von Jahresbeginn an kümmerte er sich um Covid-Patienten auf der Intensivstation. Vor Kurzem ist der 30-Jährige in den Kreißsaal gewechselt.
Ich kann dazu noch nicht so viel sagen, ich bin ja erst seit Kurzem hier. Aber dieser Moment, wenn das Kind aus der Mutter herauskommt und ihr dann wiedergegeben wird und alle fangen an zu weinen, die Mutter, der Vater, die Onkel und Tanten, das ist einfach sehr berührend. Ich bin froh, dass ich im Rahmen meiner Spezialisierung jetzt auch hier arbeite.
Zuvor haben Sie auf der Intensivstation für Corona-Patienten gearbeitet, also am völlig entgegengesetzten Punkt eines Lebenszyklus. Wie haben Sie die Zeit dort erlebt?
Es war völlig anders. Zu Beginn waren wir noch eine normale Intensivstation mit Patienten der unterschiedlichsten Erkrankungen. Das konnte jemand mit einem Herzinfarkt sein oder ein Opfer eines Verkehrsunfalls. Erst als die zweite Welle Süditalien so hart traf und die bisherigen Covid-Stationen in den anderen Krankenhäusern der Stadt nicht mehr ausreichten, wurde auch bei uns die Intensivstation umgerüstet.
Wann geschah das?
Das passierte im Januar 2021. Zunächst mussten wir alle anderen Patienten auf andere Stationen verlegen. Dann bauten wir die Station selbst etwas um, denn man brauchte Räume für all die Schutzausrüstung und für das Umkleiden selbst. Als dann der erste Covid-Patient kam, war das ein seltsames Gefühl. Wir kannten natürlich die Bilder aus Bergamo, aber selbst hatten wir damit noch gar keine Erfahrung gesammelt. Und dann kam da diese Stimmung zwischen Spannung und Erregung auf der einen Seite und wissenschaftlicher und professioneller Neugier auf der anderen Seite auf. Ich erinnere mich noch, wie seltsam es war, zum ersten Mal diese ganze Schutzkleidung anzuziehen. Man sah ja aus wie ein Imker, bevor der zu seinem Bienenvolk geht. Man hat sich den Overall angezogen, drei unterschiedliche Paar Handschuhe übereinander, ganz oben diese blauen und schließlich das Visier vor dem Gesicht. Und als man dann das Innere der Station betreten hat, kam man sich vor wie auf einem ganz anderen Planeten. Aber natürlich hat man sich ganz schnell daran gewöhnt. Das ist auch gut so, denn man muss die richtige Balance finden. Man darf nicht zu viel Angst haben, denn dann macht man aus Angst Fehler, man darf aber auch nicht leichtsinnig werden.
Wie konnten Sie Ihren Patienten helfen? Welches waren die erfolgreichsten Therapieansätze?
Oh mein Gott, es wurde so viel versucht, sehr viele Medikamente eingesetzt, manche davon nimmt man inzwischen gar nicht mehr, ich denke nur an Chloroquin. Es änderten sich aufgrund des jeweils neuen Wissensstands auch permanent die Anweisungen. Ganz am Anfang war es furchtbar, denn wir hatten den Eindruck, gar nichts ausrichten zu können. Du bist mit dem Gefühl auf die Arbeit gekommen, nichts bewirken zu können. Das waren schlimme Wochen, denn die Leute starben einfach. Ab Mitte Februar haben wir die Strategie geändert. Wir gehen aggressiver gegen das Virus vor, nehmen Patienten auf, deren Krankheitsverläufe noch nicht so schwer sind. Als wirklich erfolgreich hat sich bei einigen die Serumtherapie herausgestellt. Aus den flüssigen Bestandteilen des Blutes von genesenen Patienten werden dabei Antikörper entnommen, die die Immunreaktion stärken.
Wie haben Sie im Januar, als Ihr ganzes ärztliches Wissen so unnütz erschien, die Situation überstanden?
Mir haben die Gespräche mit den Kollegen ungemein geholfen. Nach der Schicht haben wir uns ausgetauscht. Wir haben gemerkt, dass wir nicht allein waren, dass es uns allen so ging. Wir hatten auch die Möglichkeit, mit Psychologen zu reden.
Sind Ihnen in Ihrer Praxis bestimmte Kriterien und Prädispositionen aufgefallen, welche Personengruppen ein höheres Risiko haben, an Covid zu erkranken?
Natürlich gibt es bestimmte Vorerkrankungen, die darauf Einfluss haben. Wer unter Immunschwäche leidet, ist stärker durch Corona gefährdet, wer an Tumor erkrankt ist, den kann es härter treffen. Aber generelle Aussagen kann man nicht machen. Man kann einen Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, der schneller und besser gesundet als jemand ohne diese Vorerkrankungen, bei dem ganz einfach die Lunge schwer betroffen ist. Jemand ohne bemerkenswerte Vorerkrankungen kann einen schwereren Verlauf haben als jemand mit. Auch das Alter spielt keine Rolle. Es ist einfach eine neue Krankheit, über die wir noch viel lernen müssen.
Was war für Sie der ausschlaggebende Grund, Arzt zu werden? Und wie hat sich dieses Motiv im Laufe der Zeit vielleicht geändert?
Ich habe diesen Weg zumindest zum Teil unbewusst begonnen. Ich wusste nicht so recht, was es bedeutet, Arzt zu sein. Ein Teil von mir wollte, dass mein Vater stolz auf mich ist.
Ihr Vater ist auch Arzt?
Ja, davon habe ich mich sicher beeinflussen lassen. Und dann war da natürlich auch der Wunsch, anderen helfen zu wollen. Anfangs wollte ich ja auch den Allerkleinsten, den Schwächsten und Fragilsten, die noch das ganze Leben vor sich haben, helfen. Ich wollte Kinderarzt werden. Im Laufe der Ausbildung habe ich aber davon Abstand genommen.
Warum?
Ich hatte mich damals sehr mit Tumorerkrankungen beschäftigt. Während des Studiums ergab sich die Gelegenheit, auf einer Station für krebserkrankte Kinder zu arbeiten. Es war eine erstklassige Station, und ich dachte: Prima, da bringe ich meine beiden Interessen zusammen. Aber es war zu schwer für mich. Ich bin völlig zerstört von dieser Tätigkeit wieder herausgekommen. Zu sehen, in welch schrecklichem Zustand diese Kinder sind, war einfach zu viel für mich. Damit war dieser Weg für mich versperrt.
Und dann reifte der Wunsch, sich als Anästhesist zu spezialisieren?
Ja. Ich muss auch sagen, dass ich die Tätigkeit als Anästhesist auf der Intensivstation sehr geschätzt habe. Wenn man als Narkosearzt im OP arbeitet, sieht man den Patienten ja nur kurz. Man behandelt ihn, versetzt ihn in Narkose, und dann kommt schon der nächste. Auf der Intensivstation kümmert man sich länger um ihn, man sieht die ersten Regungen, baut einen Kontakt auf, wohnt den Verbesserungen bei.
Ihr Studium haben Sie in Rom gemacht, sind also aus Palermo nach Rom gezogen. Viele junge Leute gehen diesen Weg und bleiben in Rom oder nutzen das als Sprungbrett fürs Ausland. Sie aber sind nach Palermo zurückgekehrt. Warum?
Es stimmt, das machen viele. Ich hätte auch noch viel weiter gehen können. In meinem Studiengang wurden wir auf Englisch unterrichtet.
Die Welt stand Ihnen also offen, zumindest die englischsprachige Welt!
Ja, wenn ich in Rom geblieben wäre, hätte mein Leben sicher einen anderen Verlauf genommen. Vielleicht bin ich einfach dumm gewesen. Aber ich wollte auch zurück in die Stadt, die ich kenne, in der ich aufgewachsen bin. Ich wollte nicht in Rom sein und von dort aus meine Eltern altern sehen. Ich habe, weil ich zurückgekommen bin, auch noch die letzten Lebensmonate meines Großvaters erleben können und ihn dabei begleiten können. Das war mir wichtig. Und auf lange Sicht sehe ich mich auch in Palermo. Die medizinische Ausbildung hier ist sehr gut. So schien es mir richtig, wieder zurückzukommen.
Was bedeutet Tod für Sie?
Oh, ich erinnere mich, wie mir als Kind die Existenz des Todes bewusst wurde. Die ganze Familie war zum Mittagessen zusammen, und mir kam plötzlich in den Sinn, nicht dass ich eines Tages sterben würde, sondern meine Mutter. Ich bin in Tränen ausgebrochen, war vollkommen aufgelöst. Die ganze Familie war um mich herum, die Großeltern, die Cousins, und ich wollte einfach nur, dass meine Mutter nicht stirbt. Natürlich ist es klar, dass es diesen Punkt gibt, an dem alles zu Ende ist, dieses Dunkel. Manchmal denkt man, dass es wie ein langsames Einschlafen ist, manchmal löst der Gedanke daran Verzweiflung aus. Ich habe noch keinen Weg gefunden, darüber nicht zu verzweifeln. Auch wenn ich jeden Tag damit zu tun habe, finde ich doch keine Lösung. Teil meiner Arbeit ist es dann, Schmerzen zu lindern.
Und jetzt, am neuen Arbeitsplatz im Kreißsaal - was bedeutet Geburt?
Es ist das Wunder des Lebens! Natürlich erklären wir uns das mit der Biologie. Aber es bleibt dennoch etwas sehr Wundersames und Wunderbares. Ich freue mich, dass ich mich mit meiner Arbeit jetzt genau dort befinde, mit den ganzen Emotionen, die man dort empfindet, diesem großen Glück.
Da ist natürlich die Frage nach den eigenen Kindern nicht weit.
Damit ist schwierig umzugehen. Natürlich habe ich den Wunsch danach. Auf der anderen Seite ist da aber das Bewusstsein dafür, dass jetzt eher nicht der rechte Moment ist, Kinder in die Welt zu setzen. Es ist doch ein sehr egoistisches Verhalten. Jemanden in diese zerstörte Welt zu bringen, bedeutet doch, dass man eine sehr schwere Verantwortung trägt. Ich habe da keine Antwort. Wie wird die Welt in 50 Jahren angesichts des Klimawandels aussehen? Palermo ist eine Hafenstadt, liegt am Meer. Vielleicht wird es die Stadt gar nicht mehr geben. Oder die dritte Etage, in der wir uns gerade befinden, liegt dann im Erdgeschoss, weil die Etagen darunter bereits unter Wasser sind. Es gibt hier den einen Pietro, der sich sehr stark Kinder wünscht, und den anderen, der rational blickt.
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