- Berlin
- Mehr Steuern nach Kurzarbeit
Dann nutz doch den Dispo!
Steuernachzahlungen für Kurzarbeitergeld stellen viele Menschen vor Probleme
Es ist ein Fall, wie es ihn viele in der Hauptstadt gibt: Frau F. arbeitet in der Hotellerie, seit Beginn der Pandemie ist sie in Kurzarbeit. Da sie nur wenige Tage in der Woche arbeiten konnte, bekam sie über Monate Kurzarbeitergeld. Dafür hatte die Bundesregierung die Regelungen zum vereinfachten Bezug von Kurzarbeitergeld immer wieder verlängert und mit dafür gesorgt, dass nicht Millionen Menschen hierzulande ihre Jobs verlieren. So weit, so gut. Die Kehrseite der Medaille aber ist, dass infolgedessen ein besonderer Einkommensteuersatz festgesetzt wird, der zu hohen Nachzahlungsforderungen führen kann.
So war es auch bei der Berliner Hotelangestellten und ihrem Ehemann. Weil die Ersparnisse der Familie mit einem kleinen Kind für die Steuernachzahlung nicht ausreichten, bat sie das Finanzamt um eine Stundung. Statt auf einen Schlag wollte sie den Betrag in zwei Monatsraten zurückzahlen. Die Behörde verlangte daraufhin Angaben zur aktuellen Einkommenssituation. Doch nicht nur das. In dem Schreiben, das »nd« vorliegt, heißt es weiter: »Es fehlen Angaben, warum eine Tilgung der Steuerrückstände nicht durch Aufnahme eines Kredites möglich erscheint.«
Die Frau bezahlte daraufhin den vollen Betrag und nahm die anfallenden Dispozinsen in Kauf. Banken kassieren im Schnitt zehn Prozent für das Überziehen des Girokontos - viel zu viel, wie Experten seit Jahren kritisieren. Dabei ist das Geld bei denjenigen, denen wegen ihrer Kurzarbeit nun Nachzahlungsforderungen vom Finanzamt ins Haus flattern, ohnehin knapp. Da arme Leute schwerer einen Kredit bekommen, sind sie auf den Dispo angewiesen - mit entsprechenden Kosten.
Die Angestellte wandte sich daraufhin an den Berliner Linke-Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg. Rein rechtlich ist am Vorgehen nichts auszusetzen. Lohnersatzleistungen wie Kurzarbeiter-, Mutterschutz-, Arbeitslosen- oder Krankengeld sind zwar grundsätzlich steuerfrei, unterliegen aber dem Progressionsvorbehalt. Das heißt: Der Einkommensteuersatz wird nach der »individuellen Leistungsfähigkeit« festgelegt. Steigt diese, sind mehr Steuern zu zahlen. Wenn also eine Beschäftigte Kurzarbeitergeld bezogen hat, wird ein »besonderer Steuersatz« fällig. Dieser berechnet sich aus der Summe des tatsächlichen Einkommens und der Lohnersatzleistung, also in diesem Fall dem Kurzarbeitergeld. Der Steuersatz ist also höher als der, den man auf das durch Kurzarbeit verringerte Einkommen zahlen müsste.
Dieser besondere Steuersatz dürfte für Millionen Menschen in der Einkommensteuererklärung 2020 ein Thema sein. Wie viele es genau sind, ist kaum zu beziffern. Zwar werden in Berlin die Gesamtrückstände zur Einkommensteuer erfasst, nicht aber im Zusammenhang mit Kurzarbeitergeld. Zudem lägen weder den Finanzämtern in den Bezirken noch berlinweit Informationen zu eingegangenen Stundungsanträgen oder deren Ergebnis vor, heißt es von der Senatsfinanzverwaltung auf nd-Anfrage.
»Wir sind mit der Pandemie in einer historischen Ausnahmesituation«, sagt Sebastian Schlüsselburg. Viele Menschen müssten mit weniger Geld klarkommen, dazu sei vielen Berliner*innen auch noch der Mietendeckel weggebrochen. Da müsse man auch über unbürokratische Lösungen nachdenken - oder wenigstens vorhandene Ermessensspielräume weitestmöglich ausnutzen, findet der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion. Die Schreiben des Finanzamts Steglitz nennt Schlüsselburg dann auch »erschreckend empathielos«: »Es kann nicht sein, dass die Finanzämter bundesweit Millionen von Menschen, die jetzt aufgrund des Bezuges von Kurzarbeitergeld Steuern nachzahlen müssen, in die Verschuldung treiben.«
In der Abgabenordnung des Bundes, die die rechtliche Grundlage für eine Stundung darstellt, heißt es, fällige Beträge könnten ganz oder teilweise gestundet werden, »wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde«. Ob die Aufnahme eines Dispokredits bereits eine erhebliche Härte bedeutet, bleibt Interpretationssache. Von Schlüsselburg darauf hingewiesen, dass viele Menschen nun gezwungen werden, Kredite aufzunehmen, antwortet die Finanzverwaltung lapidar: »Die Steuerpflichtigen müssen für die Steuerzahlung Vorsorge treffen, wie andere Steuerpflichtige auch.«
Der Abgeordnete kritisiert, dass Härtefälle nicht ausreichend berücksichtigt werden. »Es geht nicht um Gesetzesänderungen, sondern darum, dass Ermessensspielräume genutzt werden. Und hätte der Senat dafür eine neue Rechtsgrundlage gebraucht: Sie haben über ein Jahr Zeit gehabt«, zeigt sich Schlüsselburg irritiert. Für ihn ist klar: Die Finanzminister*innen der Länder müssen ihre Finanzämter nun anweisen, Stundungsanträgen unbürokratisch stattzugeben, wenn Menschen die geforderte Summe nicht auf einmal zahlen könnten. Durch Schreiben wie das vom Finanzamt Steglitz gehe »das letzte Vertrauen in die Politik verloren«.
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