Frankreich ist Europameister

In keinem anderen EU-Land werden so viele ausländische Direktinvestitionen getätigt. Doch die Jobausbeute ist mau

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Erneut wurde Frankreich der Titel des für Investoren attraktivsten Landes Europas zuerkannt. Laut dem aktuellen Standortranking der Beratungsgesellschaft EY (früher Ernst & Young) liegt das Land vor Großbritannien und Deutschland. Bemerkenswert ist, dass dieser Rang trotz der Corona-Epidemie gehalten werden konnte, die europaweit einen Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen um durchschnittlich 13 Prozent verursacht hat.

Laut Untersuchung wurden in Frankreich im vergangenen Jahr 985 Ansiedlungen ausländischer Unternehmen oder Firmenübernahmen registriert; in Deutschland waren es 930. Dabei betrug der epidemiebedingte Rückgang in Frankreich gegenüber dem Vorjahr überdurchschnittliche 18 Prozent.

Doch was bringt der Spitzenplatz eigentlich? Die Gewerkschaften vermerken kritisch, dass durch ausländische Investitionen in Frankreich weniger Arbeitsplätze geschaffen wurden als in anderen Ländern. Hier sind es im Schnitt 34 neue Jobs je Projekt, in Großbritannien hingegen 49 und in Spanien sogar 135. In diesem Zusammenhang verweisen Gewerkschafter auf die vor Jahren in Frankreich geschlossenen und in Billiglohnländer verlagerten Betriebe, die die Regierung jetzt mit finanzieller Hilfe zurückholt. Bei diesen werden durch Rationalisierung und Automatisierung weniger neue Arbeitsplätze entstehen als seinerzeit verloren gingen.

»Frankreich hat seine Möglichkeiten, ausländische Investitionen anzuziehen, in den letzten Jahren enorm vergrößert«, erklärt hingegen EY-Vorstandsmitglied Marc Lhermitte. »Trotz Coronakrise hat es 2020 keine Schließung von Standorten ausländischer Firmen gegeben, obwohl wichtige Wirtschaftszweige wie der Flugzeugbau und die Tourismusbranche besonders betroffen waren.« Wie die Befragung von Investoren ergab, werden die wirtschaftspolitischen und finanziellen Maßnahmen, mit denen die Regierung auf die Pandemie reagiert hat, mehrheitlich als angemessen und wirkungsvoll beurteilt. 44 Prozent der Befragten erklärten sogar, die Maßnahmen seien effizienter als in anderen europäischen Ländern.

Auch langfristige Entscheidungen der Regierung wie die Senkung der Körperschaftsteuer von 33 auf 25 Prozent zeigten offenbar Wirkung. »Ein stabiles und transparentes Steuersystem ist zu begrüßen, aber es ist letztlich nicht ausschlaggebend«, meint Pascal Cagni - den Präsidenten des Unternehmerclubs Business France hat die Regierung zum ehrenamtlichen »Botschafter für internationale Investitionen« berufen. »Für ausländische Investoren zählt besonders, dass Frankreich einen Markt von 66 Millionen Menschen mit einem im Schnitt hohen Sparguthaben darstellt, dass hier die Digitalisierung rasant fortgeschritten ist, das Land über ein leistungsfähiges Internet mit hoher Übertragungsgeschwindigkeit verfügt und die Energiepreise deutlich niedriger sind als in den Nachbarländern«, so der Ex-Europachef des Apple-Konzerns. Gelobt werden Cagni zufolge auch Standortfaktoren wie die Transportinfrastruktur, Logistikdienstleistungen, die politische und rechtliche Stabilität sowie das Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte. Kritik gebe es dagegen am Arbeitsrecht und am Sozialsystem, das aus Unternehmersicht für hohe »Lohnnebenkosten« verantwortlich gemacht wird.

Die Investitionen kommen den Bemühungen der Regierung um eine Reindustrialisierung des Landes entgegen, denn mehr als die Hälfte der Projekte betrifft die Errichtung oder Modernisierung von Produktionsanlagen. Bei etwa einem Drittel geht es um die Eröffnung oder Erweiterung von Betrieben und in 115 Fällen um Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen. Stark vertreten sind die Pharmaindustrie, der Möbelbau, Energie- und Wasserversorgung sowie die Abfallverwertung. Sehr viele Projekte betreffen den Großraum Paris mit seiner ohnehin hohen Konzentration von Unternehmen, Arbeitskräften und Konsumenten. Doch immerhin 40 Prozent entfallen auf Städte mit weniger als 40 000 Einwohnern.

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