Feuer nach Hitze
Nordamerika leidet unter extremen Temperaturen
Wer eine Satellitenkarte von Nordamerika aufruft, sieht am linken Rand des Kontinents ein satt-grünes Band, das sich Tausende Kilometer vom südöstlichen Alaska bis hinunter nach Kalifornien zieht. In diesem endlosen Landstreifen finden sich mehrere der größten gemäßigten Regenwälder der Welt, moosige und nebelverhangene Waldgebiete mit einer enormen Artenvielfalt. Gespeist werden Flora und Fauna hier vor allem durch Stürme aus dem nördlichen Pazifik, die durch küstennahe Gebirgsketten in die Atmosphäre gedrängt werden und sich in massiven Regenfällen wieder über das Land ergießen. Wie in einem Kessel wird die Feuchtigkeit zwischen Bergen und Meer gefangen. Die Großstädte der Region - Seattle, Portland und das kanadische Vancouver - sind bekannt für 150 Regentage im Jahr.
Seit über einer Woche aber ist es nicht Regen, sondern Hitze die sich in diesem Kessel staut, mit katastrophalen Auswirkungen auf Menschen, Tiere und Landschaft. »Hitzekuppel« wird das Phänomen genannt, das Millionen von Menschen betrifft. Die Ortschaft Lytton in der kanadischen Provinz British Columbia verzeichnete diesen Dienstag einen Hitzerekord von über 49,5 Grad - heißer als der durschnittliche Hochsommer in Jeddah, Saudi-Arabien. Am Mittwochabend veranlasste Bürgermeister Jan Polderman die Evakuierung des Ortes, nachdem zahlreiche Häuser der 250-Einwohner-Gemeinde Feuer fingen. »Es ist schrecklich. Die ganze Stadt steht in Flammen«, sagte Polderman dem TV-Sender CBC.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
In Lytton wird normalerweise die 30-Grad- Marke selten geknackt, auf eine solche Belastung ist man nicht vorbereitet. Die gefährliche Hitze hat nach Angaben der Behörden zu mehreren Bränden und Hunderten Todesfällen beigetragen. Von Freitag bis Mittwoch seien in der Provinz British Columbia 486 plötzliche, unerwartete Todesfälle gemeldet worden, teilte die Gerichtsmedizin mit. Diese Zahl werde vermutlich noch steigen. Sie liege 195 Prozent über dem Durchschnitt. Die Behörde geht davon aus, dass der starke Anstieg mit der extremen Hitze zusammenhängt.
Weiter südlich kämpft Kalifornien jetzt schon mit den ersten Waldbränden des Jahres. Das sogenannte Lava-Feuer wütet in den Waldgebieten um den Vulkan Mount Shasta, und hat bis Mittwochabend über 5000 Hektar Wald und Agrarflächen zerstört. Das umliegende Siskiyou County ist ein Zentrum der illegalen Marihuana-Industrie, in der mittlerweile vor allem Migrant*innen aus China und aus Vietnam arbeiten. Unter harten Bedingungen und für marginale Löhne produzieren sie unbesteuertes Cannabis für den Schwarzmarkt - und bezichtigen die Feuerwehr, ihre Felder und Behausungen absichtlich abbrennen zu lassen.
Nicht nur an der Pazifikküste kämpft man mit den Folgen von Temperaturextremen. In Texas ist Sommerhitze zwar keine Seltenheit, dafür aber war das Stromnetz des südlichen Bundesstaates schon Mitte Juni so stark überlastet, dass der Netzbetreiber Ercot seine Nutzer*innen bat, ihren Verbrauch auf das Nötigste zu reduzieren. Vier Monate nachdem das Stromnetz unter den Folgen eines historischen Wintersturms kollabierte und Dutzende von Menschen in ihren Häusern erfroren, droht es nun auch den Ansprüchen des Sommers nicht standzuhalten. Texas fördert nicht nur das meiste Erdöl in den USA, sondern ist mittlerweile auch der größte Produzent von Windenergie. Mehr als 15 Prozent des Verbrauchs des Bundesstaates werden mit Windenergie gedeckt, doch auch deren Produktion stagniert wegen ungewöhnlich lauen Winden.
»Wir brauchen einen Superlockdown« - Wirtschaftswissenschaftler Helge Peukert über Irrwege der Klimapolitik und fundamentalökologische Alternativen
In der texanischen Hauptstadt Austin betreibt das ATX Free Fridge Project mehrere Stellen für Essensspenden, über das sich Menschen in Not mit gespendeten Lebensmitteln versorgen können. Trista, eine Aktivistin der Gruppe, die nur mit ihrem Vornamen genannt werden möchte, beschreibt eine lethargische Reaktion der örtlichen Behörden: »Wir können eigentlich keine Reaktion der Stadt auf die Hitze registrieren.«
In Austin steigen die Temperaturen auch in normalen Jahren regelmäßig über 40 Grad. Besonders für Wohnungslose ist die Lage gefährlich. ATX Free Fridge musste in der letzten Woche gleich mehrere Kühlschränke abschalten und das Angebot auf trockene Lebensmittel reduzieren. »Die Kühlschränke konnten sich wegen der Hitze nicht mehr ausreichend abkühlen«, erzählt Trista. »Mit Hilfe von Spenden kaufen wir nun neue Kühlschränke, die für speziell für die Nutzung bei extremen Temperaturen ausgelegt sind.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.