Streik in Irans Ölindustrie

Beschäftigte von Subunternehmen fordern höhere Löhne und weniger Arbeitstage. Der Staat wird nervös

  • Omid Rezaee
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit fast zwei Wochen streiken Tausende Arbeiter*innen in Irans Erdölindustrie. Das Land erlebt damit den größten Ausstand seit der Islamischen Revolution 1979.

Im Streik sind vor allem Arbeiter*innen, die nicht beim Staat angestellt sind, sondern bei Subunternehmen. Los ging es am 19. Juni in einem Gas-und-Dampf-Kombikraftwerk in der Sonderwirtschaftszone Pars. Die Streikenden wollen erst dann die Arbeit wieder aufnehmen, wenn ihr Lohn erhöht wird. Der »Rat für Organisation der Proteste der Ölindustrie-Projektarbeiter« fordert eine Anhebung auf mindestens 12 Millionen Toman (umgerechnet etwa 500 Euro) im Monat, eine raschere Auszahlung angesichts der hohen Inflationsrate und eine Reduzierung der Arbeitstage. Angesichts der schwierigen Arbeitsbedingungen wollen die Beschäftigte monatlich maximal 20 Tage arbeiten und 10 Tage frei haben. »Außerdem müssen die vorläufigen Arbeitsverhältnisse abgeschafft werden und die Arbeiter unbefristete Verträge bekommen«, heißt es in einer Erklärung.

Die Sonderwirtschaftszone Pars, einer der größten Wirtschaftsstandorte im Land, wurde 1998 für die wirtschaftliche Nutzung der Ressourcen aus dem Öl- und Gasfeld »South Pars« gegründet.

Im Laufe der Zeit haben sich über 60 000 Arbeitende in 70 Einrichtungen dem Streik angeschlossen, wie die »Freie Union der Arbeiter Irans« berichtet. Sie setzt sich seit Jahren für die Rechte der Arbeitenden ein, ihre Spitzenpersonen wurden mehrmals inhaftiert. Nach Angaben der Union, die den Streik mit organisiert, wird vor allem in petrochemischen Einrichtungen gestreikt, unter anderem in der Teheraner Erdölraffinerie.

Laut offiziellen Angaben sind in der Erdölbranche etwa 106 000 Facharbeiter*innen für Subunternehmen tätig. Sie arbeiten unter schwierigen Bedingungen, beschreiben Mitorganisatoren und zeigen in Videos die miserablen Unterkünfte, die trotz heißer Sommer im Südiran weder über Fenster noch über Klimaanlagen verfügen.

Angestellte von Subunternehmen bekommen bei gleicher Arbeit nur die Hälfte des Gehalts der Staatsangestellten. Ihre Arbeitsverträge laufen maximal drei Monate, in einigen Fällen gibt es gar keinen Vertrag. Außerdem gilt das Arbeitsrecht in den Sonderwirtschaftszonen nicht. Das heißt, so die Streikenden, »dass die Unternehmen jederzeit gegen die Grundrechte der Arbeitnehmer*innen verstoßen können«. Die Arbeitssicherheitslage vergleichen sie mit Bombenangriffen, »denn wir werden tagtäglich Opfer von Explosionen, Abstürzen und giftigen Schadstoffen«.

Dass die Arbeiter*innen es geschafft haben, sich im ganzen Land zu organisieren, obwohl unabhängige Gewerkschaften verboten sind und die Aktivist*innen unter Druck gesetzt werden, überrascht selbst Kenner der iranischen Gesellschaft. Den Streikenden ist es auch gelungen, die iranische Öffentlichkeit auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Die Fotos und Videos von Versammlungen werden in sozialen Medien verbreitet, und es gibt Unterstützung von Beschäftigten aus anderen Branchen, etwa von der Union der Lkw-Fahrer.

»Der Rat, der diesen Streik organisiert, ist in den letzten zwei Jahren durch die Telegram-Gruppen entstanden, in denen die Arbeiter*innen sich über mögliche Stellen und Projekte austauschen«, sagt die Vizepräsidentin der freien Union der Arbeiter Irans, Parwin Mohammadi, die jahrelang wegen ihres gewerkschaftlichen Engagements in der Metallindustrie im Gefängnis saß. In Gruppen, die ursprünglich der Jobsuche dienen sollten, tauschten sich die Arbeiter*innen über alles Mögliche aus. Langsam hätten sie ihr gemeinsames Interesse gefunden und seien darauf gekommen, dass sie sich nur mit kollektiven Aktionen durchsetzen könnten, so Mohammadi weiter.

Der Streik ist umso wichtiger, als Ölexporte die wichtigste Einnahmequelle des Irans darstellen, auch wenn aufgrund der US-Sanktionen keine genauen Zahlen mehr veröffentlicht werden. Petrochemische Produkte machen den zweitgrößten Teil der Wirtschaft aus. Trotz der Sanktionen und der Corona-Pandemie lagen hier die Exporte im vergangenen Jahr bei 25 Milliarden US-Dollar. Da die Streikenden überwiegend in In-frastruktur- und Ausbauprojekten in Erdöleinrichtungen beschäftigt sind, ist es unwahrscheinlich, dass ihr Streik kurzfristig Einfluss auf die Produktion hat. Doch viele Firmen sind von der Arbeitsniederlegung betroffen und büßen jeden Tag Umsatz ein, was sich letztlich auch auf den größten Arbeitgeber, den Staat, überträgt.

Obwohl Präsident Hasan Rohani sowie das Erdölministerium erklären, dass sich die Proteste nicht gegen sie, sondern gegen Privatunternehmen richten, versucht der Staat mit allen Mitteln, den Streik zu beenden. Vor wenigen Tagen nahmen Vertreter des Erdölministeriums und der Geheimdienste an einer Sitzung des parlamentarischen Energieausschusses teil, um den Umgang mit den Protesten zu diskutieren. Da aber die Streikorte vom Kraftwerk Urmia im Nordosten des Landes bis in den Südwesten in Buschehr verteilt sind, fällt es den Sicherheitskräften schwerer als sonst, die Proteste niederzuschlagen.

Bisher sind etwa 100 Streikende an verschiedenen Standorten entlassen worden, melden die Organisatoren. Mehrere Aktivist*innen hätten Drohanrufe von Sicherheitskräften bekommen.

Gewerkschafterin Mohammadi ist zudem überzeugt, dass dieser Streik angesichts der allgemeinen Wirtschaftskrise weitere Sektoren erreichen dürfte. Die Forderungen seien schließlich keine anderen als die der anderen Lohn- und Projektarbeit*innen in der gesamten Wirtschaft Irans.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!