Enttäuscht von der Demokratie

Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit: weiterhin große Unterschiede zwischen Ost und West

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Mehr als 30 Jahre nach dem Anschluss an die BRD liegt Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland im wirtschaftlichen Bereich nach wie vor zurück. Eine Annäherung findet lediglich in kleinen Schritten statt. Diese wenn auch wenig überraschende, so doch ernüchternde Feststellung, entstammt dem Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit, der am Mittwoch vom Ostbeauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), in Berlin vorgestellt wurde.

Laut dem Bericht betrug das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2020 rund 77,9 Prozent des westdeutschen Niveaus, inklusive Berlin waren es 82,8 Prozent. Das verfügbare Einkommen im Osten lag 2020 bei etwa 86 Prozent des Westens. Auch das Privatvermögen war zwischen Ost und West sehr unterschiedlich verteilt. Während die privaten Haushalte in den westdeutschen Ländern im Durchschnitt über ein Immobilien- und Geldvermögen von rund 182 000 Euro verfügten, umfassten die Vermögen der Haushalte in den ostdeutschen Ländern mit rund 88 000 Euro im Durchschnitt nur knapp 48 Prozent des Betrages, heißt es in dem Bericht. Jedoch habe sich auch hier der Abstand in den vergangenen 30 Jahren verringert. 1993 verfügten demnach die Haushalte im Osten nur über Vermögen von rund 29 Prozent des Niveaus im Westen.

»Der Trend ist eindeutig: Der Abstand zwischen Ost und West baut sich weiter schrittweise ab«, so der Bericht. »Die Zahlenvergleiche machen aber zugleich deutlich, dass es auch gut 30 Jahre nach dem Fall der Mauer noch einen klar erkennbaren Abstand in der Wirtschaftskraft zwischen Ost und West gibt.«

Zugleich nahmen laut dem Papier die regionalen Unterschiede in Ostdeutschland zu. Dabei hatten besonders Berlin und das Berliner Umland in den vergangenen fünf Jahren deutlich aufgeholt. Marco Wanderwitz erklärte, es gebe zwar weiterhin schwächere Regionen im Osten. Von einer generellen Strukturschwäche könne aber keine Rede mehr sein. Deshalb gebe es auch keine Förderung eigens für die strukturschwachen Regionen im Osten mehr, sondern generell für entsprechende Gebiete im Bundesgebiet. Hier gehe es um bestimmte Indikatoren. »Himmelsrichtungen spielen dabei keine Rolle.«

Im Bereich des politischen Verhaltens sieht es da offenbar anders aus. »Die politischen Einstellungen in den neuen und den alten Ländern gehören zu den wenigen verbleibenden Feldern, auf denen man weiterhin charakteristische Unterschiede findet«, heißt es im Jahresbericht. Kennzeichnend dafür sei eine in den ostdeutschen Ländern - im Vergleich zu den westdeutschen Ländern - skeptischere, distanziertere und auch kritischere Grundeinstellung gegenüber Politik. Die Ursachen dafür sind dem Bericht zufolge vielfältig. Sie reichten von der Verklärung der DDR, über negative Transformationserfahrungen und Benachteiligungsgefühle bis hin zu rassistischen oder antisemitischen Einstellungen. Viele Ostdeutsche seien auch einfach von der Demokratie enttäuscht.

Die Unterschiede von politischen Einstellungen seien aber »gradueller und nicht substanzieller Art«, sagte Wanderwitz. Sie seien auch keineswegs so erheblich, dass sie das Zusammenwachsen in Deutschland grundsätzlich infrage stellten. So empfinde sich dem Bericht zufolge zwar ein Drittel der Ostdeutschen (33 Prozent) weiterhin als »Mensch zweiter Klasse«, aber eben auch ein Viertel (25 Prozent) der Westdeutschen.

Scharfe Kritik an dem Bericht gab es von der Linkspartei. »Der Einheitsbericht 2021 der Bundesregierung ist ein Dokument der Stagnation und der Entfremdung«, kritisierte Matthias Höhn, der Ostbeauftragte der Linksfraktion, am Mittwoch in Berlin. Die »großen Sprünge« bei der Annäherung zwischen Ost und West seien demnach bereits in den 90er Jahren geschehen. Mittlerweile nähere sich die Wirtschaftskraft aber nur noch in Minischritten an. »Zur Erklärung fällt auch dem aktuellen Ostbeauftragten nichts mehr ein als Nebelkerzen: Von flächendeckender Benachteiligung will Marco Wanderwitz nicht mehr reden, obwohl es sie nach wie vor gibt«, so Höhn. Nur die Skepsis gegenüber der Politik sei für Wanderwitz einer besonderen Erwähnung wert.

»Wer so spricht, hat weder ein klares Bild vom Osten noch vom eigenen Job«, kritisierte der Abgeordnete. Wanderwitz verdrehe zudem Ursache und Wirkung. »Wer über das Gefühl der Benachteiligung spricht, darf über die Gründe nicht schweigen.« Die Unterschiede zwischen Ost und West seien handfeste. »Es geht um Geld, um Anerkennung und um den Platz für ostdeutsche Biografien in dieser Gesellschaft«.

Der Fokus auf die Demokratiefeindlichkeit sei zudem zwar berechtigt, aber unglaubwürdig von Seiten der CDU. Während Wanderwitz davor warnt, nutze der Ex-Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, genau diese auf dem Weg in den Bundestag. All diejenigen, die sich für ein offenes, demokratisches und gleichberechtigtes Miteinander einsetzen, hätten die CDU nicht an ihrer Seite - gerade im Osten. Mit Agenturen

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