Ein Moment der Zerstörung

»Mad Love in New York« erzählt Sucht und Liebe als eine strukturell gleiche autodestruktive Suche nach einem Sog - Jetzt auf DVD

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Wort, das die letzten drei Filme der Brüder Joshua und Benjamin Safdie als gemeinsamer Nenner zusammenfasst, ist »Stress«. Als Medien des Stresses fungieren Figuren, die einer fixen Idee nachjagen, und immer ist es eine ausgesprochen schlechte. Dass man sich das Geld, das man braucht, um dem eigenen frustrierenden Leben zu entrinnen, bei einem dilettantisch ausgeführten Banküberfall zusammenklaut, damit geht es zum Beispiel in »Good Time« los. Danach zergliedert sich der Weg in den Knast für den Protagonisten in eine Abfolge von erzdummen Mikroideen, die beharrlich verfolgt werden und sich unerbittlich zu einer umfassenden Ausweglosigkeit zusammenfügen. Eine ähnliche Bewegung vollführt der verschuldete, spielsüchtige Juwelenhändler in »Uncut Gems«.

Die zunehmende Verengung der Möglichkeitsräume - jede Bewegung, jede Entscheidung verringert mehr und mehr die Handlungsmacht der Figur - korrespondiert in beiden Filmen mit einer Hektik und Atemlosigkeit evozierenden Kameraführung, das Bild nah an den Gesichtern der Figuren, die auch dann noch gehetzt wirken, wenn sie einmal, ausnahmsweise auf einem Sofa sitzen.

»Good Time« kam 2017 in die Kinos, »Uncut Gems« ist seit 2019 auf Netflix zu sehen. Der drei Jahre vor »Good Time« gedrehte und jetzt auf DVD unter dem Titel »Mad Love in New York« erschienene »Heaven knows what« nimmt atmosphärisch einiges der beiden Nachfolger vorweg: der Dauerstress der Figuren, der sich überträgt auf Zuschauerin und Zuschauer, New York als Setting, das nicht mehr als klar strukturierte Stadtkulisse ins Bild gesetzt wird, sondern als fragmentierter Ort, der Einsatz latent surreal wirkender Ambient-Musik (bei den letzten beiden Filmen von Oneohtrix Point Never, im Falle von »Mad Love in New York« von Paul Grimstad).

Die alles bestimmende Unruhe kommt hier aus einer Suchstruktur. »Mad Love in New York« basiert auf den Erinnerungen der Hauptdarstellerin Arielle Holmes, die sich hier sozusagen selbst spielt. Josh Safdie soll die damals obdachlose Holmes während der Recherchen zu »Uncut Gems« auf der Straße kennengelernt und ihr vorgeschlagen haben, ihre Autobiografie zu schreiben. Dieser bislang unveröffentlichte Text bildet die Basis für den kurz darauf entstandenen Film: eine der wirklichkeitsnahen filmischen Annäherungen an Drogensucht.

Harley (Arielle Holmes) spritzt Heroin und liebt als Süchtige. Auch »Mad Love in New York« beginnt mit einer radikal fehlgeleiteten, aber aus der Struktur der Protagonist*innen heraus plausiblen Scheißidee. Plausibel, wenn man sieht, dass die Sucht das Denken und die Handlungen umfassend bestimmt, Liebe, Droge, es ist dieselbe Logik. Die Idee nämlich in diesem Fall, dass man sich die Pulsadern aufschneiden sollte, um den Ex-Freund (Caleb Landry Jones, dessen Spiel man abnimmt, dass hier einer Sadist und Opfer zugleich ist) von seiner Liebe zu überzeugen. Das endet mit Geschrei und im Krankenhaus, dann geht es zurück auf die Straße.

Harley und ihre Freunde sind obdachlos. Anders als die durchgetaktet auf die Katastrophe zulaufenden Vorgängerfilme driften die Figuren eher ziellos durch die Stadt. Die Euphorie, die man aus den Drogenfilmen der 90er kennt, fällt weg; auch die zelebrierte Kaputtheit der »Christiane F.«-Tradition findet sich nur in Ansätzen. Bei aller Nähe der Kamera zu den Figuren bleibt der Blick, den »Mad Love in New York« anbietet, ein ruhig-registrierender.

Wieder findet sich wie auch in den übrigen Filmen der Safdie-Brüder ein Bild, der hervorsticht, ein kurzer Moment der Zerstörung der Körper. Es bricht ein einzelnes Bild durch die konstante Unruhe der Bilder gleichsam hindurch und wirkt, da man nun das Schlimmste gesehen hat, auf seltsame Weise beruhigend. In »Good Time« war es ein Sturz aus dem Fenster, in »Mad Love in New York« ist es ein Feuer. Indem der Film Sucht und Liebe als eine strukturell gleiche autodestruktive Suche nach einem Sog, der die belastende Welt zum Verschwinden bringen soll, erzählt, findet er sensiblere und genauere Bilder als das in vielem klischierte Drogenkino ansonsten.

»Mad Love in New York«: USA 2014. Regie: Benny Safdie, Josh Safdie. Mit: Arielle Holmes, Caleb Landry Jones, Buddy Duress. 93 Min. Nun auf DVD (Koch Films).

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