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Menschenfreunde sind in der Minderheit
Die Parteien unterscheiden sich beim Thema Asyl. Einigkeit besteht aber darin, dass liberale Migrationspolitik kein Gewinnerthema ist
Vor wenigen Tagen war Bundesaußenminister Heiko Maas in Madrid. Bei dem Treffen mit internationalen Politikern in der spanischen Hauptstadt sollte es um nukleare Abrüstung gehen. Doch einem Journalisten brannte noch ein anderes Thema auf den Nägeln. Er wollte von dem Sozialdemokraten wissen, wie es die Bundesregierung künftig mit Abschiebungen nach Afghanistan halten will, nachdem die Bundeswehr das Land verlassen hat und die radikalislamischen Taliban auf dem Vormarsch sind. Maas erklärte, dass er die bisherige Praxis trotz der sich immer weiter verschlechternden Sicherheitslage noch für vertretbar halte. »Bisher gab es sicherlich eine Zunahme von Gewalt, die es auch in der Vergangenheit gegeben hat. Sollte sich das weiter dramatisieren, wird sich das auch in unseren Berichten niederschlagen«, sagte der Außenminister.
Dies steht im krassen Widerspruch zum Programm, mit dem die SPD in den Wahlkampf 2017 gezogen war. Darin heißt es: »Da die Sicherheitslage in Afghanistan kein sicheres Leben zulässt, werden wir bis auf weiteres keine Abschiebungen nach Afghanistan durchführen.« Den Satz hatten Parteilinke beim Programmparteitag gegen den Willen der damaligen SPD-Spitze erkämpft. In ihrem aktuellen Wahlprogramm schweigen sich die Sozialdemokraten zu dem Thema aus.
Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Erstens ist vieles, was die Parteien in ihren Programmen vor der Bundestagswahl schreiben, mit Vorsicht zu genießen. Zweitens sehen die meisten Parteien eine liberale Flüchtlingspolitik im Wahlkampf nicht als Gewinnerthema an.
Im Programm der Grünen heißt es schwammig, dass sie Asylverfahren »fair und transparent« gestalten wollen. Die Menschen, die sich von einer Duldung zur anderen hangeln, sollen nach fünf Jahren Aufenthalt ein sicheres Bleiberecht erhalten. Ansonsten findet sich in dem Programm das Bekenntnis zu einer »menschenrechtsorientierten Geflüchtetenpolitik in Europa«. Bisher konnte man aber nicht den Eindruck gewinnen, dass Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock das Thema im Wahlkampf prioritär behandeln will. Die Grünen setzen vielmehr auf den Klimaschutz. Zur Wahrheit gehört auch, dass der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen in der Asylpolitik als Hardliner gilt und in seiner Partei sehr einflussreich ist. Kretschmanns Innenminister Thomas Strobl (CDU) warb erst kürzlich für Abschiebungen nach Syrien.
Die Linkspartei schreibt in ihrem Programm, dass die Seenotrettung eine »Selbstverständlichkeit« sein müsse. Aber auch für sie handelt es sich nicht um ein Hauptthema. Das ist vielmehr der Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit, höhere Löhne und Renten.
2017 war das Thema Flucht und Asyl noch eines der wichtigsten im Wahlkampf. Das hing mit der großen Zahl an Menschen zusammen, die damals nach Deutschland kam. Doch inzwischen funktioniert die Flüchtlingsabwehr an den europäischen Außengrenzen wegen der Zusammenarbeit der EU mit der Türkei und nordafrikanischen Staaten wieder. Wer es trotzdem nach Europa schafft, soll nach dem Willen der Bundesregierung schnell wieder verschwinden.
Innenpolitiker von CDU und SPD haben sich erst kürzlich für die Einrichtung von durch die Europäische Union finanzierten Aufnahmezentren für Geflüchtete in den europäischen Ankunftsländern ausgesprochen. »Schnelle Asylverfahren und Rückführungen könnten gerade dort gelingen«, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), der »Welt«. Die meisten der in der EU ankommenden Migranten habe sehr geringe Aussichten, Asyl zu erhalten. Der Fokus müsse also auf einer Beschleunigung der Asylverfahren und Abschiebungen liegen. »Man könnte in Spanien ein Ankunftszentrum in europäischer Verantwortung einrichten«, pflichtete ihm der SPD-Abgeordnete Lars Castellucci bei.
»An Europas Grenzen entscheidet sich die Zukunft«
Flüchtlingspolitik Pro Asyl und die Bewegung Seebrücke stellen Forderungen an eine neue Bundesregierung
In den Mitte-links-Parteien ist das Thema stark emotional besetzt. Die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bereits im Mai aufgefordert, Abschiebungen nach Afghanistan umgehend auszusetzen. Der Vorsitzende des bundesweiten Netzwerkes, Aziz Bozkurt, nannte als Begründung, dass »die Sicherheitslage vor dem Hintergrund des Abzugs des internationalen Militärs, auch der Bundeswehr, vom Auswärtigen Amt als prekär eingestuft« werde. Doch mit dieser Haltung zählt Bozkurt zu einer Minderheit in der SPD.
Nachdem die frühere Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht vor einigen Jahren von »Kapazitätsgrenzen« bei der Aufnahme von Geflüchteten gesprochen hatte, gab es auch in der Linken heftige Streitigkeiten. Vielen gilt Wagenknecht als parteiinterne Verliererin der Auseinandersetzung um die programmatische Ausrichtung der Linken. Allerdings gibt es auch in der Linkspartei zuweilen Differenzen zwischen Programm und Realpolitik. Menschen werden auch aus Bundesländern abgeschoben, in denen die Linkspartei mitregiert.
Eine Profiteurin der Debatten um Geflüchtete war lange die AfD, deren Politiker nicht selten Hetzreden gegen die Betroffenen hielten. Auf ihrem Bundesparteitag im April sprachen sich die Delegierten mehrheitlich gegen »jeglichen Familiennachzug für Flüchtlinge« aus. Umfragen in ostdeutschen Bundesländern hatten im Jahr 2019 ergeben, dass für die Wähler der AfD die Themen Ausländerpolitik und Migration am wichtigsten waren.
Um ein Gegengewicht zu diesen rechtsradikalen Kräften zu bilden, ruft das Bündnis Unteilbar kurz vor der Bundestagswahl am 4. September in Berlin zu einer Großdemonstration auf. In dem Aufruf werden unter anderem Änderungen in der Sozial- und Umweltpolitik gefordert. Außerdem steht dort: »Wir setzen uns ein für die Menschenrechte aller, für das Recht auf Schutz und Asyl und für eine gerechte Bewältigung der Klimakrise - vor Ort und weltweit. Menschenrechte sind unteilbar!« Die Demonstration dürfte auch von den Parteien des Mitte-links-Spektrums unterstützt werden. Welche Asylpolitik sie aber nach der Bundestagswahl machen werden, steht auf einem anderen Blatt.
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