Eine Zeitreise auf dem Fahrrad

TOM AUF TOUR: über einen besonderen Profi

  • Lesedauer: 3 Min.

Ein wenig erinnert die aktuelle Tour de France an die heroischen alten Zeiten, als Fahrer wilde Attacken starteten und sich noch nicht der Usos herausgebildet hatte, dass eine Mannschaft ein Rennen komplett kontrolliert. Noch mehr vom alten Modus inspiriert ist der australische Radprofi Lachlan Morton. Der trat in seinen mittlerweile neun Profijahren auch schon ganz offiziell beim Giro und der Vuelta an. Während seine Teamkollegen von Education First gerade für einen Podiumsplatz ihres Kapitäns Rigoberto Uran streiten, fährt Morton die Tour ganz allein - ohne Team, ohne Begleitauto. Er absolviert sogar die Transferstrecken, die die Profikollegen im Bus oder Flugzeug zurücklegen, mit dem Rad. Statt der offiziell 3414 muss er 5510 Kilometer zurücklegen, fast das Doppelte also. Und weil er auch am 26. Juni in Brest startete, bedeutet dies für ihn: Früh aufstehen, noch im Morgengrauen losfahren und erst dann vom Rad steigen, wenn die Sonne schon untergegangen ist.

»Das Schlimmste ist tatsächlich das frühe Aufstehen. Aber ich habe einen guten Schlaf«, sagt er. Die ganze Strecke teilt er sich in Abschnitte zwischen 200 und 400 Kilometern ein, je nach Profil. »Ich bin pro Tag mehr als 12 Stunden auf dem Rad. Die meiste Zeit geht also mit Pedaletreten drauf«, meint er. Inzwischen hat der 29-Jährige, der mit seinem Schnauzbart ein wenig an den schnellen Schornsteinfeger Maurice Garin erinnert, der 1903 die erste Tour gewann, sein Programm fast komplett abgespult. Während die Profikollegen ihren Ruhetag in Andorra absolvierten, befand er sich bereits auf der 600 Kilometer langen Transferstrecke von Bordeaux nach Paris. Am Dienstagmorgen, fünf Tage vor dem Tourtross, war er am Ziel, ein wahrlich gigantisches Unterfangen.

Inspiriert haben ihn tatsächlich die alten Zeiten. »Was ich mache, ist näher an den originalen Frankreich-Rundfahrten. Ich wollte mal ausprobieren, wie solch harte Tage wirklich sind, und auch das Land mit dem Rad erkunden«, sagt er. In den Anfangsjahren der Tour gehörten Etappen über mehr als 400 Kilometer zum Standardprogramm. Damals ging es auch im Morgengrauen los. Zu den Regeln gehörte, dass die Fahrer sich bei Pannen nicht helfen lassen durften und Ersatzteile mit sich führen mussten - wie Morton jetzt. Dieser Zeitreisende auf dem Rad setzt aber noch einen drauf: Statt sich nachts in einem Hotelbett auszustrecken, übernachtet er in seinem Schlafsack auf Campingplätzen oder im Freien.

Übung hat er mit solchen Abenteuern. Er gewann zum Beispiel den Ultraradmarathon Badlands in Südspanien. Der geht über 719 Kilometer, Morton brauchte dafür etwas mehr als 43 Stunden. Das macht das gigantische Unterfangen, dem er sich jetzt unterzieht, etwas fassbarer. Erfahrung mit ultralangen Etappenfahrten hat er ebenfalls. Gemeinsam mit seinem Bruder Gus bestritt er den etwa 3000 Kilometer langen Ritt von ihrer Geburtsstadt Port Macquarie zum Sandsteinfelsen Uluru inmitten der Wüste in nur zwölf Tagen. »Etwas mehr als 2000 Kilometer legten wir auf dem Rad zurück. Manche Strecke mussten wir aber mit dem Auto fahren, weil die Entfernung zwischen den zwei nächsten Orten mehr als 400 Kilometer betrug. Das war für einen Tagesritt dann doch zu viel«, sagte Morton. Über den Trip der Brüder gibt es den sehenswerten Dokumentarfilm »Thereabouts«, der im Jahr 2014 herauskam.

Seine jetzige »Alt Tour«, so nennt er sie offiziell, macht auch noch Werbung für einen guten Zweck. Er unterstützt die NGO World Bicycle Relief, die Fahrräder an Menschen verschenkt, die sich diese nicht leisten können. Lachlan Morton - ein Profi mit Courage und sozialer Kompetenz.

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