Salvadorianer als Versuchskaninchen

Der Politikwissenschaftler Christian Ambrosius (FU Berlin) sieht viele Risiken der Bitcoin-Einführung in dem mittelamerikanischen Land

  • Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 4 Min.

Als erstes Land der Welt hat El Salvador angekündigt, den Bitcoin zur offiziellen Währung zu machen. Was passiert da?

Präsident Nayib Bukele kündigte Anfang Juni auf einer Konferenz in Miami an, er werde Bitcoin zum legalen Zahlungsmittel in El Salvador erklären und hat dies dann im Kongress durchgepeitscht. Laut dem Gesetz soll Bitcoin innerhalb von drei Monaten legales Zahlungsmittel werden.

Welche Chancen bietet das Vorhaben? Die Regierung verspricht einen besseren Zugang zu Zahlungssystemen für Arme und Erleichterungen bei den Geldüberweisungen aus dem Ausland.

Beide Argumente halte ich für vorgeschoben und nicht besonders stichhaltig. Es braucht keine staatliche Genehmigung, um Bitcoins zu benutzen. Jeder kann dies bereits jetzt tun. Vor allem aber ist dieses Gesetz nicht notwendig, um Migranten das Geldsenden zu erleichtern. Bitcoin benutzen zu dürfen oder zu müssen, ist nicht gleichzusetzen mit finanzieller Inklusion. Dies bedeutet zuverlässige Sparoptionen, Zugang zu Krediten zu vernünftigen Konditionen oder zu Versicherungen. Bitcoin ist wegen der hohen Volatilität letztendlich Casino-Spielen. Und da sind Arme im Nachteil, weil sie nicht dieselben Möglichkeiten haben, Risiken zu streuen. Das als finanzielle Inklusion zu verkaufen, ist zynisch.

Was verspricht sich Bukele aber dann von der Einführung des Bitcoins?

Darüber rätseln viele. Es fällt auf, dass Bukele sich in seinen Erklärungen vor allem an die Investoren gewandt und im eigenen Land wenig zu dem Gesetz erklärt hat. Es gab praktisch keine vorherige Evaluierung. Man kann natürlich über die Beweggründe spekulieren. Ich kenne keinen seriösen Ökonomen, der sagt: Das ist eine gute Idee. El Salvador ist seit 2001 »dollarisiert«. Das jetzt zu ergänzen um eine zweite, sehr viel volatilere Währung, über die man ebenfalls keine Kontrolle hat, ist mit Blick auf die Währungsstabilität kein nachvollziehbarer Grund.

Was könnte Bukele stattdessen bewogen haben?

Ich vermute, dass er schlicht und einfach eine Marktnische sieht, attraktiv für Bitcoin-Investoren zu sein. El Salvador wäre das erste Land, in dem man mit Bitcoins auch wirklich Sachen kaufen kann. Die sind bisher eher Investitions- und Spekulationsobjekt, während es als Zahlungsmittel zum großen Teil im Schwarzmarkt oder im Zusammenhang mit illegalen Geschäften verwendet wird. Ein Land, das dollarisiert ist und in dem gleichzeitig Bitcoin legales Zahlungsmittel wird, ist attraktiv. Alle möglichen Arten von illegalen Aktivitäten anzulocken, damit Geld ins Land fließt - das könnte das zentrale Motiv sein. Es ist eine sehr riskante Strategie, denn damit schafft Bukele ein Paradies für Geldwäsche.

Und das vor dem Hintergrund weit verbreiteter Korruption und der Schwächung der demokratischen Institutionen durch Bukele.

Das muss man parallel mitdenken: eine Regierung, die in den ersten beiden Amtsjahren die Gewaltenteilung praktisch abgeschafft hat sowie autoritäre und antidemokratische Ambitionen zeigt. Anfang Juni beschloss die Regierung, die Zusammenarbeit mit den Korruptionsermittlern der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in El Salvador zu beenden. Zudem laufen mehrere Verfahren gegen Regierungsmitglieder wegen Bereicherung. Und wenn der Staat dann sagt, ich mache meine Transaktionen in Bitcoin, dann ist das auch eine Möglichkeit, sich einer Kontrolle zu entziehen.

Was bedeutet das für die einfachen Salvadorianer?

Letztlich ist es eine Wette: In einem positiven Szenario fließen viele Bitcoins ins Land, die Preise steigen, es gibt eine Aktivierung der Wirtschaft, und eventuell sickert etwas durch zum Rest der Bevölkerung. Doch es gibt eine ganze Reihe von Risiken. In einem negativen Szenario könnte sich die Schuldensituation verkomplizieren, da der Internationale Währungsfonds Kredite wegen des Bitcoins aus Sorge vor Intransparenz und Steuerhinterziehung nicht bewilligt. Unklar sind auch die Auswirkungen auf die Staatsfinanzen. Wenn man Einkommen in der einen, extrem volatilen Währung hat und in der anderen Währung Schulden, die man nicht bedienen kann, könnte das auch Instabilität für den Bankensektor bedeuten - und das in einer Pandemie, in der private und öffentliche Schulden ohnehin gestiegen sind.

Es gibt also sehr viele Unsicherheiten ...

Wie jede Wette kann es aufgehen, es kann aber auch ganz gehörig schiefgehen. Das Problem ist, dass es keine transparente Diskussion über Ziele und Risiken gibt. Es ist ein großes Experiment, bei dem der Großteil der Salvadorianer die Versuchskaninchen sind, die nicht informiert werden über das, was das letztendlich bedeutet.

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