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Verschärfter Notstand
Die Plünderungen in Südafrika sind Folge der korrupten Unterwanderung des Staats und extremer Armut
Nach Tagen schwerster Plünderungen und Ausschreitungen ist die Sicherheitslage in Südafrika wieder weitgehend unter Kontrolle. Nun wird das Ausmaß des Notstands in den betroffenen Provinzen Gauteng und KwaZulu-Natal mehr und mehr offensichtlich. Mindestens 117 Menschen sind tot. Vor den wenigen verbliebenen Einkaufsmärkten bildeten sich am Freitagmorgen lange Schlangen. Es fehlt an Nahrungsmitteln, Medikamenten und Kraftstoff.
Große Hoffnung konnte am Freitag auch eine Kurzvisite von Präsident Cyril Ramaphosa nicht verbreiten, der sich erstmals seit Beginn der Ausschreitungen am Donnerstag vergangener Woche persönlich ein Bild der Lage machte. Knapp drei Minuten lief der Staats- und Regierungschef vor laufenden TV-Kameras eines der weniger zerstörten Einkaufszentren in Durbans Township KwaMashu ab, stellte sich dann - geschützt von einem Heer von Bodyguards und drei Radpanzern - noch fünf Minuten einigen wenigen Fragen der Reporter und entschwand umgehend wieder aus der Krisenprovinz, nach eigener Aussage zu einer Kabinettssitzung in der Hauptstadt Pretoria.
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»Es ist ziemlich offensichtlich, dass diese Gewaltakte und Plünderungen angezettelt wurden«, erklärte Ramaphosa und kündigte an, die Verantwortlichen ausfindig zu machen. Polizeiminister Bheki Cele hatte bereits am Dienstag erklärt, dass seine Behörde »zehn bis zwölf« Personen identifiziert habe, die für die Anstiftung des Chaos verantwortlich seien. Cele erklärte zudem, die Polizei hätte weitere Anschläge verhindert, unter anderem eine Attacke auf ein Krankenhaus, das die Täter »mit den Patienten drinnen niederbrennen« hätten wollen. Wie viel davon wahr und wie viel davon Schutzbehauptung ist, ist derzeit noch unklar. Offensichtlich war jedoch, dass Südafrikas Polizei den Plünderungen von Einkaufszentren, Warenhäusern und Distributionslagern tagelang nichts entgegenzusetzen hatte. Während die Plünderer TV-Reportern Interviews gaben, waren vielerorts überhaupt keine Einsatzkräfte zu sehen, andernorts sahen Polizisten dem Treiben machtlos zu. Auch das Ausrücken der Armee, von Ramaphosa am Montag angewiesen, lief über Tage nur schleppend an. Inzwischen sind 10 000 Soldaten im Einsatz, weitere 15 000 sollen in den nächsten Tagen noch hinzukommen. Es ist der größte Einsatz des südafrikanischen Militärs seit dem Ende der Apartheid 1994.
»Wir hätten es besser machen können, aber wir wurden von der Situation übermannt«, erklärte Ramaphosa am Freitag auf Nachfrage von Reportern. Das war nicht weniger als das Eingeständnis eines Versagens der Ermittlungsbehörden und Geheimdienste. Die Krise in Südafrika ist auch das Resultat der jahrelangen systematischen Unterwanderung sämtlicher Organe der Sicherheitskräfte durch Ex-Präsident Jacob Zuma. Am Mittwoch vor einer Woche wurde der 79-Jährige inhaftiert, tags darauf hatten die Ausschreitungen begonnen - öffentlich angefeuert von hetzerischen Kommentaren von Vertrauten Zumas. Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass auch innerhalb der Geheimdienste noch etliche Zuma-Schergen arbeiten, die den Aufstand aktiv mitorganisiert haben sollen.
Das Perfide an den Plünderungen ist, dass die korrupten Schergen des alten Regimes die von ihnen selbst mitverursachte bittere Armut der großen Bevölkerungsmehrheit in Südafrika zur Waffe gemacht haben. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist seit dem Ende der Apartheid nicht kleiner, sondern sogar noch größer geworden. Nirgendwo auf der Welt liegen Einkommen und Vermögen der Menschen so weit auseinander wie an der Südspitze Afrikas. Die extreme Armut, während man gleichzeitig das Luxusleben der Oberschicht vor Augen hat, führt zu Wut und einer enorm hohen Kriminalitätsrate, seit Jahrzehnten.
Ramaphosa treibt den neoliberalen Umbau der Gesellschaft, der bereits Ende der 1990er Jahre von Zumas Vorgänger Thabo Mbeki eingeleitet worden war, noch weiter voran. Angesichts leerer Staatskassen präsentiert er Kürzungen im öffentlichen Dienst sowie Privatisierungen von staatseigenen Betrieben als unumgänglich, für wirtschaftlichen Aufschwung sollen nun internationale Investoren sorgen. Die Arbeitslosenquote ist seit seinem Amtsantritt im Februar 2018 weiter gestiegen, derzeit liegt sie offiziell bei 32,6 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit gar bei 46,3 Prozent.
Die Corona-Pandemie und die von der Regierung durchgesetzten Lockdown-Regularien haben die Situation noch einmal verschärft. Etwa drei Millionen Menschen verloren im ersten Lockdown vor einem Jahr ihre Arbeit, erholt hat sich Südafrika davon bis heute nicht. Ein Massensterben, vor allem in den Armenvierteln, wo die Menschen dicht an dicht gedrängt leben, konnte dennoch nicht gestoppt werden. In den Protesten bricht sich nun auch der Frust über die Pandemiepolitik, über Lockdowns und mangelnde Gesundheitsversorgung Bahn. Randalierer griffen auch Polikliniken und Arztpraxen an, landesweit wurden mindestens 90 Apotheken geplündert.
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Ramaphosa wirkt infolge der Ausschreitungen angeschlagen, scheint die Krise aber politisch zu überleben. Am härtesten spüren ihre Folgen die Menschen in den betroffenen Gebieten. Vielerorts ist die Lieferkette zu den letzten noch geöffneten Einkaufsmärkten unterbrochen, es fehlt an Grundnahrungsmitteln, Reporter berichten von drastisch erhöhten Brotpreisen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung in der Elf-Millionen-Einwohner-Provinz KwaZulu-Natal hat nach Angaben des Apothekerverbands zudem keinen Zugang mehr zu Medikamenten, darunter auch chronische Patienten, die an HIV, Diabetes oder Krebs leiden und deren Zustand sich schnell verschlechtern kann. Das Corona-Impfprogramm ist unterbrochen, auch viele Testzentren sind geschlossen.
Vor den wenigen Tankstellen, die noch Treibstoff haben, bilden sich lange Staus. Selbst Gesundheitspersonal kann so vielerorts nicht zur Arbeit kommen. Die wichtigsten Verkehrsverbindungen - auf Straße und Schiene - zwischen dem ökonomischen Zentrum Johannesburg sowie den Agrarzentren im Norden des Landes und der Hafenmetropole Durban sind wegen der Gefahr weiterer Plünderungen noch immer unterbrochen. Seit Freitag versucht die Polizei nun einzelne Lkw-Konvois unter bewaffnetem Schutz wieder fahren zu lassen. Der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur, auch zur Verteilung von Nahrung und Medikamenten, wird nach ersten Schätzungen jedoch noch Jahre dauern.
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