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Die Moralkeule trifft
Die Grünen im Stimmungstief – den Maßstab dafür haben sie selbst gelegt
Die Kanzlerkandidatin hat das Heft des Handelns nicht mehr in der Hand, die Schlachtreihen der öffentlichen Auseinandersetzung um ihre Person formieren sich ohne ihr Zutun. CSU-Generalsekretär Markus Blume nennt die Kandidatin inzwischen »Schummel-Baerbock«, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder betrachtet die Grünen-Konkurrenz mit schrägem Blick von oben, indem er konstatiert, sie sei noch nicht bereit fürs Regieren. Zugleich entlädt sich eine Welle der Häme in den sozialen Medien über Baerbock und den Grünen, pure Boshaftigkeit tobt sich aus.
Die Grünen sprechen von politischem Rufmord. Die Frage, ob Baerbock als Person, etwa, weil sie eine Frau ist, zudem erfolgreich und redegewandt, oder ob die Grünen es sind, die im Fokus der Angriffe stehen, wird vielfach erörtert. Und der Verdacht, hier handele es sich um eine großangelegte Kampagne, ist schnell geäußert.
Dass es so einfach nicht ist, dafür spricht schon, dass selbst Horst Seehofer die Kritik an Baerbock übertrieben findet, wie er in der »Süddeutschen« bekundete. Eine Kampagnenzentrale der Konservativen braucht es nicht, sie ist nicht Voraussetzung für den Sturm, der die Kandidatin derzeit niederdrückt. Es gibt genug Skeptiker und Kritiker in der Gesellschaft, die sich von den Grünen herausgefordert sehen und ihrem Misstrauen nur zu gern Ausdruck verleihen. Und der österreichische Medienwissenschaftler Stefan Weber, der Baerbocks Buch unter die Lupe nahm und diverse Ähnlichkeiten zu anderen Texten moniert, spricht davon, er habe sich in den Fall »verbissen«, weil »da einiges zusammenkommt«, was er ethisch problematisch finde. Ob er dabei auf eigene Rechnung handelt, wie er beteuert, oder im Auftrag von irgendwem, ändert an dem Gehalt der Vorwürfe nichts.
Die Mediengesellschaft folgt Ritualen, die immer wieder zu solchen Stürmen führen. Auch CDU-Politiker sind dabei schon Opfer geworden – ein Beispiel ist der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff. Es ist Teil der politischen Realität, dass die Konkurrenz jede Schwäche, jeden Fehler des Gegners gnadenlos nutzt. Hinzugekommen ist die Unerbittlichkeit der sozialen Medien. Ressentiments kreuzen sich hier mit realen Beschwernissen frustrierter Menschen, und immer sind Enthüllungen, reale oder erfundene, Werkzeug nicht nur der politischen Auseinandersetzung, sondern auch für Diffamierung.
Politik ist das Austragen von Interessenkonflikten. Zugleich bietet sie Platz für Selbstverwirklichung und damit immer wieder auch zur Selbstinszenierung, ist Hoffnungsort für Menschen, die »etwas« aus sich machen wollen. Gesellschaftliche Interessen werden damit plötzlich Mittel zur eigenen effektvollen Präsentation. Für die Wähler ist das ein Problem, sind sie doch darauf angewiesen, dass die Kandidaten nach der Wahl auch durchsetzen, was sie zuvor angekündigt haben. Glaubwürdigkeit ist ein zentrales Kriterium für den Erfolg von Parteien.
Die Unerbittlichkeit der Kritik an der Politik generell, aber auch an den Grünen rührt zu einem Teil aus Enttäuschungen von Menschen. Dafür gibt es Gründe zur Genüge. Die Grünen befinden sich in einem zusätzlichen Dilemma. All ihre politischen Ziele sind begleitet von hohem moralischen Anspruch. Das Ziel des Klimaschutzes verbinden sie mit der Forderung nach Verhaltensänderungen. Die Menschenrechte führen sie mit einer unverhohlenen Militanz gegenüber deren vermeintlichen Feinden im Munde – etwa gegenüber Russland. Zugleich sind sie aus ihrer Regierungszeit zwischen 1998 und 2005 nicht als Partei des sozialen Ausgleichs in Erinnerung, etwa gegen den Umbau der Sozialsysteme durch die Agenda-SPD, sondern als Kriegspartei, die den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr seit dem Zweiten Weltkrieg mitzuverantworten hat.
Die aktuellen Probleme der Grünen und ihrer Kanzlerkandidatin mit einer Kampagne des ewiggestrigen Patriarchats zu begründen, folgt dem Hang dieses moralisch grundierten Weltbildes, das die Welt in Gut und Böse einteilt und die Grünen auf der Seite des Guten verortet. Alles, was dem zuwiderläuft, findet sich schnell auf der gegnerischen Seite einsortiert, Kompromisslosigkeit gehört zum politischen Gestus der Grünen.
Und dann scheint der Partei eine schillernde Oberfläche ihrer Kandidatin wichtiger zu sein als ehrliche Präsentation, auf eine Tiefenprüfung zeigt sie sich nicht eingestellt. Bietet sie, bietet Baerbock damit nicht Indizien, hier präsentiere sich jemand, der die Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttern könnte, aber womöglich die nötige Ernsthaftigkeit vermissen lässt, wenn es um die Bewältigung der Folgen für sehr viele Menschen geht?
Wie soll man sonst verstehen, dass die Grünen-Wahlkampfzentrale den Lebenslauf der Kandidatin nicht selbst auf Schwachstellen geprüft hat oder ihr Buch einem Plagiatstest zu unterziehen versäumte? Es gibt genug Gründe, die Bücher von Prominenten misstrauisch zu betrachten. Und die Grünen, die die Plagiatsvorwürfe zurückweisen, weil es sich in Baerbocks Buch nicht um geistigen Diebstahl, sondern um allgemein zugängliche Fakten oder bekannte Positionen der Partei handele, bekunden mit dieser Ausrede, dass das Buch als Wahlkampfinstrument gedacht ist, als nichts sonst.
Sie nutzten einen Trend, den nicht sie erfunden haben, der aber Oberflächlichkeit geradezu notwendig produziert. Promis schreiben Bücher. Nicht zuletzt die Verlage sind Treiber dieser Entwicklung. Bücher von Prominenten verkaufen sich, und wenn sie sich nicht verkaufen, dann verursachen sie doch wenigstens eine Welle von Rezensionen, von denen die Häuser profitieren können. Künstler, Journalisten, Politiker streben ihrerseits nach Autorenruhm, meist, wenn sie es in einer Sparte zu einiger Bekanntheit gebracht haben. Dagegen versucht Baerbock ihre Bekanntheit – umgekehrt – mithilfe eines Buches zu steigern. Das ist legitim, verspricht aber keinen Erkenntnisgewinn über das Parteiprogramm hinaus. Damit gibt es für interessierte Wähler wenigstens ein nützliches Ergebnis: Zeitgewinn. Etwas anderes lesen.
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