Pandemie-Olympia? Ohne mich!

Strenge Corona-Regeln und die fehlende Fanatmosphäre führten zu einer Absagewelle für Tokio

Manche führten kleine Wehwehchen an, andere scheuten den angeblichen Reisestress. Nur Deutschlands bester Golfer Martin Kaymer nahm kein Blatt vor den Mund, als er vor wenigen Wochen seinen Verzicht auf die an diesem Freitag offiziell beginnenden Olympischen Spiele von Tokio erklärte: »Teamspirit, Austausch mit anderen Spitzenathleten, Emotionen, Leidenschaft: All das macht für mich Olympia aus. Der Teamspirit ist aber nicht da. Wir Golfer wohnen nicht im Olympischen Dorf. Es gibt kein deutsches Haus. Es ist diesmal nur ein ganz normales Turnier«, sagte Kaymer, der 2016 in Rio noch so überschwänglich seine olympische Premiere genossen hatte. In Tokio gehe es nur »ums Geld. Das wird nur so durchgezogen. Es gibt zu viele Restriktionen.« Dass Olympia mit strengen Corona-Regeln, dafür aber ohne Zuschauer noch Spaß machen wird, damit rechnet kaum jemand. Und so verzichten ungewöhnlich viele Stars wie Kaymer auf ihre Teilnahme in diesem Jahr.

Der beste englische Golfer Tyrrell Hatton begründete seine Absage mit »Problemen rund um Covid-19 und unserem engen Terminplan«. Auch der bis vor einer Woche noch auf Platz eins der Weltrangliste stehende US-Amerikaner Dustin Johnson meinte, er würde lieber auf der PGA-Tour spielen, als sich den Reisestress von den British Open in England über Olympia in Japan zurück heim auf die US-Tour anzutun.

Eine noch größte Absagewelle verzeichnete der Tennissport. Roger Federer und Rafael Nadal, zwei der größten Protagonisten der Szene sagten offiziell verletzungsbedingt ab. Ebenso Serena Williams und die Kielerin Angelique Kerber, obwohl letztere gerade noch das Halbfinale in Wimbledon gespielt hatte. Immerhin: Serbiens Starspieler Novak Đoković ist dabei und hat weiter die Chance auf den »Golden Slam«, den Sieg bei allen vier Grand-Slam-Turnieren und bei Olympia. Das gelang bislang in der Tennishistorie nur der Deutschen Steffi Graf 1988.

Auch im Basketball fehlen viele der ganz großen Namen: Stephen Curry, LeBron James, James Harden, Russell Westbrook und einige andere sagten US-Trainer Gregg Popovich ab. Dazu muss dieser nun wohl auch noch kurzfristig auf Bradley Beal und Sprungwunder Zach LaVine verzichten - offenbar wegen positiver Coronatests bei ihnen oder in ihrem direkten Umfeld. Das »Dream Team«, das kaum noch so genannt werden kann, brach jedenfalls am Montagabend ohne die beiden nach Tokio auf.

Währenddessen muss die deutsche Basketballmannschaft ebenfalls auf ihren besten Mann verzichten. Aufbauspieler Dennis Schröder hat derzeit keinen Verein in der NBA, hofft aber, bis zum Herbst einen neuen Vertrag mit dreistelligem Millionensalär über mehrere Jahre unterschreiben zu können. Olympia stellt dabei eine Gefahr dar, schließlich könnte er sich eine schwere Verletzung zuziehen, die alle Verhandlungsziele zunichtemachen würde. Schröder und der Deutsche Basketball Bund fanden keine Versicherung, die diese Summe zu einer bezahlbaren Prämie absichern wollte, also blieb Schröder zu Hause.

Deutsche Stars sucht man auch bei den Fußballern vergeblich. Trainer Stefan Kuntz konnte nicht einmal die möglichen 22 Kaderplätze besetzen, weil die Bundesligisten ihre besten Spieler nicht freigeben wollten. Von den EM-Fahrern ist niemand dabei. »Wir mussten im Januar eine 100er-Liste erstellen. Wir haben alle Spieler auf dieser Liste abtelefoniert. 18 sind übrig geblieben«, sagte der frustrierte Trainer. Dagegen stellt Spanien gleich sechs Athleten aus seinem EM-Halbfinalteam ab.

Auch bei den Leichtathleten fehlen einige Größen des Sports. So durfte der schnellste Sprinter der Welt nicht nach Tokio reisen: Christian Coleman aus den USA, der 2019 noch WM-Gold über 100 Meter gewonnen hatte, verpasste danach drei Dopingtests und wurde gesperrt. Seine Landsfrau Sha’Carri Richardson, die zuletzt mit sehr schnellen Zeiten geglänzt hatte, wurde wegen Cannabiskonsums suspendiert. Auch das steht auf der Dopingliste.

Weitere frühere Weltmeister fehlen aus anderen Gründen: Die Südafrikanerin Caster Semenya darf nach der Einführung einer umstrittenen neuen Testosteronregel durch den Leichtathletik-Weltverband nicht mehr bei den Frauen über ihre Paradestrecken 800 und 1500 Meter laufen. Ihre Versuche, sich auf kürzeren oder längeren Distanzen zu qualifizieren, scheiterten allesamt. Großbritanniens ehemaliger Wunderläufer Mo Farah und Deutschlands früherer Kugelstoßweltmeister David Storl verpassten ebenfalls die Norm für die Spiele. Ob sie sich die lange Reise zu Olympischen Spielen ohne jegliche Atmosphäre überhaupt antun wollen, mussten sie also gar nicht entscheiden.

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