»Recht auf Wahrheit bleibt symbolisch«

Der Historiker und Jurist Josep Cruanyes hält das Gesetz zur demokratischen Erinnerung für unzureichend

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 5 Min.

Die spanische Regierung will mit einem neuen Gesetz das Andenken an die Opfer der Franco-Diktatur wiederherstellen. Wie bewerten Sie den Entwurf, der nun das Kabinett passiert hat?

Er basiert auf einem vorhergehenden Gesetz der sozialistischen Zapatero-Regierung (2004-2011, d. Red.). Es werden Aspekte hinzugefügt, aber andere bleiben weiter unberührt. Man nimmt offiziell das Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung der Vereinten Nationen als Basis, geht das real aber nicht an, bleibt symbolisch. Es ist für Sie in Deutschland sicher unbegreiflich, dass an der Straffreiheit nichts geändert wird und geraubte Güter weiterhin nicht zurückgegeben werden sollen.

Josep Cruanyes

Josep Cruanyes ist Anwalt und Historiker sowie Präsident der »Katalanischen Gesellschaft für Juristische Studien«. Er war maßgeblich an der Ausarbeitung des katalanischen Gesetzes zur Wiederherstellung der historischen Erinnerung an die Opfer der Franco-Diktatur beteiligt. Über die spanische Version sprach mit ihm Ralf Streck.

Was bedeutet es, wenn in dem Gesetzesentwurf die Gerichte der Franco-Diktatur als »illegitim« bezeichnet werden?

Die Gerichte waren nicht illegitim, sondern illegal. Doch man weigert sich in Madrid weiterhin, dies anzuerkennen, Unrechtsurteile werden deshalb auch nicht annulliert. Die Betroffenen sollen nur ein Dokument der Regierung mit einer persönlichen Anerkennung erhalten. Das bedeutet eigentlich real nichts. Aber es wird klar ausgeführt, dass Betroffene kein Recht auf eine Entschädigung haben. Angehörige der Opfer wollen meist keine finanzielle Entschädigung, das aber festzuschreiben, ist auffällig. Carme Ballester, die Witwe des 1940 ermordeten katalanischen Regierungschefs Lluis Companys, hatte in ihren letzten Lebensjahren eine Rente aus Deutschland erhalten, da die Gestapo Companys an Spanien ausgeliefert hatte. Aus Spanien bekam sie nie etwas. Im katalanischen Parlament wurde dagegen 2017 ein Gesetz verabschiedet, das klarstellt, dass die Gerichte der Franco-Zeit illegal konstituiert waren. Dafür hatte in Katalonien allein die Regionalregierung die Kompetenz. Deshalb waren auch alle Verfahren und Urteile illegal.

Sehen Sie einen substanziellen Fortschritt im neuen Gesetz der Regierung von Pedro Sánchez im Vergleich zum Zapatero-Gesetz aus dem Jahr 2007?

Achtung, das ist bisher nur ein Entwurf. Wir haben gesehen, wie der Entwurf von Zapatero damals verwässert wurde. Bisher sind einige reale Fortschritte geplant, die in dessen Gesetzesentwurf vorgesehen waren, aber nicht konkretisiert wurden. Fortschritt gibt es beim neuen Entwurf in der Frage der Massengräber. Definiert wird, dass es die Aufgabe des Staates ist, die Öffnung vorzunehmen und sie zu bezahlen. Das hatten Autonome Gemeinschaften wie Katalonien, das Baskenland oder Valencia längst getan. Bekommen die ihre Ausgaben zurück? Bleibt das die Aufgabe der Regionalregierungen? Können sich von der rechten Volkspartei (PP) regierte Regionen wie Madrid weiter weigern, Massengräber auszuheben? Das ist unklar.

Wird die Franco-Stiftung verboten, wie berichtet wird?

Es wird nur von der »Auflösung« der Stiftungen gesprochen, deren Ziel die Verherrlichung Francos, des Putsches (1936, d. Red.) oder der Diktatur (1939-75, d. Red.) ist. Das soll nicht automatisch geschehen, sondern nach einem Verfahren. Es ist also möglich, dass ein Richter keine Verherrlichung sieht.

Ist das Ende der Straflosigkeit nahe, da eine Staatsanwaltschaft für die Verbrechen des Franquismus aufgebaut werden soll?

Auch die ist nur symbolisch. Sie kann keine Verfahren einleiten, dabei leben noch Folterer aus der Franco-Zeit. Ich weiß nicht, warum ein Staatsanwalt die Öffnung von Massengräbern kontrollieren soll, wenn die Täter nicht ermittelt werden sollen. Am Amnestiegesetz soll nicht gerüttelt werden. Dabei ist über das Völkerrecht geklärt, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht amnestiert werden können. Sie verjähren auch nicht. Spanien hat entsprechende Vereinbarungen wie den UN-Sozialpakt ratifiziert. Das geschah sogar noch, bevor die Verbrechen amnestiert wurden. Man findet gerne Ausreden, um internationale Vereinbarungen nicht umzusetzen.

Im Zapatero-Gesetz aus dem Jahr 2007 wurden schließlich Putschisten mit den Verteidigern der Republik gleichgesetzt. In Madrid wurden auf Basis dieses Gesetzes sogar Straßennamen von Sozialisten beseitigt, dabei sollten Namen der Putschisten aus dem Stadtbild entfernt werden. Wo deren Namen getilgt wurden, werden sie auf Entscheidung der Justiz immer häufiger zurückbenannt. Werden solche Auswüchse nun beseitigt?

Hier wird die Grundlage nicht beachtet, dass die Politik und die Gesetze darauf ausgerichtet sein sollen, dass sich Vorgänge wie damals nicht wiederholen können. Aber nicht alle Institutionen im Staat haben demokratische Prinzipien verinnerlicht. Für mich ist unbegreiflich, dass ein Gesetz, das schon explizit die Beseitigung der Symbole des Franquismus vorsieht, so von der Justiz interpretiert werden kann. Viele franquistischen Symbole wurden bisher auch nicht beseitigt. Das wirft uns auf grundlegende Fragen zurück. Solange es daran keine Veränderung gibt, kann man viele Gesetze verabschieden.

Warum wurde erst 80 Jahre nach der Ermordung von Companys ein erster Stolperstein im Herbst 2020 zum Andenken an ihn in Barcelona verlegt?

Auch das dürfte Sie in Deutschland überraschen. Bis 1996 hatte man hier nicht einmal Einblick in die Urteile der Kriegsgerichte. Erst nach etlichen Einsprüchen erhielt ich Zugang zum Companys-Urteil. Familien anderer Opfer hatten noch viel länger keinen Einblick. Erklärt wurde, »Persönlichkeiten« könnten davon beschädigt werden. Es wurden Beteiligte geschützt, Rechte von Opfern und Angehörigen ignoriert.

Wieso ist es auch in Barcelona so schwer, mit einer progressiven Bürgermeisterin wie Ada Colau, Stolpersteine zu verlegen? Es hat mehr als fünf Jahre gedauert, um den ersten zu verlegen.

Mich verwunderte die Argumentation aus dem Rathaus, wo das nur als »Ausnahme« genehmigt wurde. Es gibt nichts zu genehmigen, wenn an Faschismusopfer erinnert werden soll. Das ist eine Sache der Angehörigen oder privaten Initiativen. Bestenfalls ist das ein formaler Akt. Man hat offenbar Angst, dass viele Steine verlegt werden, weil es viele Opfer gab. Als ich einst in Berlin war, sah ich erstmals diese Stolpersteine. Sie erklären sich von selbst, niemand musste mir erklären, dass dort Opfer der Nazis gelebt hatten. Darüber wird die Dimension der Unterdrückung deutlich.

Wie erklären Sie sich all diese Vorgänge?

Es gab nie einen wirklichen Bruch mit dem Franco-Regime. Bis heute fordern wir zum Beispiel, die ehemalige Folterzentrale der Polizei in Barcelona in ein Zentrum zur Erinnerung an die Opfer der Repression umzuwandeln. Dagegen protestiert sogar die Gewerkschaft der Nationalpolizei. Es ist wohl kaum vorstellbar, dass eine Polizeigewerkschaft in Deutschland sich so verhalten würde.

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