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Gescheiterte Hoffnung
Naomi Osaka steht in Japan für sehr viel mehr als nur große Siege im Tennis
»Ich will die Mädchen da draußen, die jetzt gerade zusehen, inspirieren«, sagt eine ernste Stimme aus dem Off. »Diejenigen, von denen einige Leute sagen, sie seien zu anders, zu ruhig, zu irgendwas.« Bilder zeigen eine Breakdancerin, wie sie sich auf dem Boden dreht, und eine Fechterin, die auf Angriff geht. Dann eine Tennisspielerin, die den Ball zum Aufschlag wirft. Die Sprecherin holt Luft: »Und wenn wir nicht die Erwartung der Leute erfüllen? Gut so. Das bedeutet nur, dass wir diejenigen sind, die was verändern können.«
Dieser einminütige Werbespot, mit dem das IOC kurz vor Beginn der Olympischen Spiele Vorfreude erzeugen wollte, wirkt so, als spräche er einer seiner Protagonistinnen aus der Seele. Schließlich war Naomi Osaka, Star des Spots und Japans wohl bekannteste Athletin, schon lange als Gesicht der Spiele von Tokio eingeplant. Bei der Eröffnungsfeier war sie es auch, die im Stadion das Feuer entzündete. Der größte Moment ihrer Karriere war dies, sagte sie kurz danach. Sie empfinde Dankbarkeit, und wolle Gold holen.
Das ist nun nicht mehr möglich. Am Dienstag schied die Favoritin mit 1:6 und 4:6 gegen Marketa Vondrousova aus Tschechien im Achtelfinale aus. Die Enttäuschung hierüber ist nicht nur auf sportlicher Ebene einzuordnen, wo das Gastgeberland bisher mit sehr guten Ergebnissen verwöhnt ist. Die 23-jährige sollte für viel mehr stehen als für Höchstleistungen. Getragen von Persönlichkeiten wie ihr, so schwebt es den Organisatoren vor, soll durch Japan ein frischer Wind wehen. »Unity in diversity« lautet eines der Mottos dieser Spiele: Einheit in Vielfalt.
Japans Gesellschaft besticht bisher nicht durch das Leben von Vielfalt. Das olympische Gastgeberland mit einer harten Migrationspolitik hat einen Ausländeranteil von nur gut zwei Prozent. Man beschreibt sich oft als »homogene Gesellschaft«, in der sich alle relativ ähnlich seien. Oft werden damit die niedrige Kriminalitätsrate und die Harmonie im öffentlichen Raum erklärt, ebenso die noch relativ geringen Infektionszahlen in der Pandemie. In den letzten Jahren mehrten sich aber auch die Stimmen, die in der vermeintlichen Homogenität eine Bremse für Offenheit, Innovation und Wirtschaftswachstum sehen. »Tokyo 2020« sollte einen Anschub geben.
Als Vorreiterin eines solchen Wandels scheint Naomi Osaka wie gemacht. Jeder in Japan kennt sie, denn ihre Erfolge im Tennis hat vor ihr niemand aus dem Land auch nur annähernd erreicht: vier Grand-Slam-Turniersiege, zeitweise Platz eins der Weltrangliste. Das US-Wirtschaftsmagazin »Forbes« listet sie seit letztem Jahr als die bestbezahlte Sportlerin der Welt. Neben ihren Turnierprämien verdient sie auch an Sponsorenverträgen. Unter anderem der Finanzdienstleister Mastercard, Sportartikelhersteller Nike, Autobauer Nissan und Lebensmittelkonzern Nissin werben mit Osakas Gesicht.
Kaum jemand in Japan steht so öffentlich für heutzutage weitgehend anerkannte Werte wie Diversität und Antidiskriminierung. Die Tochter einer japanischen Mutter und eines haitianischen Vaters hat dunklere Haut als die meisten Menschen in ihrer Heimat. Osakas Eltern, deren Beziehung in Japan auf Ablehnung stieß, zogen mit der jungen Naomi in die USA, wo sie aufwuchs und das Tennisspielen lernte. Später machte Osaka in Japan ihre eigenen Erfahrungen mit Rassismus. Ihr Sponsor Nissin designte für eine Werbekampagne eine Mangafigur auf Grundlage der Tennisspielerin, färbte dafür aber die Haut weiß.
Aber Naomi Osaka ist eine, die sich wenig gefallen lässt. Sie kritisierte Nissin öffentlich für das Whitewashing. Letztes Jahr trug sie bei den US-Open Gesichtsmasken, die mit den Namen von Todesopfern rassistischer Gewalt bedruckt waren. Dieses Jahr verkündete sie dann vor den French Open, sie werde keine Pressekonferenzen geben, weil sie keine Fragen hören wolle, die Zweifel in ihr nährten. Auf die Drohung mit Turnierausschluss zog Osaka freiwillig zurück, begründete den Schritt mit Depressionen und nahm sich gleich eine längere Auszeit.
International wird Osaka für diese Offenheit gefeiert. In Japan kommt solch ein bestimmtes Auftreten nicht immer gut an. Als sie wegen ihrer Gesichtsmasken international als Botschafterin der »Black Lives Matter«-Bewegung gefeiert wurde, diskutierte man in Japan auch darüber, ob dies überhaupt die Rolle von Athleten sei. In Japan ist es bisher nicht üblich, als Sportler seine Meinung zu sozialen Themen zu äußern. Auch taucht immer wieder die Frage auf, wie japanisch Naomi Osaka als dunkelhäutige Person, die zudem auf Pressekonferenzen eher auf Englisch als auf Japanisch antwortet, überhaupt sei.
Nun hätte sie den verschlossenen Teilen der japanischen Gesellschaft wohl die Herzen öffnen können, indem sie bei den Spielen von Tokio Erfolge eingefahren hätte. Bis zum Dienstag spielte sie sich locker durchs Turnier und bestätigte ihre Favoritenrolle. Bösen Zungen war schon wieder aufgefallen, wie sie auf Japanisch gestellte Fragen nach dem Match prompt auf Englisch beantwortete. Sie erfüllt eben nicht alle Erwartungen um jeden Preis. Hier in Tokio allerdings auch die sportlichen nicht.
Die japanischen Medien verharrten in Schockstarre. Anstatt sich am Dienstag mit dem Scheitern des größten Stars auseinanderzusetzen, wurde umso mehr über die Erfolge in anderen Sportarten berichtet.
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