- Sport
- Synchronspringen
Achterbahn in der Schwimmhalle
Unerwarteter Jubel: Die Synchronspringer Patrick Hausding und Lars Rüdiger gewinnen Bronze
Es war vermutlich sein finaler Sprung in ein olympisches Wasserbecken. Und der hielt für Patrick Hausding noch einmal das große Gefühlskino parat. Der Berliner erlebt in Tokio gerade seine vierten Olympischen Spiele - und die letzten seiner Karriere. In Peking 2008 hatte er Silber gewonnen, 2016 in Rio de Janeiro Bronze. Doch: »Ich hatte noch nicht alles erlebt«, sagte der 32-Jährige im Bauch des Aquatics Centers, »erst jetzt habe ich alles erlebt.« Vier Medaillen bei Welt- und gar 32 bei Europameisterschaften hat Hausding gewonnen, Triumphe und Tragödien vom Turm und den Brettern feiern beziehungsweise hinnehmen müssen. So vieles hatte er gesehen, aber eben noch nicht solch ein unerwartetes Comeback wie bei diesem Wettkampf am Mittwoch.
Nach dem letzten Sprung im Finale des Synchronspringens vom Drei-Meter-Brett hockte Hausding auf einer Stufe am Rande des Beckens, ein Stück hinter ihm stand Lars Rüdiger, sein Sprungpartner. Beide schauten gebannt auf die Anzeigetafel, und die Sekunden verrannen gefühlt so langsam wie Stunden. Im »verrücktesten Wettkampf unseres Lebens«, wie Hausding später sagen sollte, wurde die Spannung auf die Spitze getrieben.
»Wir haben heute nicht unseren besten Wettkampf gemacht«, erklärte Hausding. Vor der letzten von sechs Runden lag das deutsche Duo nur auf dem sechsten Rang. Sprung vier und fünf waren ihnen zuvor nicht gelungen. Im gesamten Wettkampf waren Hausding und Rüdiger nie besser als auf Rang vier platziert. Und doch hatte es vor dem letzten Sprung der Veranstaltung plötzlich noch eine kleine Chance auf eine Medaille gegeben. Alle anderen Paare waren bereits fertig. Olympiasieger China und die USA waren weit enteilt, Gold und Silber nicht mehr in Reichweite. Die direkte Konkurrenz der Deutschen hatte zuvor jedoch Fehler gemacht: Die Russen hatten völlig verpatzt, ihr Sprung war nicht synchron und wurde deshalb nicht gewertet. Die Italiener und vor allem die Mexikaner hatten kleinere Schwächen gezeigt, die zu Punktabzügen führten.
Ein Blick und eine Geste von Bundestrainer Christoph Bohm gab den entscheidenden Schubs vor dem eigenen Versuch. »Christoph hat nichts gesagt, aber wir haben durch ihn gemerkt, dass es noch nicht vorbei ist«, sagte Rüdiger. »Wir wollten noch einmal alles raushauen«, fügte Hausding an. Ein viereinhalbfacher Vorwärtssalto - Schwierigkeitsgrad 3,8 - stand auf dem Programm und das deutsche Duo zeigte im richtigen Moment seinen besten Sprung des Wettbewerbs. Der reichte für 85,5 Punkte, was angesichts der Patzer der Konkurrenz dafür sorgte, vom sechsten auf den dritten Platz vorzurücken.
»Und dann kommt diese Drei«, sagte Hausding und war immer noch überwältigt von den eigenen Emotionen. Als nach einer gefühlten Ewigkeit die Wertung für den Sprung und gleichzeitig die Position in der Gesamtwertung auf der Anzeigetafel aufleuchteten, kannte der Jubel bei Hausding und Rüdiger keine Grenzen. Sie fielen sich in die Arme, und wenige Sekunden später raste ein ganzer Zug von Betreuern direkt auf sie zu. Medaillen, die unerwartet kommen, sind immer noch etwas lauter umjubelt als die vorhersehbaren. Die Bronzemedaille war gefühlt außer Reichweite geraten und urplötzlich doch wieder da. »Das war eine verdammte Achterbahnfahrt«, so Rüdiger.
Für Hausding könnte es die letzte auf der »Kirmes« der Olympischen Spiele gewesen sein. Die Spiele von Tokio hatten mit einer besonderen Ehre begonnen, denn Hausding wurde bei seinem vierten Einsatz im Zeichen der fünf Ringe von den Athleten des Olympiateams und Fans neben der Beachvolleyballerin Laura Ludwig zum Fahnenträger bei der Eröffnungsfeier gekürt. Nun kam seine dritte olympische Medaille hinzu. »Dieses Jahr ist für mich sehr besonders, das alles hier«, versuchte der Berliner, die Größe des Moments zu umschreiben. »Das ist wie ein Traum, der wahr wird.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.