Der Trend geht zur Spontanimpfung

In den Impfzentren der Hauptstadt sind die Corona-Schutzimpfungen ohne Terminvergabe angelaufen

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Plötzlich sind sie wieder da: Die Schlangen vor den Impfzentren in der Hauptstadt. Lang sind sie in den meisten Fällen nicht. Warten musste sie nur eine halbe Stunde länger als bei ihrer Erstimpfung, berichtet eine »nd«-Kollegin, die am Sonntag im Impfzentrum an der Messe die zweite Immunisierung erhielt. Sie habe den Eindruck gehabt, dass vor allem sehr junge Menschen, das heißt Schüler*innen, die »deutlich unter 18 Jahre alt« waren, die Gelegenheit wahrgenommen haben, erzählt eine andere Mitarbeiterin von ihrer Zweitimpferfahrung Ende der vergangenen Woche am Impfzentrum Velodrom.

Nachdem vor einer Woche bereits die Impfzentren Messe, Tegel und Erika-Heß-Eisstadion für Spontanimpfungen geöffnet wurden, ist das Impfen ohne Termin seit dem Wochenende in allen verbliebenen Berliner Impfzentren möglich, ohne dass man vorher einen Termin vereinbart haben muss. Die Option, einen solchen online oder per Telefon zu buchen, gibt es aber nach wie vor.

Parallel zu den zuletzt deutlich leerer werdenden Impfzentren laufen die Schwerpunktimpfungen in den einzelnen Bezirken weiter. Zuletzt wurde so beispielsweise am Samstag auch an einer russisch-orthodoxen Kirche in Marzahn-Hellersdorf gegen das Coronavirus geimpft. Innerhalb der ersten Stunde kamen rund 40 Menschen zu der Aktion, wie eine Sprecherin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) am Samstagmittag mitteilte. Bis 18 Uhr an dem Tag sollte an der Allee der Kosmonauten 182 geimpft werden. Ein Termin war nicht nötig. Laut DRK standen 400 Impfdosen des Herstellers Johnson & Johnson zur Verfügung.

Eine auf zwei Tage angelegte Schwerpunktimpfung im Soldiner Kiez in Gesundbrunnen wurde am Sonntag bereits frühzeitig mangels Nachfrage beendet. Bereits am Mittag kam die Meldung, dass es keine Wartezeiten gäbe, allerdings ohne, dass dies kurzfristig mehr Menschen mobilisiert hätte. Am Hermannplatz in Neukölln hatten Helfer*innen bei einer ähnlichen Aktion vor wenigen Tagen nach relativ kurzer Zeit die langen Schlangen schließen müssen, weil der Andrang deutlich größer war als erwartet.

Der Präsident des Berliner DRK, Mario Czaja (CDU), sagte zu der Impfaktion in Marzahn-Hellersdorf: »Wir gehen heute dahin, wo Berlinerinnen und Berliner leben, die wir mit unserem Impfangebot bisher noch nicht erreicht haben.« Dass diese Angebote nach wie vor nicht ausreichend zur Verfügung stehen, auch wenn sie am Ende nicht voll ausgeschöpft werden, entspricht auch der Einschätzung einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI). Gab es zu Beginn der Kampagne nicht genügend Impfstoff für alle, die sich impfen lassen wollten, waren zuletzt 62 400 Dosen des Vakzins Astra-Zeneca in den Impfzentren übrig - diese werden an den Bund als zentralen Impfstoffverteiler zurückgegeben. Noch ist nicht klar, ob auch übrig bleibende Impfdosen anderer Anbieter umverteilt werden, zum Beispiel für Auffrisch- oder Drittimpfungen.

Die Zahl von 4 036 076 laut RKI bisher in Berlin durchgeführten Impfungen (Stand Montag) trügt: Die Quote der doppelten Impfungen liegt bei 51,3 Prozent und die am Montag angegebene Inzidenz von 27,2 dürfte mit der Rückkehr von Urlaubsreisenden in dieser Woche weiter ansteigen.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) befürwortete vor diesem Hintergrund am Montag die Wahrnehmung von Impfangeboten für Kinder ab 12 Jahren. Obwohl die Ständige Impfkommission (Stiko) hier noch zögere, seien viele Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen der Ansicht, dass eine Impfung junge Menschen deutlich besser schütze, sagte er in der ARD. In der Hauptstadt sei zu sehen, dass die 15- bis 25-Jährigen eine doppelt bis vierfach so hohe Inzidenz aufwiesen wie andere Bevölkerungsgruppen, so Müller. Darauf zu reagieren und ein Angebot zu machen, das keine Pflicht sei, halte er für »sehr sachgerecht«. Die Senatsgesundheitsverwaltung hatte in der vergangenen Woche alle 18- bis 30-Jährigen per Brief über die Impfmöglichkeit ohne Termin informiert.

Auch Berlins SPD-Fraktionschef und Parteivorsitzender Raed Saleh sprach sich dafür aus, beim Impfen noch stärker neue Wege zu gehen. »Ich glaube, man muss viel mehr auf Kooperationen setzen, zum Beispiel mit Moscheevereinen, mit jüdischen und christlichen Gemeinden, mit Kulturvereinen«, sagte Saleh. »Vielleicht auch mit Testzentren. Warum sollte es dort nicht auch Impfärzte geben?«

Klar sei, dass die Zahl der Geimpften in Berlin noch steigen müsse. »Meine Aufforderung ist: Liebe Leute, lasst euch impfen«, sagte der Fraktionschef. »Ich bin aber vorsichtig, dass man den Leuten mit erhobenem Zeigefinger sagt: ›Ihr bösen Impfverweigerer‹«, meint Saleh. Nicht alle, die sich noch nicht haben impfen lassen, seien prinzipielle Impfgegner. »Die kann man abholen«, glaubt der Sozialdemokrat. »Viele Leute sind ansprechbar.« Für diejenigen, die sich langfristig hartnäckig weigerten, sich um den Impfschutz zu kümmern, müssten die Corona-Schnelltests kostenpflichtig werden, meinte Saleh.

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