Süße Harmonie bei der Linken

Verpasster Einzug in den Brandenburger Landtag ein vielleicht notwendiges Opfer für die Wiederauferstehung der Gesamtpartei

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Inzwischen müssen sich Linke die Umfragewerte der Partei nicht mehr schönsaufen. Der Kreisvorsitzende Dominik Rabe eröffnet die Veranstaltung »Trinken mit Linken« im Bernauer Ofenhaus.
Inzwischen müssen sich Linke die Umfragewerte der Partei nicht mehr schönsaufen. Der Kreisvorsitzende Dominik Rabe eröffnet die Veranstaltung »Trinken mit Linken« im Bernauer Ofenhaus.

Am Eingang zum Bernauer Ofenhaus bekommt am Donnerstagabend jeder Gast einen Coupon für ein Getränk in die Hand gedrückt und darf sich eine frische Brezel nehmen. Der Kreisverband Barnim lädt ein zum »Trinken mit Linken« mit Bundestagskandidatin Carolin Schönwald, Bürgermeister André Stahl und dem Landesvorsitzenden Sebastian Walter.

Zur Einstimmung treten Tille und Marco auf, Freunde von Carolin Schönwald aus Buckow in der Märkischen Schweiz. Sie wollten was gegen rechts machen und machen das, was sie am besten können: Musik. Zuerst spielen sie im Ofenhaus das Lied »Sweet Harmony«. Aus dem Englischen übersetzt heißt es im Refrain: »Lass uns zusammen kommen/ genau jetzt/ oh ja/ in süßer Harmonie.«

Das passt perfekt zur Stimmung in der Partei, die innerhalb weniger Wochen eine fulminante Wiederauferstehung erlebte. Seit Jahresbeginn stieg die Mitgliederzahl bundesweit von etwa 60 000 auf weit über 90 000 und in Brandenburg von rund 4100 auf knapp unter 5000. Es sieht so aus, als könnte Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg am Sonntagabend bei der Wahlparty im Simplioffice am Konrad-Zuse-Ring 11 in Potsdam verkünden, dass diese Marke geknackt wurde. Die Forschungsgruppe Wahlen prognostiziert der Linken für die Bundestagswahl am 23. Februar acht Prozent. Noch vor wenigen Wochen sah es so aus, als würde die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

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Zittern muss dagegen das lange so siegesgewisse Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Falls es den Einzug ins Parlament verpassen sollte, könnte die erst vor einem Jahr gegründete Partei schnell auseinanderbrechen. Zwei Brandenburger BSW-Landtagsabgeordnete sollen angeblich schon vorsorglich vorgefühlt haben, ob ihre Rückkehr in die Linke denkbar wäre. Den Gedanken hatte zuvor bereits CDU-Landtagsfraktionschef Jan Redmann. Vielleicht gebe es demnächst auch ohne Neuwahl wieder eine Linksfraktion im Landtag, äußerte er.

Die Brandenburger Linke ist da allerdings skeptisch und zurückhaltend. Wenn die BSW-Landtagsfraktion nach einer Niederlage bei der Bundestagswahl zerfasert, hätte die Koalition von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) keine Mehrheit mehr. Es würde alsbald zu Neuwahlen kommen, weil kein anderer Koalitionspartner zur Verfügung steht. So rechnet beispielsweise Dominik Rabe, der als Linke-Kreisvorsitzender im Barnim am Donnerstag den Abend im Ofenhaus eröffnet. Dass es für die Sozialisten plötzlich so super läuft, heißt es, liege ja gerade daran, dass die quälenden innerparteilichen Streitigkeiten ein Ende gefunden haben, nachdem zuerst vor über einem Jahr Sahra Wagenknecht und ihre Getreuen gegangen sind.

Für Bernaus Bürgermeister Stahl war das höchste Zeit. Er habe sich 35 Jahre lang für Sahra Wagenknecht entschuldigen müssen, atmet er erleichtert auf. Doch diese eine Abspaltung reichte noch nicht aus. So richtig läuft es erst, seit zuletzt auch etliche von Wagenknechts ärgsten Widersachern austraten wie in der Hauptstadt die ehemalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach und Ex-Kultursenator Klaus Lederer. Diese beiden allerdings gehören nun als Parteilose noch weiterhin der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus an.

»Ich bin vor vier Jahren Linke geworden, weil wir den Mut haben müssen, umzuverteilen.«

Carolin Schönwald
Bundestagskandidatin

Das Opfer, das der Landesverband Brandenburg brachte – er verpasste am 22. September mit drei Prozent den Wiedereinzug in den Landtag –, sei vielleicht notwendig gewesen, quasi als Weckruf. So habe ihn die neue Parteivorsitzende Ines Schwerdtner getröstet, berichtet der Landesvorsitzende Walter in Bernau. Walter selbst flog aus dem Landtag und Carolin Schönwald kam nicht rein. Jetzt kandidiert die 39-jährige Lehrerin für den Bundestag. »Ich bin vor vier Jahren Linke geworden, weil wir den Mut haben müssen, umzuverteilen«, sagt sie. Auf ihren Wahlplakaten steht: »Ohne Sozialstaat ist alles nichts.« Das spielt an auf ein berühmtes Zitat von Ex-Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Dieser hatte 1981 gesagt: »Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.«

Die von Schönwald abgewandelte Version gefällt einem der Gäste im Ofenhaus überhaupt nicht, weil der Frieden nun einmal das Allerwichtigste sei. Er meldet sich zu Wort und sagt ihr das. Er habe als Zweijähriger im Zweiten Weltkrieg Bombenangriffe erlebt, schildert der Mann. Er sagt: »Russland hat Deutschland niemals überfallen. Russland war niemals aggressiv.« Da ruft jemand dazwischen: »Red’ doch nicht so eine Scheiße!« Nach einer Pause mit Musik äußert sich der Landesvorsitzende Walter. Der 34-Jährige hat in der Schule Russisch gelernt und einige Monate in Sankt Petersburg studiert. Am Abend des 23. Februar 2022 habe er sich in einer Kneipe beinahe mit zwei SPD-Abgeordneten geprügelt, weil diese behaupteten, Russland werde die Ukraine überfallen, erzählt Walter. Das werde nicht geschehen, habe er ihnen entgegengehalten. Am nächsten Morgen, als die Invasion startete, sei sein Weltbild zusammengebrochen. Die russischen Truppen heute seien nicht mehr die Rote Armee, die die Konzentrationslager Auschwitz und Sachsenhausen befreite. Der Angriff auf die Ukraine »ist völkerrechtswidrig, Punkt«. Doch immer weiter Waffen zu liefern, führt nach der festen Überzeugung von Walter nicht zum Frieden. Darum lehnt er Waffenlieferungen ab.

Zur süßen Harmonie bei der Linken gehört, dass sogar so eine ernste Frage nun ohne Hass besprochen wird. Jörg Schindler, einst Bundesgeschäftsführer, jetzt Kreisvorsitzender in Potsdam, erlebte es bei einem Neumitgliedertreffen in seinem Kreisverband. Da saßen zwei nebeneinander, von denen der eine Waffenlieferungen befürwortete, während der andere sie gemäß der Linie der Partei strikt ablehnte – und sie diskutierten das sachlich, mit echtem Interesse an den Argumenten des anderen, wie Schindler sagt.

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