Lobbyisten gegen Sanders-Fans

Die Niederlage der linken Demokratin Nina Turner zeigt die Bedeutung von Parteiloyalität, sagt aber wenig über den ideologischen Kurs der US-Demokraten aus

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Wähler*innen haben sich bei einer Demokraten-Nachwahl in Ohio mehrheitlich nicht für die linke Kandidatin Nina Turner entschieden. Sie war als Favoritin mit guten Umfragewerten und hohem Graswurzelspenden gestartet, hat nun aber mit rund sechs Prozent Rückstand das Kräftemessen zwischen progressivem Flügel und dem Demokrat*innen-Establishment verloren. Der Grund dafür ist auch eine massive Intervention von Lobbyisten und einflussreichen Demokrat*innen, die mit aller Macht die Bernie Sanders-Vertraute aus dem US-Kongress halten wollen. Wie viele ihrer Anhänger*innen jetzt richtig bemerken, geschah dies durch einem Schmutzwahlkampf durch Lobbyist*innen, der mehrere Millionen Dollar kostete, in den letzten entscheidenden Wochen des Rennens.

Doch zur Wahrheit gehört ebenfalls, dass es die Schmutzwahlkämpfer*innen einfach hatten. Turner bot viel Angriffsfläche: Sie hat viele Normalo-Demokratenwähler*innen und Parteiloyalist*innen stark verärgert mit ihrem eigenwilligen Auftreten und ihrer brüsken Kritik, mit ihren abfälligen Kommentaren über Joe Biden und ihren politischen Flirts mit der Grünen-Präsidentschaftskandidatin Jill Stein. Die Establishment-Demokratin Shontel Brown konnte die Wahl erfolgreich zum Referendum über Turner und Loyalität zu Biden machen. Letztere ist gerade vielen älteren Demokraten-Wähler*innen wichtig. Das Ergebnis der Vorwahl zeigt so auch den begrenzten Raum für Dissens innerhalb der Partei.

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Aber: Andere progressive Herausforderinnen werden nicht so viel »politisches Gepäck« mitbringen wie Turner, wenn sie in den nun beginnenden Vorwahlkämpfen der Demokrat*innen für die Zwischenwahl 2022 versuchen werden, konservativeren Amtsinhaber*innen ihre Mandate abzunehmen und die Partei damit nach links zu rücken. Das Establishment hat den Beginn der neuen Wahlperiode mit einer Machtdemonstration zwar gewonnen. Doch selbst wenn Turner in der Nachwahl gesiegt hätte, wäre die Arbeit progressiver Newcomer in der Partei weiterhin ein »uphill battle« geblieben.

Auch wenn oberflächliche »hot takes« politischer Kommentator*innen das schon im Fall des Sieges des konservativeren Establishment-Demokraten Eric Adams bei der Bürgermeister*inwahl in New York City behaupteten: Das Wahlergebnis in Ohio sagt wenig über die ideologische Richtung der Partei aus, zeigt keinen Schwenk zurück in die Mitte. Denn sowohl im Juni in New York als auch Mittwochnacht bei anderen Wahlen im Land schnitten progressive Demokrat*innen bei den Wahlen in anderen Städten gut ab.

Ironischerweise zeigt ein anderes Ergebnis der Wahlnacht, wie wichtig Vorwahl-Herausforderungen bei den Demokrat*innen sind und welchen – gesteigerten – Einfluss die neuen aktivistischen Politiker*innen haben. Nachdem US-Präsident Joe Biden am Wochenende ein Räumungsmoratorium für Mieter*innen mit Mietschulden wegen der Coronakrise hatte auslaufen lassen und sich quasi machtlos gerierte und dafür viel und ungewöhnlich deutliche Kritik aus dem Kongress selbst von Establishment-Demokrat*innen wie der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi einstecken musste, kam in der Nacht zum Mittwoch die 180-Grad-Wende.

Das Weiße Haus kündigte an, ein mehrmonatiges Moratorium für besonders von der Delta-Variante betroffene Landkreise zu erlassen, offenbar sollen das bis zu 90 Prozent des Landes sein. Das verschafft Millionen Mieter*innen weitere wertvolle Zeit. Der Grund für den plötzlichen Kurswechsel, da sind sich die Beobachter*innen in DC einig: der Druck progressiver Demokrat*innen und aktivistische Politik.

Die linke Demokratin Cori Bush hatte zusammen mit anderen Mitgliedern der linken »Squad« und Parlamentarier*innen-Gruppe um Alexandria Ocasio-Cortez tagelang auf den Stufen vor dem Parlament protestiert. Bush schlief fünf Tage mit ihrem Schlafsack auf den Stufen des US-Kapitols, ein peinliches Medienspektakel für Joe Biden. Die linke Demokratin hatte erst 2020 ihre Vorwahl in einer Demokrat*innen-Hochburg gegen den langjährigen Amtsinhaber und Establishment-Demokraten Lacy Clay gewonnen – im zweiten Anlauf. Bei ihrem ersten Versuch, den Wahlkreis zu gewinnen, war sie 2018 noch mit rund 20 Prozentpunkten Rückstand gescheitert. Turner unterlag in der Nacht zum Mittwoch deutlich knapper.

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