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Feiern unter Lebensgefahr
In Georgien ist Homophobie allgegenwärtig. Die »Tbilisi Pride Week« endete in Blut und Scherben
Es sollte ein einwöchiges Fest werden, eine Machtdemonstration, ein Protestmarsch der Freude und des Stolzes. Doch die »Tbilisi Pride Week« endete in Blut und Scherben.
Rechte Mobs zogen Anfang Juli durch die Straßen von Georgiens Hauptstadt Tiflis (Tbilisi). Angestachelt durch Hasstiraden orthodoxer Priester, griffen sie ein von den Organisatoren der Parade für die Rechte von Lesben, Schwulen, Trans-Personen und Intersexuellen (LGBTIQ) für die Pride-Organisation genutztes Gebäude an und verwüsteten es. Die Polizei ließ sie gewähren, griff nicht ein. Wer aussah, als könnte er schwul sein, wurde ebenfalls zum Ziel von Gewalt. Auch Journalisten wurden attackiert: Über 50 wurden verletzt, ein Medienvertreter erlag sechs Tage später seinen Verletzungen.
Für den 21-jährigen Henry, der dem Organisationskomitee der Pride angehörte, waren die Ereignisse wenig überraschend, sondern ein trauriger Tiefpunkt. Das Problem von Hass und Gewalt gegen Homosexuelle und Personen, die nicht ins Mann-Frau-Schema passen, ist alt.
Während die Politiker in Georgien nun die Schuld bei anderen suchen, leidet die LGBTIQ-Community unter den Folgen. Henry hat seit zwei Tagen nicht geschlafen, wirkt ausgelaugt und traumatisiert. Er sitzt im Garten eines Restaurants und quält sich durch das Abendessen. »Ich kann den Wein nicht austrinken«, sagt er. »Sonst muss ich weinen.« Der kräftige Kerl mit breiten Schultern und großen Pranken wirkt verängstigt und verzweifelt. Das Gefühl, in seinem Land nicht akzeptiert zu werden, verfolgt ihn schon seit Jahren.
Und nicht nur ihn: So gehe es Abertausenden in Georgien, die sich außerhalb der heterosexuellen Norm fühlen, sagt Henry. »Im Notfall kann ich mich verteidigen«, sagt er, sorgt sich aber vor allem um jene, die nicht als großer und starker Mann geboren wurden und somit nicht diese gewisse Präsenz haben, die andere auf Abstand hält. »Ich habe Freundinnen und Freunde, die gehen nicht aus dem Haus. Sie bleiben immer daheim, bestellen Essen, leben isoliert und in Angst.« Andere, vor allem Trans-Personen, seien zur Prostitution gezwungen, um über die Runden zu kommen.
In Georgien ist eine »abweichende« sexuelle und Geschlechtsorientierung etwas, das leicht dazu führen kann, von der Familie verstoßen zu werden. Das bedeutet gleichzeitig ein Wegbrechen eines sozialen und vor allem finanziellen Auffangnetzes.
Nicht immer nur Russland
In den vergangenen Jahren hatten Medienberichte über Georgien oft den Tenor, hier sei ein Land zwischen Europa und Russland, das den Anschluss nach Westen sucht, das durch seine Vergangenheit als Sowjetrepublik jedoch weiter in der einen oder anderen Weise an Moskau gefesselt sei. Auch in Georgien selbst wird diese Erzählung gepflegt.
Über die Ereignisse um die Tiblisi-Pride wurde berichtet, sie seien symptomatisch für das »Ost-West-Dilemma«. Denn in Georgien ist Homosexualität zwar legal.
Aber der Hass auf Lesben und Schwule ist erschreckend groß. Geistige Brandstifter sind hier rechte Gruppen und vor allem die orthodoxe Kirche. Beiden wird eine Nähe zu Russland vorgeworfen.
Dabei ist die georgische Rechte unter anderem aufgrund des Krieges mit Russland um die Region Abchasien teils pro-europäisch. Außerdem ist die georgisch-orthodoxe Kirche kirchenrechtlich von der russisch-orthodoxen unabhängig. Wie überall im postsowjetischen Raum gibt es auch in Georgien viele Grautöne, die eine Einteilung in Ost und West, Gut und Böse, Russland und Europa nicht zulassen. Das sieht auch Henry so: »Wir können nicht immer nur alles auf Russland schieben, was schief läuft.«
Die Regierungspartei Georgischer Traum gilt als proeuropäisch. Die blaue Fahne mit den gelben Sternen ist auf den Straßen von Tiflis omnipräsent – ein Beitritt zur Europäischen Union deklariertes Ziel: Im Jahr 2024 möchte man offiziell den Antrag stellen. Derweil behauptet der Vorsitzende der Regierungspartei, Mamuka Mdinaradze, öffentlich: »Putin finanziert die LGBTIQ-Community in Georgien.« Er tue das, um Unruhe im Land zu stiften. Und Premierminister Irakli Gharibaschwili drohte am 23. Juli, seine Regierung werde jegliche Kooperation mit den Medien beenden, sollten sie ihre »destruktive Berichterstattung« nicht unterlassen. Mit destruktiv meinte er die Kritik, die er selbst von regierungsfreundlichen Sendern wegen seines Umgangs mit den Ereignissen um die Pride und die Hetzjagden auf Journalisten erntete.
Auch ganz ohne Russlands Einfluss ist es in Georgien unruhig genug: Innenpolitisch ist das Land durch einen Machtkampf zweier Parteien gelähmt. Aufgrund von Fälschungsvorwürfen nach den Parlamentswahlen im Oktober 2020 blockierte die Opposition sogar monatelang die Arbeit des Parlaments. Erst im Juni 2021 nahm die größte Oppositionspartei »Vereinte Nationale Bewegung« von Micheil Saakaschwili erstmals an einer Parlamentssitzung teil. Die EU hatte zuvor zwischen den politischen Lagern vermittelt.
Und warum überhaupt das deklarierte Ziel des EU-Beitritts? Seit Jahren ist Georgien im Südkaukasus das einzige Land, das ein Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen hat. Mit der Hoffnung auf die »europäische Integration« verbinden Politiker in Georgien auch den Wunsch nach einer sicherheitspolitischen Anbindung, um sich gegenüber Russland abzusichern. Denn spätestens seit dem Krieg im Jahr 2008 wird Russland in Georgien offiziell als Besatzungsmacht gesehen. Die abtrünnigen De-Facto-Staaten Abchasien und Südossetien wurden nur von Russland offiziell anerkannt, die meisten Bewohner besitzen russische Pässe. Ähnlich wie etwa in der Ukraine, die Russland als natürliches Einflussgebiet sieht, dienen die ungelösten Territorialkonflikte als machtpolitische Hebel.
Party, Party
Henrys Leidenschaft gilt unterdessen der Musik, weniger der Politik. Er arbeitet als DJ und als Musikproduzent. In der verhängnisvollen Julinacht hat er sein neues Album vorgestellt. Seine Freunde und er treffen sich in einem Keller mitten in der überfüllten Altstadt. Die Tür ist jedoch gut versteckt zwischen zwei Häusern. Mann muss erst gegen den schweren Stahl klopfen, dann geht sie auf und der Türsteher mustert genau, wer denn zur Feier möchte. »Privater Geburtstag«, sagt er jenen, die lieber keinen Zugang erhalten sollen. Drinnen ist die Stimmung gelassen, hier sind Henry und seine Freunde unter sich. Es wird getanzt, gelacht, getrunken.
Nach der Feier ziehen die Besucher weiter. Sie bauen ihre Anlage bei einem Skatepark in der Nähe auf und feiern weiter. Die Stimmung ist nun angespannter. Mittlerweile ist es bekannt, dass sich hier nachts die LGBTIQ-Szene trifft. Gewaltbereite Männergruppen durchkämmen regelmäßig den Park. Immer wieder scannt Henry deshalb während des Feierns die Umgebung. »Ich suche keine Gewalt«, sagt er. »Ich will nur in Ruhe gelassen werden und mein Ding machen.« Und genau das tun sie auch – trotz der Gefahr. Bis in die Morgenstunden tanzt sich eine Gruppe von fast 20 Leuten ihre Sorgen vom Leib.
»Wenn sich die Lage bessert, bleibe ich gerne hier«, sagt Henry in einem nachdenklichen Moment abseits der Tanzfläche. »Ich liebe meine Landsleute eigentlich, und ich liebe auch Georgien.« Für ihn als DJ und Produzent ist aber Berlin der große Traum. Die Stadt ist für ihre Toleranz und vor allem für ihre Musikszene weltbekannt. »Aber für sowas braucht man Geld«, sagt er. Und das hat er nicht. Solange wird er wohl in Georgien feststecken, aber nicht tatenlos zusehen, sondern für seine und die Rechte aller anderen Menschen kämpfen.
Inwieweit das gelingen wird, ist schwer abzusehen. Die Ereignisse um eine durch Priester angezettelte Hetzjagd auf nicht-heterosexuelle Menschen, einen verstorbenen Journalisten und einen Ministerpräsidenten, der Medien mit Boykott droht, zeigen: Georgien bleibt auch im Jahr 2021 ein Land, in dem Menschen wie Henry um echte Demokratie, um Sicherheit und das Recht auf Unversehrtheit kämpfen müssen.
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