Atomwaffen werden noch gefährlicher

Elisabeth Saar von der Anti-Atomwaffeninitiative Ican über Fortschritte und Rückschläge bei der Abrüstung

  • Marek Voigt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki jähren sich zum 76. Mal, doch trotz des Schreckens, den diese Ereignisse hinterlassen haben, scheinen wir heute von der Abschaffung der Atombomben weiter entfernt denn je. Was sind aus Sicht der Friedensbewegung die wichtigsten Ansatzpunkte, um eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen?

Es ist wichtig, an Hiroshima und Nagasaki zu erinnern, damit diese Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten. Sie zeigen, wie gefährlich Atomwaffen sind, ihr Besitz und schon ihre Herstellung, und wie sehr sie die internationale Sicherheit gefährden. Das Thema atomare Abrüstung muss im Bundestagswahlkampf auf die politische Agenda. Zwar sprechen sich alle Parteien für eine atomwaffenfreie Welt aus, die Verhandlungen über den Atomwaffenverbotsvertrag hat die Bundesregierung aber boykottiert. Die neue Bundesregierung darf sich nicht weiter der Verantwortung entziehen, sie muss an der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags Anfang 2022 teilnehmen. Außerdem wollen wir verhindern, dass neue Atombomber gekauft werden, womit für die nächsten 30, 40 Jahre in nukleare Teilhabe investiert würde. Der Abzug von US-Atomwaffen aus Deutschland ist der nächste Schritt und schließlich der Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag.

Interview
Elisabeth Saar ist Kampagnenkoordinatorin bei Ican Deutschland. Ican ist die Internationale Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen, die 2017 den Friedensnobelpreis erhalten hat.

Bis zu 92 Prozent der Bevölkerung in Deutschland unterstützen den Atomwaffenverbotsvertrag. Dennoch engagieren sich nur die wenigsten.

Es braucht Druck aus der Bevölkerung. Dafür mobilisieren wir auch auf der kommunalen Ebene mit dem Städteappell für ein Verbot von Atomwaffen. Inzwischen haben sich weit über 100 Städte und Gemeinden, unter anderem alle Stadtstaaten und alle Landeshauptstädte, dafür ausgesprochen. Damit sich an der Haltung der Bundesregierung etwas verändert, muss wirklich von allen Seiten die Dringlichkeit für ein Umdenken aufgezeigt werden - von der Bevölkerung, von Wissenschaftler*innen und auch allen Bereichen des politischen Raums.

Bislang ist dem Atomwaffenverbotsvertrag kein Nato-Staat beigetreten, erst recht kein Atomwaffenstaat. Wie kann ein Verbotsvertrag, dem nur die atomaren Habenichtse beitreten, zu einer atomwaffenfreien Welt beitragen?

Der Atomwaffenverbotsvertrag ist dennoch ein Megafortschritt. Es ist der erste völkerrechtlich bindende Vertrag, der ohne den globalen Norden zustande kam, 122 Staaten haben in der Vollversammlung der Vereinten Nationen diesem Vertrag zugestimmt. Das sind überwiegend Staaten, die von Atomwaffentests betroffen gewesen sind, von Urananreicherung oder dem Uranabbau für die Atomwaffenherstellung. Sie haben die direkten Konsequenzen vor Ort erlebt. Und selbst wenn die Nato-Staaten oder der globale Norden dem Vertrag noch nicht beitreten: Er verbietet die komplette nukleare Kette. Nicht nur die Androhung oder den Einsatz von Atomwaffen, sondern auch Anreicherung, Produktion, Lagerung, Transport, was ein ganz entscheidender Faktor ist. Je mehr Staaten diesem Vertrag beitreten, umso mehr atomwaffenfreie Zonen entstehen, in denen Atomwaffen auch nicht mehr transportiert werden dürfen, in denen nicht einmal in die Herstellung investiert werden darf. Dadurch wird es auch für die Atomwaffenstaaten schwieriger, Atomwaffen zu stationieren oder Ressourcen für die Produktion zu gewinnen.

Die Bundesregierung behauptet, dass die deutsche Nato-Mitgliedschaft die nukleare Teilhabe einschließt und damit die Unterstützung des Verbotsvertrags ausschließt. Müsste die Bundesrepublik also erst aus der Nato raus?

Das schließt sich nicht aus, eine Nato-Mitgliedschaft ist möglich, auch wenn man die nukleare Teilhabe ablehnt. In den meisten Nato-Staaten sind keine Atombomben stationiert. In der Vergangenheit sind Kanada und Griechenland aus der nuklearen Teilhabe ausgestiegen, ohne Auswirkungen auf ihre Mitspracherechte. 56 ehemalige Präsidenten, Ministerpräsidenten, Außen- und Verteidigungsminister aus 20 Nato-Staaten, Japan und Südkorea, sogar die ehemaligen Nato-Generalsekretäre Javier Solana und Willy Claes unterstützen den Verbotsvertrag.

Kritiker des Atomwaffenverbotsvertrags argumentieren, er schwäche den Nichtverbreitungsvertrag.

Das ist ein Scheinargument, das komplette Gegenteil ist der Fall: Der Atomwaffenverbotsvertrag bekräftigt den Nichtverbreitungsvertrag völkerrechtlich. Denn im Nichtverbreitungsvertrag werden zwar Atomwaffenstaaten und Nicht-Atomwaffenstaaten definiert, aber es wird auch festgelegt, dass die Atomwaffenstaaten ihre Arsenale abrüsten müssen. Diesem Anspruch sind die Atomwaffenstaaten bisher nicht nachgekommen.

Die Zahl der atomaren Sprengköpfe ist doch aber seit dem Kalten Krieg zurückgegangen.

Rein quantitativ stimmt das, aber qualitativ wird ja insbesondere von den USA, Russland und China stark aufgerüstet. Die Atomwaffenarsenale werden modernisiert und deshalb noch gefährlicher. Der Atomwaffenverbotsvertrag führt die Abrüstungsverpflichtung des Nichtverbreitungsvertrags jetzt weiter. Deshalb ist es falsch, wenn Gegner*innen des Atomwaffenverbotsvertrags, die sich selber nicht an den Nichtverbreitungsvertrag halten, diesen als Argument nehmen, um gegen den Verbotsvertrag zu schießen.

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