- Brandenburg
- Zeugnis der antifaschistischen DDR-Moderne
Der Kosmos bezwingt das Himmelreich
Zwei Linke beantragen Denkmalschutz für einen DDR-Sonderbau - das Potsdamer Rechenzentrum
»Die Idee ist nicht so spektakulär. Da wären andere sicher auch darauf gekommen. Wir waren nur schneller«, erklärt der Abgeordnete Müller am Donnerstag vor dem alten Rechenzentrum, in dem sich inzwischen ein Kunst- und Kreativhaus etabliert hat.
Zu ihrem Schritt veranlasst sehen sich die beiden Politiker durch die überraschende Entscheidung von Drachenbergs Behörde, das umstrittene Potsdamer Glockenspiel in die Denkmalliste aufzunehmen. Es handelt sich dabei keineswegs um das originale barocke Glockenspiel aus der im Zweiten Weltkrieg ausgebrannten und 1968 gesprengten Potsdamer Garnisonkirche, sondern lediglich um einen zunächst im nordrhein-westfälischen Iserlohn aufgestellten Nachbau der 1980er Jahre. Die Stadt Potsdam bekam ihn 1991 von einer rechtsnationalen Traditionsgemeinschaft aus dem Dunstkreis der Bundeswehr geschenkt.
Das Glockenspiel steht einen Steinwurf vom Rechenzentrum entfernt an der sogenannten Plantage und damit auch in der Nähe des Ortes, an dem gegenwärtig der Turm der Garnisonkirche wiederaufgebaut wird. Auch die Kirche ist umstritten, aber nicht so extrem wie das Glockenspiel. Denn Letzteres war mit äußerst zweifelhaften Inschriften versehen, die unter anderem Einheiten der hitlerfaschistischen Armeen verherrlichten. Erste Widmungen seien bereits in den 90er Jahren getilgt worden, inzwischen auch die übrigen, erläutert der Abgeordnete Müller.
Weil das Glockenspiel eigentlich unzumutbar ist, wurde es 2019 abgestellt. Nicht einmal die Stiftung Garnisonkirche will dieses Glockenspiel noch haben. Die Grünen und die Linke beantragten in der Stadtverordnetenversammlung, die Bronze einzuschmelzen und den Erlös zugunsten der Kulturszene zu verwenden. Daraus wird nun nichts, da ein Denkmal erhalten bleiben muss.
Doch aus der für Müller »befremdlichen« Entscheidung des Landesdenkmalamtes, das auf Antrag einer namentlich nicht bekannten Privatperson handelte, ergibt sich für den Bundestagsabgeordneten quasi zwingend, dass nun erst recht das in der DDR errichtete Rechenzentrum unter Denkmalschutz gestellt werden muss. Vollständig ist es schon nicht mehr erhalten. Der Teil, in dem die Rechentechnik stand, ist bereits abgerissen. Dieses Schicksal droht auch dem größeren, ebenfalls würfelförmigen Verwaltungstrakt, in dem sich heute Ateliers von bildenden Künstlern und Büros von Schriftstellern und anderen Kreativen befinden.
Sollte nach Vollendung des Turms auch noch das Schiff der Garnisonkirche wiederaufgebaut werden, so steht das Rechenzentrum im Weg. 15 Prozent seiner Fläche befinden sich auf dem historischen Standort der Garnisonkirche. Eine Modellrechnung hat ergeben, dass es natürlich wirtschaftlicher wäre, nicht nur Teile des Rechenzentrums, sondern das gesamte Gebäude zu erhalten. Geplant war ursprünglich der Totalabriss, die Nutzung als Kunst- und Kreativhaus sollte nur eine vorübergehende sein.
Neben der Baustelle der Garnisonkirche, auf der sich emsig der Kran dreht, sind schon Bagger für ein anderes Bauprojekt zu sehen – die Errichtung eines neuen Kreativquartiers an der Plantage. Nach Ansicht von Linksfraktionschef Wollenberg könnte es aber überhaupt nicht schaden, neben diesem neuen Kreativquartier das Rechenzentrum zu bewahren. Denn die Nachfrage nach Ateliers sei groß. Definitiv erhalten werden müssen die 18 großen Mosaike an der Außenfront des Rechenzentrums. Sie befinden sich dort seit 1972. Fritz Eisel hat sie geschaffen und dem Kunstwerk den Titel »Der Mensch bezwingt den Kosmos« gegeben. Bereits seit 1977 stehen die Mosaike unter Denkmalschutz. Sie müssten bei einem Abriss des Rechenzentrums gesichert und aufbewahrt werden.
Für ihren Vorstoß, das gesamte Rechenzentrum unter Denkmalschutz zu stellen, rechnen sich Müller und Wollenberg gute Chancen aus. Schließlich stehe dieser letzte DDR-Verwaltungsbau in der Innenstadt exemplarisch für die 30 Jahre währende Auseinandersetzung um die Frage, wie das Potsdamer Zentrum aussehen sollte. Damit kontern die beiden Politiker die ähnlich klingende Begründung für die angebliche Denkmalwürdigkeit des Glockenspiels. »Die Bezwingung des Kosmos stellt die frühere Dominante des Garnisonkirchenturms von 88 Meter Höhe in den historischen Schatten«, steht in ihrem Antrag.
Wie Müller vernommen hat, regt Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) an, das gesamte Plantage-Areal unter Schutz zu stellen – also Rechenzentrum, Garnisonkirche und Glockenspiel. Müller lobt diesen »interessanten Gedanken« – »auch wenn ich persönlich nie meinen Frieden mit Glockenspiel und Garnisonkirche machen werde«. Ihm ist das Rechenzentrum mit seinen Mosaiken und dem damit ausgedrückten sozialistischen Fortschrittsgedanken lieber als der »monarchistische Mief«. Dass jemals das Kirchenschiff wiederaufgebaut wird, glaubt er nicht. Schon für den Turm gebe es viel zu wenig Spenden, sodass der Bund mit Fördermitteln einen großen Anteil bezahlt.
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