- Brandenburg
- Ariane Fäscher und SPD
Gleichung mit einer Unbekannten
Bundestagswahlkreis 58: Ariane Fäscher? Nie gehört! Eine SPD-Kandidatin unter dem Radar
In der Stadtverwaltung von Hohen Neuendorf leitet Ariane Fäscher den Fachbereich Marketing. Sie soll den Ort im nördlichen Berliner Umland bekannt machen, nicht sich selbst. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn sie hier nicht jeder kennt. Ob sie wisse, wer die Frau da vorn auf den Wahlplakaten der SPD sei? Ein junges Mädchen, das am S-Bahnhof Hohen Neuendorf auf eine Freundin wartet, schüttelt den Kopf: »Keine Ahnung!« Das ist vielleicht nicht weiter schlimm. Denn das Mädchen ist erst 15 Jahre alt und darf bei der Bundestagswahl am 26. September sowieso noch nicht ihre Stimme abgeben.
Aber nur wenige Tage vorher reisen durchaus erfahrene Korrespondenten, die sich in der brandenburgischen SPD auskennen, im Bus mit Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) durch den Landkreis Oberhavel und sehen die Wahlplakate. Einer spricht laut aus, was sich auch andere fragen: »Ariane Fäscher? Wer ist das? Den Namen habe ich noch nie gehört.«
Natürlich gibt es auch Journalisten, denen der Name ein Begriff ist – und zwar spätestens seit dem Jahr 2007. Damals kam heraus, dass die NPD-Funkionärin Stella Palau bis dahin unerkannt in Hohen Neuendorf gelebt hat und gesellschaftlich aktiv geworden war. Als Reaktion darauf gründete sich das Bündnis Nordbahngemeinden mit Courage. Fäscher hat es mit aufgebaut und Mitteilungen an Redaktionen verschickt. Der Lebenslauf ist nicht geschönt, wenn die Kandidatin der SPD im Bundestagswahlkreis 58 jetzt sagt, sie habe in diesem Bündnis »intensiv gegen Rechtsextremismus und für eine lebendige lokale Demokratie gearbeitet«.
In den höchsten Tönen wird Fäscher von ihrem ehemaligen Chef gelobt – von Klaus-Dieter Hartung (Linke), der bis zu seiner knappen Wahlniederlage gegen Steffen Apelt (CDU) Ende 2015 acht Jahre lang Bürgermeister von Hohen Neuendorf war und Fäscher als Pressesprecherin ins Rathaus holte. »Sehr fleißig, sehr gewissenhaft, sehr intelligent«, so charakterisiert Hartung die SPD-Kandidatin. »Das wäre eine echte Bereicherung für den Bundestag.«
Und Sinn für Humor hat sie auch. Nach einem nd-Interview mit dem damaligen Bürgermeister Hartung, bei dem Fäscher anwesend war, schmunzelte sie und sagte zu dem Redakteur: »Ich sehe, dass Sie mit einem Stift der CDU schreiben. Darf ich Ihnen einen Kugelschreiber der Stadt Hohen Neuendorf schenken?« Auf charmant witzige Art hat sie so Werbung für die Kommune gemacht – und es übrigens nach Einschätzung von Hartung geschafft, das Image von Hohen Neuendorf komplett zu ändern. Die Stadt galt als verschlafenes Nest. Für Aufmerksamkeit sorgte dann der Bau der energetisch modernsten Schule Deutschlands und das Umstellen der Straßenlaternen auf Energiesparlampen. Fäscher hat diese Projekte als Pressesprecherin professionell begleitet.
Wie schon vor seiner Zeit als Bürgermeister ist Klaus-Dieter Hartung inzwischen wieder Stadtverordneter. Wenn er über Ariane Fäscher sagt, sie sei mit ihren Fähigkeiten in der Stadtverwaltung eigentlich unterfordert, dann muss man dazu wissen, wie sie 2001 überhaupt nach Hohen Neuendorf gelangte – nämlich wegen des beruflichen Fortkommens ihres Mannes. »Ich gab meine Arbeit und auch eine hoffnungsvolle Karriere als Pressesprecherin der Erfurter Messe auf«, sagt die Mutter von zwei mittlerweile erwachsenen Töchtern. Zu ihrer Herkunft erklärt sie: »Mein Großvater war Bergmann, meine Großmutter war Magd in der Landwirtschaft, meine Mutter arbeitete als Verkäuferin im Einzelhandel. Mein Vater war der erste in der Familie, der unter Entbehrungen studieren konnte.«
Zur Welt kam Ariane Fäscher 1968 im westfälischen Münster, Abitur machte sie 1987 in Offenbach, studierte dann bis 1994 Publizistik, Politik und Betriebswirtschaft in Mainz und ging schließlich in den Osten, nach Thüringen.
In der brandenburgischen Landespolitik ist sie ein unbeschriebenes Blatt. Gelingt ihr der Einzug in den Bundestag, wäre das eine große Sache, aber auch eine große Überraschung. Bei der Bundestagswahl 2017 konnte die SPD nur einen der zehn brandenburgischen Wahlkreise gewinnen – den in Potsdam. Außerdem zogen noch drei märkische Sozialdemokraten über die Landesliste ins Parlament ein. Ariane Fäscher steht jetzt auf Listenplatz zehn.
Favorit im Wahlkreis 58, also Oberhavel und Osthavelland, dürfte der Bundestagsabgeordnete Uwe Feiler (CDU) sein. Er nahm das Mandat 2017 der SPD-Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner ab. Seit 2019 ist Feiler Staatssekretär im Bundesagrarministerium. Auf seinem Wahlplakat zeigt er sich auf einem Traktor. Dazu der Slogan: »Ich acker’ weiter für Sie!«
Die mit Abstand bekannteste Kandidatin im Wahlkreis ist aber zweifellos Anke Domscheit-Berg (Linke). Markenzeichen: roter Hut. »Anke kennen bei uns hier wirklich viele Leute aus dem Fernsehen«, bestätigt ihr Wahlkreismitarbeiter Ralf Wunderlich. An den Infoständen der Partei müsse er selten erklären, wer seine Chefin ist. Sie wird von Polit- und Verbraucherschutzmagazinen häufig interviewt, wenn es um Fragen rund um das Internet geht. Erst neulich wieder schaffte sie es in einen Fernsehbeitrag – als einzige Politikerin neben lauter Experten. Denn sie wird immer noch als Digitalisierungsfachfrau angesehen, als die man sie schon zu Wort kommen ließ, bevor sie 2017 für die Linke in den Bundestag einzog. Auch Hohen Neuendorfs Ex-Bürgermeister Hartung wird – bei aller Sympathie für Ariane Fäscher – seine Genossin Domscheit-Berg im Wahlkampf unterstützen und ihr am 26. September seine Stimme geben – »selbstverständlich«, wie er sagt.
Die 53-jährige Domscheit-Berg hat allenfalls eine kleine Chance, den Wahlkreis 58 zu gewinnen. So holte die Linke zuletzt 2009 vier Brandenburger Wahlkreise im Osten des Bundeslandes. In den übrigen Teilen Brandenburgs ist das der Partei noch nie gelungen. Bei den Landtagswahlen 2019 gewann die Linke keinen einzigen Wahlkreis mehr, stürzte seit 2009 von 27,2 auf 10,7 Prozent ab. Bundesweit versprechen die Umfragen der Linkspartei jetzt nur sechs bis maximal sieben Prozent. Gegen solche Trends ist eine Bewerberin nahezu machtlos. In den Bundestag könnte Domscheit-Berg trotzdem einziehen, wobei die Aussichten ausgesprochen gut sind: Sie steht auf Platz zwei der Landesliste. Das dürfte reichen, wenn die Linke die Fünf-Prozent-Hürde überspringt.
Unter den Wahlkreiskandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien ist Domscheit-Berg übrigens die einzige mit einer Ostbiografie. Der 73-jährige Ulrich Storm, der für die rechtsradikale AfD antritt, ist zwar in Brandenburg geboren, aufgewachsen ist er aber in Hessen. CDU-Kandidat Uwe Feiler stammt aus Winsen/Luhe bei Hamburg, FDP-Mann Ralf Tiedemann aus Cuxhaven und die Grünen-Politikerin Anne Schumacher aus Osnabrück.⋌
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.