Umschiffte Umweltnormen

Ein 190 Meter langes Schiff soll entgegen der EU-Vorschrift in Südostasien abgewrackt werden

  • Ralf Klingsieck
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Odeep One, ein schrottreifes 190 Meter langes Fabrikschiff, hat in der vergangenen Woche bei Nacht und Nebel den westlich von Marseille gelegenen Hafen Sète verlassen, wo es seit Ende 2019 vertäut lag. Ziel ist angeblich Colombo, die Hauptstadt von Sri Lanka. Doch wahrscheinlicher ist, dass das Schiff in Bangladesch oder Indien verschrottet werden soll, ist die französische Umweltorganisation Robin des Bois (Robin Hood) überzeugt, die Alarm geschlagen hat.

Ganz offensichtlich wollen die Eigner die EU-Vorschrift umgehen, wonach Schiffe europäischer Reedereien in Europa und nach hier geltenden Umwelt- und Sicherheitsnormen abgewrackt werden müssen. In Bangladesch und an der nordöstlichen Küste von Indien erfolgt das viel preiswerter. Dort fahren die Schiffe bei Flut mit dem Bug auf den Strand, so dass sie bei Ebbe trocken liegen. Dann sind Hunderte von Arbeitern, von denen die meisten nicht einmal Schuhe anhaben, über Wochen damit beschäftigt, das Schiff mit Schweißbrennern, Brechstangen und Vorschlaghämmern Stück für Stück zu zerlegen. Der Schrott wird an indische Stahlwerke verkauft, für noch brauchbare Installationen werden Interessenten gesucht und der Rest landet auf Mülldeponien unter freiem Himmel. Das alles spielt sich unter haarsträubenden Arbeitsbedingungen ab, mit großen Sicherheitsrisiken für die Arbeiter und verheerenden Folgen für die Umwelt. Offensichtlich um diesen Weg einschlagen und die europäischen Regeln umgehen zu können, wurde das Schiff erst kürzlich umgeflaggt.

Für seine vermutlich letzte Fahrt wurde es ins Register von Sankt Kitts und Nevis eingetragen, einem winzigen Inselstaat in der Karibik mit niedrigen Steuern und sehr großzügigen Sicherheitsvorschriften. In diesem Sinne hat der Kapitän auch nicht die Abreise beim staatlichen Zentrum für Schiffssicherheit in Sète angemeldet, wie das nach dem Pariser Memorandum von 2010 Vorschrift ist, damit die Behörde eine Sicherheits- und Umweltschutzkontrolle des Schiffes nach internationalen Normen vornehmen und darüber ein Zertifikat ausstellen kann. Die letzte Kontrolle erfolgte 2019 in Polen, nachdem das Schiff auf der Werft von Gdansk gelegen hatte. Dabei wurden rund 20 Mängel aufgelistet, die wenigstens halbwegs beseitigt werden mussten, bevor das Schiff auslaufen durfte.

Die Odeep One hat eine wechselvolle Vergangenheit. Sie wurde auf der Werft von Wismar als Eisenbahnfähre gebaut, lief dort 1986 vom Stapel und wurde auf den Namen Mukran getauft. Das Schiff transportierte fast zehn Jahre lang Güterzugwaggons. Nach dem Verkauf 1995 an eine russische Reederei wurde sie zu einer Autofähre umgebaut mit Kabinen für 130 Passagieren. Unter dem Namen Petersburg fuhr das Schiff vor allem in der Ostsee, im Krieg in Ex-Jugoslawien hat es zudem Waffen und Militärfahrzeuge transportiert. 2019 wurde das Schiff an die französische Firma OFW Ships verkauft, die es in Odeep One umbenannte und im Billigflaggenstaat Panama registrieren ließ. In Gdansk wurde es zu einem Fabrikschiff umgebaut, um Meerwasser aus 130 Meter Tiefe hochzupumpen, zu entsalzen und als Mineralwasser in Flaschen abzufüllen. Doch zu diesem Einsatz vom neuen südfranzösischen Heimathafen Sète aus kam es nicht mehr. Auch das Umrüsten auf Desinfektions-Gel bei Ausbruch der Corona-Pandemie konnte den Konkurs der Firma Ocean Fresh Water nicht abwenden.

Ende 2020 hat das Handelsgericht von Sète das Schiff versteigert. Der jetzige Eigner ist die niederländische Investmentfirma Kuikawa mit Sitz in Den Haag, eine Filiale der Kuikawa-Holding in Singapur, die bereits den Umbau in ein Meerwasser-Fabrikschiff finanziert hatte und nun wohl mit dem Verkauf des Schrotts wenigstens einen Teil ihrer Investitionen retten will. Ohne vollständige Papiere ausgelaufen, hat das Schiff auch noch in Verletzung der internationalen Umweltvorschriften kurz nach der Ausfahrt aus dem Hafen von Sète leere Treibstofftanks mit Meerwasser gereinigt. Das Wasser-Öl-Gemisch wurde ins Meer abgelassen, so dass an der Küste Umweltalarm ausgelöst und der Badestrand zeitweise gesperrt werden musste. Der Hafendirektor äußerte sich den Medien gegenüber überrascht von der überstürzten Abreise des Schiffes, war aber auch sichtlich erleichtert, das unansehnliche Schrottschiff endlich los zu sein. Doch dass das Auslaufen hinter seinem Rücken erfolgte, ist wenig glaubwürdig, immerhin musste das Schiff dafür einen Lotsen und einen Schlepper des Hafens in Anspruch nehmen.

In den folgenden Tagen hat das Schiff das Mittelmeer durchquert und Kurs auf Port Said genommen, um den Suezkanal zu passieren. Die Organisation Robin des Bois hat die ägyptische Kanalbehörde auf die Odeep One aufmerksam gemacht und sie aufgefordert, die Papiere des Schiffe besonders gründlich zu prüfen und es bei Bedenken abzuweisen. In diesem Falle hätte das Schiff das Mittelmeer noch einmal – diesmal von Ost nach West – durchqueren und Afrika komplett umrunden müssen, um nach Südostasien zu gelangen. Dabei, so kalkulierte die Organisation Robin des Bois, könnte die EU-Kommission das Mitgliedsland Spanien auffordern, das Fluchtschiff in der Meerenge von Gibraltar durch seine Marine abzufangen und in einen europäischen Hafen zu leiten, um die EU-Vorschriften durchzusetzen. Doch das war ebenso unwahrscheinlich wie ein Veto der Suezkanalgesellschaft.

Tatsächlich hat die Odeep One inzwischen den Kanal hinter sich gelassen und befand sich am Sonntag bereits mitten im Roten Meer. »Diese Flucht aus der Verantwortung konnten wir leider nicht verhindern«, meint Jacky Bonnemain, Gründer und Sprecher von Robin des Bois. »Aber das wird uns nicht entmutigen, weiter auf solche Fälle aufmerksam zu machen und darauf zu drängen, dass die europäischen Umweltnormen in der Praxis durchgesetzt werden.«

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