- Berlin
- Coronakrise
Eine Krise hat es nie gegeben
Gesundheitssenatorin verteidigt Corona-Krisenstab des Landes und die Bemühungen in der Impfkampagne
Lars Düsterhöft rettet am Montag ein Stück der Ehre der SPD. »Wir haben als Landespolitiker erheblichen Druck auf die Senatsverwaltungen ausgeübt«, erklärt der Abgeordnete am Montag im Gesundheitsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. In der ersten Sitzung des Gremiums nach der Sommerpause wird ein Großteil der Zeit der Debatte gewidmet, ob es im Krisenstab der Gesundheitsverwaltung zu Verfehlungen gekommen ist, wie Beschäftigte Mitte Juli in einem Brandbrief beklagt hatten (»nd« berichtete).
Personalvertreter*innen hatten damals zusammen mit der Gewerkschaft Verdi die Auflösung des gesamten Stabes gefordert. Die Begründung: Seit Beginn der Corona-Pandemie Anfang 2020 leisteten die Beschäftigten »in einem erheblichen Maße Mehrarbeit, Überstunden, Rufbereitschaft, Dienst an Sonn- und Feiertagen, an Wochenenden und zu ungünstigen Zeiten«. Die Dauerbelastung fordere gesundheitlich ihren Tribut, Privat- und Familienleben blieben auf der Strecke. »Die Beschäftigten sind zwar weiter hoch motiviert, aber inzwischen am Ende ihrer Kräfte«, hatte es geheißen. Der Gesundheitssenatorin selbst und ihrer Staatssekretärin Barbara König (SPD) warf man »spontane Wutausbrüche« und »persönliche Anfeindungen« gegenüber Beschäftigten, der Hausleitung mangelnde Wertschätzung vor.
Urlaub, Freizeit, finanzieller Ausgleich: Habe es alles gegeben, hält Kalayci knapp vier Wochen später dagegen, nachdem sie damals den Beschäftigten Gesprächsbereitschaft signalisiert hatte. Allein 2021 seien bereits knapp 3000 Urlaubstage in Anspruch genommen worden. »Eine Ausnahmesituation erfordert auch eine Ausnahmebereitschaft«, erklärt die Senatorin. Ohnehin sei der Krisenstab längst auf 74 Beschäftigte heruntergefahren, davon 31 aus anderen Dienststellen, darunter auch anderen Senatsverwaltungen - genug Unterstützung aus ihrer Sicht.
»Der Krisenstab ist leistungs- und arbeitsfähig, auch in die Zukunft gerichtet«, wehrt sie den Vorschlag seiner Auflösung ab. »Die Pandemie ist noch nicht vorbei, die Berliner und Berlinerinnen erwarten von uns, dass wir dieser Verantwortung gerecht werden.« Es habe überdies viele Menschen gegeben, die gesagt hätten: »Wir wollen diesen schweren Job gern machen.« Ohne Überstunden und Wochenenddienst gehe es nicht, so Kalayci.
»Die Strukturen in der Verwaltung ticken doch nicht wie in einem Wirtschaftsunternehmen, wo man sich von einem Tag auf den anderen auf einen anderen Kunden einstellt«, erklärt ihr Parteifreund Düsterhöft dann vermittelnd zu wiederholten Anschuldigungen von Oppositionsabgeordneten, die Senatorin verhalte sich nicht zu den Vorwürfen und lehne es ab, sich zu entschuldigen.
Wirbel gab es auch um die Frage nach Ansteckungen bei Mitarbeiter*innen der Berliner Impfzentren. 98 Prozent der dort Beschäftigten sind laut Gesundheitssenatorin Kalayci geimpft. Trotzdem waren zuletzt per PCR-Test drei Corona-Infektionen im Impfzentrum in der Arena in Treptow bekannt geworden. Aus diesem Grund dürfen 43 Menschen zurzeit nicht mehr dort arbeiten, erklärte Gesundheitsstaatssekretär Martin Matz (SPD). Das Impfzentrum sei aber nicht der Ansteckungsort gewesen, sondern ein Gastronomiebetrieb. »Dort waren 43 Personen anwesend, die nun alle vom Dienst ausgeschlossen worden sind«, so Matz.
Von den drei Infizierten habe eine Frau am vergangenen Donnerstag im Impfzentrum gearbeitet, nachdem Symptome aufgetreten waren, sagte die Sprecherin der Berliner Impfzentren, Regina Kneiding, am Sonntag. Sie sei allerdings im Erste-Hilfe-Bereich tätig gewesen, wo es kaum Kontakt mit Gästen des Impfzentrums gebe. Die Sprecherin wies darauf hin, dass es im Impfzentrum wegen hoher Hygienestandards so gut wie zu keinen Ansteckungen komme.
Auch über diesem Fall schwebt die Frage, wie es angesichts der schwächelnden Impfbereitschaft allgemein um vertrauensbildende Maßnahmen für jene bestellt ist, die selbst noch immer nicht geimpft sind. Kalayci selbst erklärt, sie habe bei Schwerpunktimpfungen den Eindruck gewonnen, dass viele Schwierigkeiten mit einer festen Terminbuchung hätten und diese nicht vereinbaren könnten oder wollten. Man frage regelmäßig die Bezirke ab, welche Milieus anders als über die regulären Impfangebote erreicht werden müssten.
Der CDU-Abgeordnete Oliver Zehlen fragt nach, warum es trotz der Zulassung der Ständigen Impfkommission in Berlin noch keine Impfempfehlung für die ab Zwölfjährigen gebe. Über das Angebot habe man in einem Schreiben informiert, offensiv werben könne man nur bei den über 18-Jährigen, entgegnet die Senatorin. Vor allem ungeimpfte Erwachsene im Umfeld von jungen Menschen seien verantwortlich, dass Kinder sich anstecken, erklärt Kalayci.
Es sei nicht vertrauensbildend, wenn hier politischer Druck ausgeübt werde, gibt dazu Wolfgang Albers (Linke) zu bedenken. Impfen bleibe eine ärztliche Entscheidung, auch wenn es nachweislich keine schweren Nebenwirkungen bei Corona-Impfungen gebe. »Je mehr Druck wir ausüben, desto weniger Vertrauen werden wir erhalten«, so der Mediziner und Gesundheitspolitiker.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.