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Der Pragmatismus der Malocher

Beschäftigte der Automobilindustrie sind trotz der Angst um ihre Jobs Klimafragen gegenüber durchaus aufgeschlossen

  • Jörn Boewe, Stephan Krull und Johannes Schulten
  • Lesedauer: 8 Min.

Ohne eine Unterstützung aus der Industriearbeiterschaft ist jedes Projekt einer sozial-ökologischen Transformation zum Scheitern verurteilt. In der Bundesrepublik Deutschland gilt dies in besonderem Maße mit Blick auf die Beschäftigten der Leitindustrie Automobilbau. Für die breite gesellschaftliche Unterstützung einer klimagerechten Verkehrswende ist auch die Haltung der Beschäftigten in anderen mit der Verkehrsinfrastruktur zusammenhängenden Branchen wichtig. Um herauszufinden, wie die Beschäftigten der Automobilindustrie zum Thema E-Mobilität stehen, wurden 38 Interviews geführt. Die Interviewpartner waren vor allem mittlere betriebliche Gewerkschaftsfunktionär*innen.

Das Ergebnis: Unter den interviewten gewerkschaftlichen Aktiven gibt es im Hinblick auf Umwelt- und Klimaprobleme eine bemerkenswerte »kritisch-reflektierte Produzentenintelligenz«. Nahezu alle Interviewten haben nicht nur ein tiefes Verständnis von den Produktionstechnologien, Fabrikabläufen und Produkten, sondern zugleich auch eine hohe Sensibilität für die gesellschaftlichen und ökologischen Konsequenzen des »Automobilismus«. Facharbeiter*innen und Ingenieur*innen geben kenntnisreich und differenziert Auskunft über die technologischen Potenziale unterschiedlicher Antriebstechnologien und deren Anwendungsmöglichkeiten. Sie setzen sich mit den Folgen der auf die Massenproduktion meist großer und schneller Autos ausgerichteten Geschäftsmodelle ihrer Unternehmen auseinander.

Die Autoren
Jörn Boewe und Johannes Schulten betreiben zusammen das Journalistenbüro »work in progress« in Berlin. Sie sind auf Gewerkschaftsthemen spezialisiert und schreiben auch regelmäßig für das »nd«. Zusammen mit dem Gewerkschafter Stephan Krull, der ebenfalls für »nd« schreibt, haben sie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung die 87-seitige Studie »E-Mobilität – ist das die Lösung?« verfasst, die auf einer Befragung von Beschäftigten zum sozial-ökologischen Umbau der Autoindustrie beruht. Wir veröffentlichen einen Auszug.

Für alle Interviewten ist es selbstverständlich, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Ökobilanz ihrer Betriebe angesichts von Klimawandel, endlichen Ressourcen und einer immer problematischer werdenden Pkw-Dichte in Ballungsräumen verbessert werden kann. Dabei besteht ein hohes Interesse an Inhalten und Forderungen von Umweltbewegungen wie Fridays for Future (FfF), die in einigen wenigen Fällen sogar aktiv unterstützt werden. Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass Ziele, Methoden und Artikulationsformen unbedingt geteilt werden. Um einen Eindruck der betrieblichen Stimmungen zu geben, verweisen wir hier auf die Aussagen eines VW- sowie eines Daimler-Vertrauensmannes: »Wir diskutieren das häufig in unserem Funktionärskreis, wo die Leute auch ihre Positionen einbringen. [...] Die Position, [...] dass Klima überhaupt nix mit Gewerkschaften zu tun hat, kriege ich nicht mit. Die Kollegen wissen, dass Veränderungen anstehen [...]. Aber sie wollen auch, dass es sich am Ende nicht gegen die Kollegen richtet, das kann ja nicht richtig sein. [...] Da wird im Kopf durchdacht: Was ist wichtiger: Mein Arsch oder das Klima? Da sind die Kollegen noch nicht so weit zu sagen, dass man das nicht mehr voneinander trennen kann.«

»Mein Herz ist zerrissen. Denn ich arbeite bei einem Automobilhersteller und dann noch ausgerechnet im Truckwerk«, heißt es in einem Beschäftigteninterview. Man produziere schwere Lkw-Motoren. Da sei es natürlich so, dass man einen gut bezahlten Job habe. Denn die IG Metall sei die »letzte, vielleicht noch die IG Chemie, die letzte große Gewerkschaft, die noch gescheite Löhne aushandeln kann«. »Ich will also meinen Lebensstandard behalten, gleichzeitig darf die Ökonomie nie vor der Ökologie stehen, wenn wir unseren Planeten nicht kaputtmachen wollen«, heißt es weiter. »Ein Großteil der Kollegen sieht das ähnlich. Wir haben einen Klimawandel, da muss man was machen. Ob das jetzt E-Mobilität ist, das weiß ich nicht.«

Das Bewusstsein der betrieblichen Aktiven für die Bedeutung der Klimafrage ist vorhanden, doch es kollidiert immer wieder mit dem Interesse an einem sicheren Arbeitsplatz (»Mein Arsch oder das Klima«). Einige wenige Interviewte berichten sogar von konkreten Initiativen, den Austausch zwischen Fridays for Future und der Belegschaft voranzubringen, und von Diskussionen über mögliche Kooperationen: »Ich persönlich sehe da eine Chance. Ich habe auch schon beim BR [Betriebsrat, d. A.] angemeldet, dass ich das gerne mal machen möchte. Der BR hat gesagt, die Vertrauensleute in der kleinen Runde sind verkehrt, besser wäre eine VL-Vollversammlung [Vertrauensleute, d. A.], in der es nur um dieses Thema geht. Ich halte das für eine sehr gute Idee [...], weil dann auch klar ist, dass es um das Thema geht. Dann kann sich auch niemand beschweren, dass das nichts mit VW zu tun hat. Dann sollte es auch um den A49-Ausbau gehen. Das fände ich ein super Format, und ich würde mich freuen, wenn das klappt.«

Zu diesen Eindrücken passt auch die Einschätzung von Carsten Bätzold, Betriebsratsvorsitzender von Volkswagen Kassel, dem mit 17 000 Beschäftigten zweitgrößten VW-Werk in Deutschland. Bätzold berichtete in einem Interview in »Der Freitag«: »Jeder, der ein bisschen denken kann, weiß, dass das Thema Klima das große Problem unserer Zeit ist. Das ist auch bei uns im Betrieb so. Und die, die sich damit auseinandersetzen, wissen natürlich, was wir für Autos bauen und welche Umweltkosten, aber auch sozialen Folgen damit verbunden sind. Aber die müssen natürlich auch ihre Familien ernähren. Denn so funktioniert das: Du verkaufst deine Arbeitskraft und kriegst Geld dafür. Und wenn du deine Arbeitskraft nicht verkaufen willst, bekommst du auch kein Geld. Aber noch mal: Klima ist ein wichtiges Thema in der Belegschaft.« Interessant und auf den ersten Blick widersprüchlich ist, dass die konstatierte »kritisch-reflektierte Produzentenintelligenz« mit einer weit verbreiteten Skepsis gegenüber der medial transportierten öffentlichen Meinung einhergeht.

Die Interviewten bezeichnen die Medienberichterstattung zu Verbrennungsmotoren als »undifferenziert« oder »pauschal«, überhaupt bemängeln sie ein fehlendes Verständnis der Medien beziehungsweise der Gesellschaft für die Interessen der Beschäftigten der Automobilbranche. Relativ verbreitet ist die Sicht, dass Elektromobilität und deren Potenziale »glorifiziert«, Probleme dagegen verschwiegen oder zu wenig herausgestellt werden. Die Vorteile kleiner und moderner Verbrennungsmotoren würden dagegen zu wenig wertgeschätzt. Dazu die Meinung einer Betriebsrätin eines Daimler-Werks: »Wenn du mal die Zeitung aufschlägst oder Politiker hörst, die ihre Debatten über Klimawandel oder Umrüstung der Automobilindustrie führen, dann [haben die] häufig sehr einfache Antworten auf sehr komplexe Fragen. Die fordern dann: ›Keinen Diesel mehr‹ oder ›Baut keine Autos und Busse mehr‹ und ›Achtet auf ein nachhaltiges Leben‹. Klar, das sind coole Antworten, die vielleicht bei vielen jungen Leuten oder solchen, die gerne Grün wählen, ankommen. Aber bei den Leuten, die hier jeden Morgen reinkommen, um ihr Geld mit harter Arbeit zu verdienen, die denken: […] ›Hier will mir jemand an den Arbeitsplatz.‹ Die Personen, die so was sagen [...], haben meistens keine Antworten auf die Frage der Arbeitsplatzsicherung, die es braucht, auch wenn man andere Produkte fertigt.«

Wald statt Asphalt
Die gegenwärtige Verkehrspolitik ist weit davon entfernt, eine Mobilitätswende zu wagen

Ähnlich ein Betriebsratsvorsitzender eines großen Automobilzulieferers, der eine Diskreditierung von »Verbrennern« in der öffentlichen Debatte moniert und die Diskussion über die Chancen von Wasserstoffmotoren vermisst: »Für uns ist es nicht nachvollziehbar, warum der Dieselmotor verteufelt wird. Aber so, wie wir es sehen, wird es auch in 15 Jahren weiterhin Verbrenner geben. Man muss die Technologie weiterentwickeln, das muss kein Diesel sein. Es gibt ja auch andere Brennstoffe wie Wasserstoff oder synthetische Brennstoffe, die kommen in der Ökobilanz auch an die E-Autos ran, wenn man die Gesamtbilanz nimmt.«

Einfache Antworten, die bei jungen Leuten und Grünen-Wähler*innen, von denen man sich distanziert, ankommen, Unverständnis über die Verteufelung von Dieselmotoren und der Wunsch nach ökologisch gleichwertig eingeschätzten Alternativen zum elektronischen Antrieb - so nehmen viele Interviewte die öffentliche Diskussion über die Zukunft der Automobilindustrie wahr.

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Wie ist diese Sicht zu erklären? Auf einen interessanten Aspekt verweist ein interviewter Daimler-Vertrauensmann, der berichtet, dass vielen Kolleg*innen nicht einleuchte, warum es ökologischer sein soll, alte Autos gegen neue einzutauschen: »Die sagen sich, ich habe ein Achtzylinderauto, das ist acht Jahre alt. Wenn ich den jetzt verkaufen würde, würde der auf dem Schrottplatz landen. Was wollen die denn von mir?« Der Interviewte spricht hier vom »Pragmatismus des Malochers«. Gemeint ist damit, dass der Glaube an eine Verbrauchersouveränität und die Möglichkeit, durch das eigene Konsumverhalten gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen zu können, nach Meinung des Interviewten zumindest unter den gewerblichen Beschäftigten nicht sonderlich ausgeprägt ist. Entsprechend ablehnend sei die Reaktion, wenn so ein Anspruch in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen werde.

Unserer Meinung nach ist bei der in den Interviews formulierten Forderung nach Alternativen zum Verbrenner und der Unzufriedenheit mit der Glorifizierung von Elektro die »kritisch-reflektierte Produzentenintelligenz« am Werk: Beschäftigte wollen sehr wohl den Wandel mitgestalten.

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Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther fordert von Bezirken mehr Engagement für die Verkehrswende

Das soll nicht heißen, dass es innerhalb der Belegschaften keine Kolleg*innen gibt, die den Klimawandel leugnen oder jede Problematisierung des auf fossilen Kraftstoffen basierenden Automobilismus zurückweisen. Natürlich gibt es relevante Gruppen in den Belegschaften, die zu solchen Positionen tendieren. Unser Eindruck ist jedoch: Es handelt sich eher um Minderheiten. Innerhalb der von uns untersuchten Schicht der gewerkschaftlichen Meinungsführer*innen in der Werkshalle haben sie nicht die Deutungshoheit. In unserem Sample kamen sie schlicht nicht vor.

Der bereits zitierte (hoch qualifizierte) Daimler-Vertrauensmann schätzt, dass der Anteil von »Klimawandelleugnern« in der Belegschaft bei etwa zehn Prozent liegt. In seinem Team mit 36 Leuten seien es zwei oder drei. »Der Tenor ist eher: 10 bis 20 Prozent ignorieren [den Klimawandel, d. A.], 10 bis 20 Prozent fühlen sich getriezt von denen da oben und vom Klima. Der Rest ist offen dafür, dass Umweltverschmutzung ein Problem ist.«

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