Gleise gen Jungfernheide

Erster Spatenstich für Straßenbahn zur Turmstraße in Moabit

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Feierliche Stimmung herrscht am Mittwoch auf dem Hof der U-Bahn-Betriebsschule der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Neben Unternehmensvertretern feiert auch Politikprominenz an dem wenig glamourösen Ort den ersten Spatenstich für den Bau der Straßenbahnstrecke vom Hauptbahnhof bis zum U-Bahnhof Turmstraße. Konkret geht es um ein Gleichrichterwerk für die Stromversorgung. Die Bauarbeiten im Straßenland sollen übernächste Woche starten. Um 2,2 Kilometer wächst damit das Berliner Tramnetz, alle fünf bis zehn Minuten soll ab der ersten Jahreshälfte 2023 die Linie M10 hier verkehren.

Diesmal ist wieder von 16 000 erwarteten Fahrgästen täglich die Rede, in kürzlich veröffentlichten Unterlagen wurden dagegen 10 200 Nutzerinnen und Nutzer prognostiziert. Das zeugt von zumindest leichtem internen Chaos - die Schätzung war überholt. Sowohl Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) als auch die BVG erklären fälschlicherweise, dass dann nach über 50 Jahren eine Straßenbahn durch Moabit rollen wird. Dabei führt bereits die große Wendeschleife der 2014 eröffneten Strecke zum Hauptbahnhof durch den Ortsteil.

Rund 33 Millionen Euro soll der Bau kosten. Als »gut investiertes Geld für diese Ost-West-Verbindung« bezeichnet das Pop, die auch Aufsichtsratsvorsitzende der BVG ist. Mit der Anbindung an die U9 entstehe eine komfortable Umsteigeverbindung. Die Straßenbahn sei ein zentrales Verkehrsmittel in Berlin, schnell und klimafreundlich.

»Wir korrigieren einen historischen Fehler«, sagt Verkehrsstaatssekretär Ingmar Streese (Grüne) und meint die Einstellung der Straßenbahn in Westberlin 1967. Er rechnet damit, dass mehr Fahrgäste als prognostiziert die neue Strecke nutzen werden, wenn die Coronadelle ausgeglichen ist. Die BVG meldet, aktuell wieder 70 Prozent der Vor-Pandemie-Werte erreicht zu haben. »Der Öffentliche Personennahverkehr ist immer dann erfolgreich, wenn er besonders attraktiv ist«, so Streese.

Der ÖPNV habe auch einen sozialen Aspekt, »weil er das Verkehrsmittel ist, das von Menschen mit weniger Geld genutzt wird«, hebt der Staatssekretär hervor. Das liegt auch an der Qualität des Angebots, der Sauberkeit und dem Komfort von Stationen und Fahrzeugen. Ein Blick nach Zürich zeigt, dass bei den dortigen Standards, auch was Pünktlichkeit und Schnelligkeit angeht, durchaus viele Gutverdiener das Angebot nutzen. Hier liegt noch ein großer Weg vor Berlin.

Eine »ganz wichtige Entwicklungschance für Moabit« nennt Sabine Weißler (Grüne), Verkehrsstadträtin von Mitte, die neue Strecke, vor allem, wenn sie nach Jungfernheide verlängert wird. Sie hoffe auf ein besseres Zusammenwachsen und einen »stärkeren sozialen Zusammenhalt« für den Ortsteil Moabit.

Der Verkehrsexperte der Linksfraktion, Kristian Ronneburg, nennt die derzeitigen Planungen für die Weiterführung nach Jungfernheide »rückwärtsgewandt«. »Die Senatsverkehrsverwaltung plant hier keinen besonderen Bahnkörper, sondern in jeder Richtung eine Gemeinschaftsspur für Straßenbahn und Auto und die angebliche sogenannte Pulkführerschaft der Straßenbahn«, sagt Ronneburg zu »nd«. Und das, obwohl die Straßen genauso breit seien wie im nun im Bau befindlichen Abschnitt mit eigenem Gleisbett. »Pulkführerschaft« bedeutet, dass die Straßenbahn durch entsprechende Ampelschaltungen vor der Autokolonne losfahren kann und somit freie Bahn hat. In der Praxis bremsen in Berlin bisher Ampelschaltungen die Züge aus, weil sie schlecht gemacht sind. Ronneburg kritisiert auch, dass die Radwege nur mit zwei Metern Breite geplant sind, obwohl mindestens 2,30 oder 2,50 Meter vorgeschrieben sind. Staatssekretär Streese wiegelt ab. Es handele sich um ein »ganz frühes Planungsstadium«. Er verspricht: »Hier wird es noch zu Korrekturen kommen.«

BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt kündigt an, dass trotz der Bauarbeiten Straßenbahnen weiter den Hauptbahnhof anfahren können. Es sei »ganz wichtig, dass wir durch Baumaßnahmen ein bestehendes Netz nicht entsprechend einschränken«. Eine neue Weichenverbindung westlich der Haltestelle soll das möglich machen. Bisherige Informationen erweckten den Eindruck, dass ab 12. Dezember die Tram fast vier Monate den Knotenpunkt nicht mehr erreicht. »Ob tatsächlich umgeplant oder nur schlecht kommuniziert wurde, weiß ich nicht«, sagt Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB. »Hauptsache, unsere Kritik hatte Konsequenzen.«

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