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»Wohnen minus Freiheit«
Schleswig-Holstein rühmt sich für die gute Ausstattung des neuen Abschiebegefängnisses für Norddeutschland
Was Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) kürzlich zynisch als »Wohnen minus Freiheit« anpries, geht nun in den Betriebsmodus. Zunächst sollen an diesem Montag zwölf Personen in die neue Abschiebehaftanstalt in Glückstadt gebracht werden. Für eine stärkere Auslastung fehlt es in Zeiten, in denen der reguläre Strafvollzug schon mit der Besetzung offener Stellen zu kämpfen hat, schlichtweg noch an Personal. 72 Vollzugsangestellte, sechs Verwaltungskräfte und ein privater Sicherheitsdienst sind vorgesehen. Eine medizinische Betreuung gehört ebenfalls zur Einrichtung.
All das lässt sich jedes der drei Bundesländer, die den Abschiebeknast betreiben – neben Schleswig-Holstein sind das Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg – jährlich sechs Millionen Euro kosten. Die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft ist entsetzt darüber: »Das Geld wäre besser in Integration investiert«, sagt deren Sprecherin für Flucht und Migration, Carola Ensslen. Karen Larisch, Linke-Landtagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern, kritisiert vor allem die SPD in ihrem Bundesland, die in der Regierung mit der CDU Abschiebungen mittrage, obwohl sie eigentlich dagegen sei. »Flucht und Migration sind keine Verbrechen, sondern Menschenrechte und von der Genfer Flüchtlingskonvention gedeckt«, erklärte Larisch. Sie kündigte die Teilnahme von Mitgliedern ihrer Fraktion an Protestaktionen gegen das Gefängnis in Glückstadt an.
In Schleswig-Holstein beschritt die damalige Landesregierung von SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband 2014 einen anderen Weg: Man schloss den maroden Abschiebeknast in Rendsburg. 2017 kam mit dem Regierungswechsel zu CDU, FDP – und Grünen – der Richtungswechsel zurück zur Abschiebehaftanstalt. Auch der rot-grüne Hamburger Senat und die Große Koalition in Schwerin gaben grünes Licht für das Projekt.
Die frühere Marinekaserne am Rande der 12.000-Einwohner-Stadt, 1935 gebaut, war ab 2000 noch einmal für zehn Millionen Euro saniert worden, bevor die Bundeswehr den Standort 2004 aufgab. 2009 gelangte der Komplex in die Hände eines Bauunternehmers. Zunächst hieß es, hier könne bald ein Gewerbe- oder Einkaufszentrum entstehen. Realisiert wurde nichts davon. Dafür wurde ein Teil der leerstehenden Gebäude und des Areals 2015 ans Land Schleswig-Holstein vermietet. Nach aufwendigem Umbau, der sich schließlich nicht zuletzt durch Corona in die Länge zog, steht man nun vor meterhohen Mauern. Rundum gesichert sind diese auch noch einmal mit Stacheldraht. Dazu wurde auf 21.000 Quadratmetern hochmoderne Sicherheitstechnik installiert.
Kurz vor der Eröffnung des Gefängnisses hatte das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge die Presse zu einem Rundgang durch einen Großteil der 84 Zimmer in fünf Gebäuden eingeladen. Dabei wurde ein Blick in die Unterkünfte, Gemeinschaftsräume, Freizeitzimmer mit Kicker, Tischtennisplatte und Spielekonsole, Fitnessbereich, Gebetsraum und Krankenstation gewährt. Die offene Frauenabteilung umfasst acht, die Männerabteilung die restlichen Hafträume, alle je 14 Quadratmeter groß. Zwei Häuser werden als offene Wohngruppen betrieben, eines im Sicherheitsmodus für Personen, die sich aus Behördensicht als selbst- oder fremdgefährdend erwiesen haben.
Die Hafträume bleiben grundsätzlich geöffnet. Insassen können sie aber von innen verriegeln. In Gefahrensituationen können die Türen aber von außen geöffnet werden. Fernseher, Bett, Stuhl, Waschbecken und Toilette gehören zum Standardinventar. Dazu gibt es Taschengeld, ein Mobiltelefon ohne Kamerafunktion, Waschmaschinen. Ein Kiosk auf dem Gelände ist noch in Planung. Die Ausstattung, für die sich die Kieler Landesregierung rühmt, beruhigt aus Sicht der schleswig-holsteinischen SPD-Fraktionschefin Serpil Midyatli jedoch nur das schlechte Gewissen der verantwortlichen Jamaika-Koalition. Midyatli, die auch SPD-Landesvorsitzende ist, sieht in dem Bau eine Befriedigung der Hardliner in der CDU. Die Eröffnung kurz vor der Bundestagswahl ist aus ihrer Sicht auch taktischer Natur, auch, wenn das Innenministerium zunächst davon absehen will, in Glückstadt auch Familien festzuhalten.
Die in Kiel mit CDU und FDP regierenden Grünen lehnen Abschiebegefängnisse eigentlich ab. Man hoffe auf andere Mehrheiten nach der Bundestagswahl und eine Abschaffung der Maßnahme, erklärte Aminata Touré, migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion. In der Einrichtung gibt es keine Polizeistation, dafür wurde auf Druck der Kommunalpolitik das Polizeirevier von Glückstadt um drei Bedienstete aufgestockt. Vor Corona nahm Mecklenburg-Vorpommern im Ranking der abschiebefreudigsten Bundesländer Platz drei ein. Hamburg steigert gerade wieder kontinuierlich seine Abschiebezahlen. Auf Hochinzidenz- oder Virusvariantengebiete wurde und wird dabei keine Rücksicht genommen.
Die Flüchtlingsräte der drei beteiligten Bundesländer wollen gemeinsam mit Kirchenvertretern dafür kämpfen, dass das Gefängnis so bald wie möglich wieder geschlossen wird. Erst einmal wollen sie dafür sorgen, dass tatsächlich allen Insassen das Recht auf Besuche wie auch auf soziale wie rechtliche Beratung gewährt wird. Auch Schleswig-Holsteins Flüchtlingsbeauftragter Stefan Schmidt lehnt das Instrument der Abschiebehaft grundsätzlich ab. Trotzdem arbeitet er im sozialpolitisch begleitenden Beirat für den Vollzug der Abschiebehaft mit. Er wolle »die Interessen der zukünftigen Gefangenen vertreten«, sagte er gegenüber »nd«. Nach Inbetriebnahme der Einrichtung sieht er nur noch die Möglichkeit, »die Haftbedingungen so zu gestalten, dass der Eingriff in die Lebensumstände der Betroffenen so gering wie möglich bleibt«.
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