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Taliban light
Die Medien interessieren sich vor allem dann für Morde an Frauen, wenn der Täter muslimisch ist oder geflüchtet
Jeder Mord an einer Frau ist einer zu viel. Deswegen macht es fassungslos, dass viele Medien ein Rating dieser Gewalttaten vornehmen – als wären manche Frauenmorde schlimmer als andere. Laut Familienministerium wird in Deutschland im Durchschnitt alle drei Tage eine Frau durch ihren (Ex-) Partner getötet. Jeden Tag gibt es ein versuchtes Tötungsdelikt an einer Frau. In der Regel sind es weiße deutsche Frauen, die von weißen deutschen Männern angegriffen oder ermordet werden. In den Medien ist dann meist von einem »Familiendrama« die Rede. Die Tat wird dem individuellen Mann angelastet, nicht der Kultur, aus der er stammt.
Tötet hingegen ein eingewanderter Mann eine Frau, dann wertet man dies als Beweis, dass Männer aus »Ländern mit archaischen Ehrvorstellungen« gefährlich und unintegrierbar seien. So etwa kürzlich in Berlin, als zwei Afghanen mutmaßlich ihre Schwester Maryam H. umbrachten, weil sie sich scheiden ließ und unabhängig leben wollte. Die Rede ist dann von einem »Ehrenmord«. Und dies wird in vielen Medien als viel schlimmer dargestellt als – wie soll man sagen? – ein normaler, alltäglicher Beziehungsmord von einem weißen deutschen Mann an einer Frau. Tja, halt ein Familiendrama, kann jedem mal passieren, sie hat ihn ja auch provoziert, aber im Grunde ist er ein netter Kerl.
Die mediale Bewertung – das »Ranking« der Morde – ist also sehr unterschiedlich. Als vergangenes Jahr in Kitzbühel ein junger weißer Tiroler seine Ex-Freundin sowie deren Familie und ihren neuen Freund erschoss, lautete die Überschrift im »Spiegel«: »Sie nannte ihn Bibi, er nannte sie Mausi.« Netter und harmloser kann man einen Mehrfachmord aus Eifersucht nicht übertiteln.
Im Glossar der Neuen deutschen Medienmacher*innen steht dazu folgendes:
»Ehrenmord definieren Expert*innen für das Bundeskriminalamt so: ›Tötungsdelikte, die im Kontext patriarchalisch geprägter Familienverbände oder Gesellschaften vorrangig von Männern an Frauen verübt werden, um die aus Tätersicht verletzte Ehre der Familie oder des Mannes wiederherzustellen‹. Teils wird die Bezeichnung jedoch allgemein verwendet, zum Beispiel wenn ein türkeistämmiger Mann seine Frau umbringt. In vielen Fällen würde die gleiche Tat, begangen in einem standarddeutschen Umfeld, Familientragödie oder Beziehungstat genannt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwendet für solche Taten den Begriff Femizid. Alternative: Frauenmord.« Dazu schreibt der »Stern«: »Wer von ›Ehrenmord‹ spricht, übernimmt die Verteidigung der Täter, nämlich die Ansicht, dass die Opfer durch ihr Verhalten die Ehre der Familie verletzt hätten. Man gibt den Opfern damit zwischen den Zeilen die Schuld.«
Im Grunde geht es immer um »Ehre« in dem Sinne von verletztem Stolz. Wer für sich die Kontrolle und Befehlsgewalt über alle Frauen beansprucht, erst recht über »seine« Frau, wird es als schlimme Kränkung erleben, wenn diese Frau frei entscheidet, was sie tun und lassen möchte. So wie die junge Tirolerin in Kitzbühel, die sich von ihrem langjährigen Partner trennte. Oder die Afghanin Maryam H., die sich scheiden ließ.
Gewalt gegen Frauen hat mit patriarchalen Strukturen zu tun, nicht mit Religion. Jeder Ausbruch aus der patriarchalen Ordnung, jede Kränkung des männlichen Selbstwertgefühls wird geahndet. Wie das dann aussieht, ist je nach Kontext unterschiedlich. Manchmal wird der Ruf der Frau durch den Dreck gezogen; diese Version ist gewissenmaßen »Taliban light«. Und manchmal wird sie ermordet.
Dahinter stehen immer die gleichen patriarchalen Denkmuster – sie liegen nur an gegensätzlichen Enden derselben Skala. Genau diese Strukturen sollten Medien herausarbeiten; stattdessen wird Frauenunterdrückung ethnisiert oder einer Religion zugeordnet. Laut »Bild« zeigt der Mord an Maryam H., dass die »deutsche Migrationspolitik gescheitert« sei: »Es gibt diese Denkweisen in Deutschland nämlich ursprünglich nicht, sie sind gemeinsam mit den Männern nach Europa eingewandert.«
Das ist eine dreiste Lüge. Auch in Deutschland gibt es gewaltvolle patriarchale Strukturen. Und sie sind nicht nur »Taliban light«: Alle drei Tage findet hier bei uns ein Femizid statt. Einheimisch und hausgemacht.
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