Party statt Prostata

Sheila Mysorekar plädiert für eine andere Berichterstattung über ältere Menschen in den Medien

Medienberichte über Senioren – Party statt Prostata

Ich lese gern die britische Zeitung »The Guardian«. Aus diversen Gründen: hervorragende Berichterstattung, vielfältige Perspektiven und kluge Kommentare. Es gibt eine feste Rubrik über die Klimakrise, Artikel über den Gaza-Krieg, die auch palästinensische Blickwinkel mit einbinden, sowie investigativen Journalismus allererster Güte.

Und der »Guardian« hat eine Rubrik namens »A new start after 60« (Ein Neustart nach 60). In dieser Serie werden normale Menschen porträtiert, die im Alter von 60 – oder mehr – einen Neuanfang in ihrem Leben gewagt haben. Sehr inspirierend, so zum Beispiel das Portrait einer 74-jährigen Frau, die allein durch Asien reist. Oder eine 68-Jährige, die tauchen gelernt hat. Oder ein Mann, der sich seit seiner Pensionierung bei der freiwilligen Feuerwehr engagiert. Die Autor*innen dieser »Guardian«-Reihe schreiben spannende Artikel über diese sehr unterschiedlichen Alten.

Und vor allem schreiben sie in einem Ton, den man aus deutschen Medien eher nicht kennt. Ältere Menschen kommen hierzulande nur als Senior*innen vor, die sich um ihre Rente sorgen. Als Pflegebedürftige, als Demente, als einsame Alte. Oder bestenfalls als sogenannte Silver Ager, die in Mallorca ihren Lebensabend verbringen. Jedenfalls nur selten als selbstbestimmte Menschen mit Träumen und Zukunftsplänen und unkonventionellen Lebensläufen – außer sie sind Prominente. Nur die »Omas gegen Rechts« haben die lahme Berichterstattung über alte Menschen ein wenig aufgemischt.

Sheila Mysorekar

Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem Netzwerk postmigrantischer Organisationen. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Schwarz auf Weiß«. Darin übt sie Medienkritik zu aktuellen Debatten in einer Einwanderungsgesellschaft.

»Rentenschock«, »Personalmangel im Altenheim«, »Betrug mit Enkeltrick« oder »Kreuzfahrtschiffe für Senioren« sind typische Überschriften in deutschen Medien. Ab 60 gelten nur noch die Kategorien Rente, Enkel, Pflegeheim – als ob ältere Menschen sich nicht mehr verlieben, nicht mehr zocken, keinen Unsinn mehr machen, nicht die Welt sehen wollen oder eine Meinung zu aktuellen Ereignissen hätten. Wie viele interessante Lebensentwürfe könnte man darstellen auf einer Skala zwischen »süße Omi« und »schrulliger Alter«?

Frauen trifft es noch härter, weil Medien ältere Frauen nur in zwei bestimmten Dimensionen betrachten: entweder es gibt unendlich viele Tipps, um jünger auszusehen, die Haare zu färben, die ultimative Faltencreme zu kaufen und so weiter. Oder – sehr viel öfter – sind alte Frauen körperlose, asexuelle Wesen, die mit der Fruchtbarkeit auch ihre Daseinsberechtigung verloren haben; sie tauchen schlicht und einfach nicht mehr auf.

Dies merkt man insbesondere bei Unterhaltungsformaten, aber nicht nur dort: Die Malisa-Stiftung hat vor einigen Jahren eine Studie zu audiovisueller Diversität veröffentlicht, wo untersucht wird, wie Frauen und Männer im deutschen Kino und Fernsehen dargestellt werden, wer wie oft in welchen Rollen auftaucht, und wie alt diese Personen sind. Fazit: »Je älter die Frauen, desto seltener sind sie zu sehen. Wenn Frauen vorkommen, dann als junge Frauen. Ab dem 30. Lebensjahr verschwinden Frauen sukzessive vom Bildschirm. Das gilt für alle Sender und über alle Formate und Genres hinweg. Bis zu einem Alter von 30 Jahren kommen Frauen (…) in etwa gleich oft wie Männer vor. Ab Mitte 30 verändert sich dies: hier kommen auf eine Frau zwei Männer und ab 50 Jahren auf eine Frau drei Männer.« Das ist bitter, weil die TV-Unterhaltung, aber auch die Berichterstattung an dieser Stelle allen politischen Bemühungen um Gleichberechtigung zuwiderlaufen.

Eine Ausnahme gibt es jedoch, nämlich in Bezug auf Frauengesundheit. Hier wird deutlich, dass die erste Generation feministischer Redakteurinnen allmählich älter wird und auch Tabuthemen offen anspricht: Die Wechseljahre werden neuerdings in den Fokus gerückt – und zwar auf eine durchaus politische Weise. So beispielsweise berichtet die »Brigitte«, dass das Thema Wechseljahre im neuen Koalitionsvertrag steht. In der »Tagesschau« wurde dies allerdings nicht erwähnt.

Immerhin – so langsam scheinen die Medien bezüglich der Berichterstattung über Gesundheit im Alter umzudenken, zumindest was Frauen angeht. Aber Männer und ihre Prostata bleiben natürlich Privatsache.

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