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Verblüffende Viktoria

Der Aufsteiger aus Berlin überrascht in der 3. Liga nicht nur mit gutem Fußball

Rocco Teichmann macht sich in seinem Büro gerade einen Kaffee. Seine gute Laune ist im Gespräch mit »nd« sofort spürbar. »Da ist man doch gerne auf der Arbeit«, sagt er und lacht. Gründe gibt es genug, warum dem 35-Jährigen sein Leben als Sportdirektor von Viktoria Berlin derzeit ganz besonders gut gefällt. Den aktuellsten liefert der Blick auf die Tabelle der 3. Liga. Drei Spiele, drei Siege - die Fußballer des Aufsteigers thronen als einzige noch verlustpunktfreie Mannschaft an der Spitze. Belastung und Stress scheut Teichmann auch sonst nicht. »Man arbeitet grundsätzlich sehr viel, wenn man einen Amateurverein zum Profiverein entwickeln will, der ambitionierte Ziele hat«, erklärt er. Allerdings war ihm in seinen bislang sechs Jahren bei dem Verein aus dem Ortsteil Lichterfelde im Berliner Südwesten nicht immer zum Lachen zumute.

Schwere Zeiten mit Viktoria hat auch Christoph Menz schon erlebt. Als der Verein im Dezember 2018 Insolvenz anmelden musste, ging der Mittelfeldspieler zu Eintracht Braunschweig - um ein halbes Jahr später wieder zurückzukehren. Jetzt führt der 32-Jährige die Mannschaft als Kapitän an. Hat er mit solch einem Saisonstart gerechnet? »Natürlich nicht«, antwortet Menz sofort. »Das war so nicht zu erwarten, angesichts der Gegner, die wir hatten.« Dem 2:1 zum Auftakt gegen Viktoria Köln folgten zwei 4:0-Siege - bei Eintracht Braunschweig und gegen den 1. FC Kaiserslautern.

Es sind nicht allein die ersten Erfolge gegen einen gestandenen Drittligisten, einen Zweitligaabsteiger und einen Aufstiegsanwärter, mit denen Viktoria so ziemlich jeden verblüfft. Auch Christoph Menz, der sagt: »Die Art und Weise, wie wir aufgetreten sind, war besonders und beeindruckend - offensiv und mutig.« Dass die Mannschaft immer nach vorn denke, spiele und verteidige, verlange Trainer Benedetto Muzzicato. Über den 42-Jährigen, der im Sommer 2019 das Team übernahm, erzählt der Kapitän, dass er lieber mal ein Spiel mit 4:3 verliere, als die ganze Zeit nur zu mauern. Und der gebürtige Magdeburger Menz, der in seiner Profilaufbahn viele Trainer kennengelernt und 106 Zweitligaspiele für den 1. FC Union und Dynamo Dresden absolviert hat, hebt eine Eigenschaft von Muzzicato hervor: »Er gibt uns als Spielern und Menschen den Raum, uns zu entwickeln. Er überträgt uns viel Eigenverantwortung, dadurch können wir uns freier fühlen, vor allem auf dem Platz.«

FC Viktoria 1889 Berlin Lichterfelde-Tempelhof lautet der volle Name des Vereins. Entstanden ist er im Jahr 2013 aus der Fusion des zweimaligen Deutschen Meisters (1908 und 1911) BFC Viktoria 1889 und dem LFC Berlin. Die sportliche Heimat ist seitdem das Stadion Lichterfelde. Dort, in der Krahmerstraße, sitzt auch Rocco Teichmann in seinem Büro. »Wir haben hier aber nicht die Voraussetzungen, um Profifußball zu spielen«, sagt er. Die Bedingungen des DFB erforderten nach dem Drittligaaufstieg eine neue Heimspielstätte. Gefunden wurde sie, nach langer und komplizierter Suche, im Prenzlauer Berg.

Wenn Viktoria nun zu Heimspielen aufläuft, dann im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Das ist neben dem sportlichen Erfolg ein weiterer Grund für Teichmanns gute Laune. »Der Hype ist da. Und er ist auch ersichtlich in den Zuschauerzahlen. Es sind beim letzten Heimspiel ja nicht 4000 Fans aus Kaiserslautern da gewesen, sondern es waren 1500 und knapp 2500 aus Berlin«, erklärt er. Die gestiegene Aufmerksamkeit, will der Sportdirektor unbedingt nutzen: »Wir würden gerne auch jedes weitere Spiel gewinnen und so möglichst viele Sympathisanten gewinnen, die sich mit diesem Verein, unserem Fußball und unserer Mannschaft identifizieren. Das ist eine große Chance, uns auch in der jetzigen Phase weiterzuentwickeln.«

In der letzten Saison spielte Christoph Menz noch vor rund 500 Fans, auch in den Jahren zuvor war der Zuschauerschnitt bei Viktoria ähnlich. Das gewachsene Interesse hat er natürlich mitbekommen. »Ich merke es an meinem Freundeskreis. Da kommen jetzt immer öfter mal Leute ins Stadion, um uns spielen zu sehen. Erfolg ist immer sexy.« Aus mehr als 150 Spielen kennt er die 3. Liga gut und weiß um die Gefahren. Jeder könne hier jeden schlagen. »Du kannst vier Spiele im Monat gewinnen, aber du kannst auch vier Spiele im Monat verlieren«, meint Menz. Deshalb bleibt der Klassenerhalt Viktorias oberstes Ziel. Um aber noch »den einen oder anderen Fußballinteressierten mehr anzulocken«, müsse der Erfolg noch ein bisschen länger anhalten. »Mit den Spielen im Jahnsportpark, mitten im Zentrum von Berlin, ist das aber für einige bestimmt ganz interessant.«

Zähe Verhandlungen mit dem Berliner Senat, wie zum Umzug in den Prenzlauer Berg, zählen auch zu den neuen Herausforderungen für Rocco Teichmann. Sogar ein Spielort in Brandenburg stand zur Diskussion. In den vergangenen Jahren musste er als Sportdirektor eines Regionalligisten viel mit dem Bezirk Steglitz-Zehlendorf klären. »Der Dialog war immer da, aber was ein Bezirk leisten kann, wenn sich ein Verein auf den Profifußball vorbereitet, ist zu wenig.« Jetzt brauche Viktoria mehr Unterstützung von der Stadt. »Wir werden sehen, wie sich die weitere Kommunikation und Zusammenarbeit gestaltet. Beim wichtigsten Schritt, der Stadionfrage, haben wir die Hilfe bekommen, die absolut notwendig war«, erzählt Teichmann.

Für einen Verein ohne Erfahrungswerte in der 3. Liga, gehe es auch darum, Risiken zu minimieren. »Wir müssen schnell lernen«, sagt der Sportdirektor und bringt ein Beispiel. »In der kommenden Woche steht eine längere Fahrt zum Auswärtsspiel in Zwickau an: Montag Anreise, Montagabend nochmal Training, Dienstag anschwitzen, einen ganzen Tag im Hotel und dann am Abend das Spiel. Das sind neue Sachen, wo wir uns in den Abläufen optimieren müssen, um erfolgreich zu sein.« Auch für den Sportdirektor ist der Klassenerhalt das zentrale Ziel. »Die 3. Liga ist als Basis extrem wichtig. So können wir talentierten Berliner Jungs Perspektiven bieten. Das ist als einziger Verein der Stadt in dieser Liga ein Alleinstellungsmerkmal, das wir in der Regionalliga mit sechs, sieben Konkurrenten nicht hatten.«

»Nach oben« wollten Teichmann und Viktoria schon länger. So wurde die aus seiner Sicht dafür nötige Vereinsstruktur mit vielen hauptamtlichen Mitarbeitern im Vergleich zu anderen Viertligisten frühzeitig installiert. Dass der Verein den Aufstieg geschafft hat, ist aber nicht nur das Ergebnis hartnäckiger Arbeit, auch Glück im Unglück kam hinzu. Im Sommer 2018 schrieb Viktoria schon einmal große Schlagzeilen: Chinesische Investoren wollten den Klub mit Zahlungen in zweistelliger Millionenhöhe von heute auf morgen in den Profifußball hieven. Ein halbes Jahr später kam die Insolvenz, weil kein Geld kam. »Das hat den Verein noch enger zusammengeführt. Er blieb stabil und konnte sich über die Arbeit der Insolvenzverwalter und mit dem Engagement der Familie Karajica und deren «Imvest Gruppe» schnell erholen und wieder angreifen.« Diese neue Verbindung, die der Verein samt ausgegliederter Profiabteilung eingegangen ist, weckt mehr Vertrauen. In Tempelhof wurde mit Hilfe der Gesellschafter ein neues Trainingszentrum erworben. Auch da gibt es noch viel zu tun.

Bei allem Neuen, was Rocco Teichmann bewältigen muss, legt er in einer grundlegenden Sache Wert auf Konstanz. »Um als Verein dauerhaft nach oben zu kommen, muss die Gesamtstruktur stimmen.« Mit rund 1000 Aktiven in 55 Teams, davon 39 im Nachwuchs, ist Viktoria einer der größten Vereine Deutschlands. Und auch da erfolgreich. Die U19 und U17 spielen in der Bundesliga, die U15 in der Regionalliga, auch der Frauenbereich entwickelt sich gut. »Herausfordernd ist es, die Profiabteilungen mit dem Breitensport und Leistungsbereich zusammenzubringen - so entsteht Identität«, beschreibt Teichmann eine seiner wichtigsten Aufgaben.

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