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Weil wir es nicht sehen wollten
JEJA NERVT: Die Realitätsverweigerung der Situation in Afghanistan diente auch der Aufrechterhaltung der Flüchtlingspolitik
Kabul ist gefallen. Afghanistan ist nun endgültig in der Hand der Taliban. Zwar überschlug sich am vergangenen Wochenende die Nachrichtenlage. Doch dürfen die aus dem kulturellen Unbewussten an die Oberfläche gespülten »Blitzkrieg«-Vergleiche nicht darüber hinwegtäuschen: Der Fall der abhängigen Demokratie war lange erwartet worden. Allein ideologische und innenpolitische Gründe haben, wenigstens in der hiesigen Öffentlichkeit, dafür gesorgt, dass sich die Kapitulation von afghanischer Armee und Politik so »plötzlich« angefühlt hat.
Da ist zum einen die seit Monaten andauernde Debatte um die Aufnahme der Ortskräfte. Am 23. Juni lehnte die Bundesregierung gemeinsam mit der AfD einen Antrag ab, der eine organisierte Aufnahme dieser Afghan*innen gefordert hatte. Schon am Sonntag, jenem Tag, als die Taliban Kabul einnahmen, twitterte der CDU-Außenpolitiker und ehemalige Generalstabsoffizier Roderich Kiesewetter, es sei »ein großer und gravierender Fehler« gewesen, »den Antrag der Grünen - aus Prinzip - abzulehnen. Punkt.«
Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasnd.de/jejanervt
Die Moral kommt nach dem Fressen. Immerhin. Denn natürlich hatte die Regierungskoalition etwas davon, die Gefahr für freiheitsliebende Afghan*innen und »Kolloborateur*innen« herunterzuspielen. Wenn man mitten im Wald steht, neigt man zwar dazu, ihn vor lauter Bäumen nicht zu sehen, aber: Kaum eine Leidenschaft in Deutschland ist so groß, so sehr von politischer Zugehörigkeit unabhängig, wie der Rassismus - speziell der Hass auf Menschen, die es wagen, hier nach einem Leben in Sicherheit und Frieden zu suchen. Politik und Öffentlichkeit sind getrieben von diesem unter der Oberfläche brodelnden, manchmal schlummernden, manchmal losschlagend-mordenden deutschen Temperament. Die ergriffenen Maßnahmen, um es aus dem Sichtfeld zu verbannen, können in ihrer Subtilität kaum unterschätzt werden. Zumal vor einer Wahl.
Die auch psychologische Tiefe, in der die Auseinandersetzung um afghanische Flüchtlinge seit Jahren tobt, ließ sich auch im Juli 2018 erahnen, als Seehofer kurz nach seinem Geburtstag feierlich verkündete: »Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 - das war von mir nicht so bestellt - Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden.« Zu diesem Zeitpunkt war einer der Abgeschobenen bereits nach einem Suizid leblos in einer Kabuler Zwischenunterkunft gefunden worden. Doch als dieser Umstand bekannt wurde und zu Kritik am Minister führte, sah der vor allem Anlass, sich selbst ungerecht verfolgt zu fühlen. »Wie das Leben oft so spielt«, sagte er dann zu dem nun mal nicht nur zufälligen Zusammenfallen von Abschiebungen und Sterben. »Und dann wird da etwas draus gemacht«, so der starke Mann aus Bayern. Jenem Land, aus dem 51 der 69 kamen.
Denn wenn der Tod schon einkalkuliert wird, muss man auch den Opfern die Schulg geben. So ist das im Leben. Nach Afghanistan Abgeschobene wurden immer öffentlich als Straftäter*innen gebrandmarkt. Die Behauptung stellte auch der CDU-Abgeordnete Armin Schuster über die 69 auf. Später musste er sich entschuldigen. Es war eine bloß gefühlte Wahrheit. Wie in den beliebten Tortendiagrammen in der »Süddeutschen Zeitung«.
Nur Afghan*innen, die »selber schuld« waren, abzuschieben, hatte man sich nach dem Kabuler Anschlag vom Mai 2017 mit mehr als 150 Toten vorgenommen. Ereignisse wie dieses, von dem auch die deutsche Botschaft betroffen war, führten dazu, dass Auswärtigen das Land zu unsicher war, um dort weiter tätig zu sein. Und obwohl jährlich über 10 000 Zivilist*innen durch Krieg getötet worden sind, hielt man an Deportationen fest.Wenn man also die Frage stellt, wie es sein konnte, dass wir die größte außenpolitische und militärische Niederlage in der Geschichte der BRD nicht kommen sahen, dann ist das ein Teil der Wahrheit: weil wir dorthin viel zu gerne ein paar Flüchtlinge abschieben wollten, als uns dem Offensichtlichen zu stellen.
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