• Sport
  • Der Bremer SV im DFB-Pokal

Träume in der »Straßenbahn-Liga«

115 Jahre Bremer SV: Das Pokalspiel gegen Bayern München ist der Höhepunkt der Vereinsgeschichte

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Selbstironie ist vielen Amateurvereinen in die Wiege gelegt. »Seit 1962 nicht in der Bundesliga« lautet der Slogan, mit dem sich der Bremer SV scherzhaft schmückt. Vor allem dann, wenn im DFB-Pokal mal wieder ein höherklassiger Gegner zugelost wird. Jetzt lautet das Motto ein bisschen anders: »Solang man Träume noch leben kann«. Dem Fünftligisten steht an diesem Mittwoch im Nachholspiel der ersten Runde des DFB-Pokals gegen den FC Bayern der Höhepunkt der 115-jährigen Vereinsgeschichte bevor.

Wegen zweier Coronafälle im Bremer Lager wurde das Spiel einst verschoben. Erst vor anderthalb Wochen endete die Quarantäne. Benjamin Eta, Trainer des Bremer SV, will sich die Vorfreude aber nicht nehmen lassen, obwohl »durch die Verlegung natürlich alles etwas durcheinander gegangen ist«. Eine Überraschung wäre es schon für ihn, »wenn es lange spannend bleibt«. Denn die Bremer sind wirklich lupenreine Amateure.

Für die Fußballer des BSV, inzwischen allesamt genesen und vollständig geimpft, wird bereits das Einlaufen unter Flutlicht im Weserstadion zum Gänsehautmoment. Ihr eigenes Stadion am Panzenberg hätte auch gegen jeden anderen Gegner nicht die technischen Anforderungen erfüllt. Dabei hat die traditionsreiche Spielstätte an der Landwehrstraße durchaus Charme: Der Bremer SV bewegte sich in den 50er Jahren fast auf Augenhöhe mit dem SV Werder, hatte zu Oberligazeiten in den 80ern noch vierstellige Zuschauerzahlen – und Anfang der 90er Jahre arbeitete sogar Erwin Kostedde als Trainer der Blau-Weißen, die es dennoch nie schafften, wirklich zu einer zweiten Kraft in der Hansestadt – wie St. Pauli in Hamburg oder 1860 in München – aufzusteigen. Dafür fehlte im Bremer Stadtteil Walle die Power.

Eine überdachte Stehplatztribüne hat als Relikt aus besseren Zeiten überlebt. Anders als auf anderen Plätzen der höchsten Bremer Spielklasse – wegen der kurzen Entfernungen der Stadtteilvereine als »Straßenbahn-Liga« verspottet – kamen hier nicht überwiegend nur Freunde und Familienangehörige, sondern eine treue Stammkundschaft inklusive eines kleinen Fanclubs mit Fanfare und Trommel. Mitunter wurden die Akteure nach dem Duschen sogar um Autogramme gebeten. Dabei ist der Verein vom großen Fußball seit Jahrzehnten weit entfernt. Meister der Bremen-Liga wurde der BSV seit 2014 zwar noch fünfmal, scheiterte dann in der Aufstiegsrunde zur Regionalliga Nord aber ebenso oft. Für die höchste Spielklasse in Bremen mitunter zu gut, für die vierte Liga im Norden zu schwach: Damit hat sich eigentlich auch fast die Frage erübrigt, auf wie viel Widerstand der deutsche Rekordmeister an diesem Mittwoch treffen wird. Die Sensation liegt nicht in der Luft – und Wunder von der Weser produziert ja selbst der SV Werder nicht mehr.

Dass Bremen von der Bundesliga-Landkarte verschwunden ist, wirkt sich indirekt auch auf das jetzige Pokalspiel aus. Die ganz große Begeisterung will nämlich nicht aufkommen. Die Ticketnachfrage verlief eher schleppend, mit rund 10 000 Zuschauern wird jetzt gerechnet. »Die sollten es schon werden. So oft bekommt man die Bayern hier ja nicht mehr zu sehen«, sagt Ralf Voigt, der Sportliche Leiter des Bremer SV.

Der langjährige Zweitligaprofi, der für den VfL Osnabrück, Fortuna Düsseldorf und Arminia Bielefeld spielte, spricht von einem »Jahrhundertspiel«, ohne es mit sportlichen Erwartungen zu überfrachten. »Das Ergebnis ist zweitrangig. Wichtig ist, wie wir auftreten. Wir wollen uns nicht verarschen lassen.« Vorstand Alfons van Werde sagt: »Für den BSV bedeutet so ein Spiel die Welt. Solch ein Event wird es hier die nächsten 20, 30 Jahre nicht geben.« Entsprechend emsig arbeiten viele ehrenamtliche Helfer seit Wochen an den vielen organisatorischen Herausforderungen.

Zum elften Mal spielt der Bremer SV im DFB-Pokal, erreichte aber nur einmal – 1986 im Elfmeterschießen des Wiederholungsspiels bei Hessen Kassel – die nächste Runde. Der bislang letzte Bundesligist, der sich mit dem Bremer Pokalsieger duellierte, war Eintracht Frankfurt. Am 8. August 2015 verabschiedete sich der Außenseiter damals noch im Ausweichstadion in Oberneuland nach einem 0:3 recht achtbar aus dem Wettbewerb. Frankfurts Coach Armin Veh lobte später auf der Pressekonferenz in einem Zeltprovisorium den tapferen Widerstand des Außenseiters.

Wenn der Münchner Trainer Julian Nagelsmann am späten Mittwochabend im Ostkurvensaal des Weserstadions zu einem ähnlichen Fazit ansetzen würde, hätte der Bremer SV viel gewonnen. Mehr geht nicht für den ewigen Nicht-Bundesligisten.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.