Wahlkampfopfer Verkehrswende

Mobilitätsgesetz bleibt nach anhaltendem SPD-Widerstand ein Torso

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach fast einem Dutzend Verhandlungsrunden sind die rot-rot-grünen Koalitionsgespräche über die fehlenden beiden Kapitel des Berliner Mobilitätsgesetzes am späten Dienstagabend endgültig gescheitert.

»Wie wir hören, störte sich die SPD vor allem am Ziel, den Autoverkehr in Berlin deutlich zu reduzieren«, erklärt Denis Petri von dem aus dem Radentscheid hervorgegangenen Verein Changing Cities. Sie widerspreche damit nicht nur dem eigenen Wahlprogramm, sondern auch allen wissenschaftlichen Erkenntnissen für die Verbesserung der Mobilität in Städten. »Damit haben in der SPD endgültig die Autosozen wieder das Ruder übernommen, die aus ideologischen Gründen für Stillstand in Berlin sorgen wollen«, so Petri weiter.

»Wir haben in den letzten Tagen mehrere Runden dazu gehabt, erst am Dienstag bis 23 Uhr«, sagt Harald Moritz, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. »Wenn wir Lösungen für ein Problem gefunden hatten, wurde von der SPD das nächste Problem hochgezogen«, schildert der Politiker den Verlauf der Verhandlungen.

Linke-Verkehrsexperte Kristian Ronneburg berichtet Vergleichbares aus den Gesprächen. Gemeinsam mit der SPD kämpfte seine Fraktion gegen einen wie auch immer gearteten Verweis auf die mögliche Einführung einer Citymaut in Berlin. Nach Angaben seines Grünen-Amtskollegen Harald Moritz habe seine Fraktion eine große Kompromissbereitschaft gezeigt. Man wäre bereit gewesen, diesen Paragrafen zu ändern, wie auch das zwischenzeitlich formulierte Ziel einer Stellplatzreduktion um 50 Prozent bis 2030 zu streichen und durch weniger konkrete Formulierungen zu ersetzen.

»Ich hatte die Gespräche schon als konstruktiv angesehen«, sagt SPD-Verkehrspolitiker Tino Schopf zu »nd«. Eine mögliche Citymaut sei jedoch eine »rote Linie« gewesen. »Wir werden keine Bezahlschranken einführen«, bekräftigt er. In der Parkplatzfrage sei man durchaus beweglich gewesen, berichtet er. Zum Beispiel müsse man über Wegfall von Stellplätzen, die die Sicht an Kreuzungen behindern und so eine Gefährdung der Verkehrsteilnehmer darstellen, überhaupt nicht diskutieren. »Aber wenn ich eine Busspur einrichte und deswegen Parkplätze in Größenordnungen wegfallen, brauche ich eine Kompensation für den Kiez«, so Schopf. Das könnte die Einführung der Parkraumbewirtschaftung oder auch der Bau einer Quartiersgarage sein.

»Ich finde es sehr bedauerlich, dass das Kapitel Wirtschaftsverkehr daran gekoppelt ist und deswegen nicht verabschiedet wird«, sagt SPD-Politiker Schopf. »Das müssen die Grünen der Berliner Wirtschaft und den Gewerbetreibenden erklären, die auf Ladezonen warten, damit sie nicht mehr in der zweiten Reihe parken müssen.«
»Wir als Linke haben bis zuletzt dafür gestritten, dass es eine Einigung gibt, auch wenn die mit einigen schmerzlichen Kompromissen verbunden wäre. Wir laden beide Koalitionspartner ein, den Wirtschaftsteil zu beschließen«, sagt Kristian Ronneburg von der Linken zu »nd«. Die Grünen hätten mit der »ärgerlichen Verkoppelung« der beiden Kapitel bewiesen, dass ihnen parteipolitischer Streit wichtiger sei als die »Priorisierung und stadtverträgliche Abwickelung des Wirtschaftsverkehrs«.

Das will Grünen-Mann Harald Moritz so nicht stehen lassen. Die beiden Teile Neue Mobilität und Wirtschaft seien immer gemeinsam diskutiert und erarbeitet worden. »Es ist richtig und organisch, dass beide Kapitel eine Einheit sind«, so Moritz. Von daher sei die Verabschiedung nur des Wirtschaftsteils nicht sinnvoll.

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