- Berlin
- Klinikstreik in Berlin
Gegen die Wand fahren lassen
Beschäftigte der Charité werfen Klinikleitungen vor, den Streik erheblich erschwert zu haben
«Wir wussten nicht, ob wir lachen oder weinen sollen», erinnert sich Clemens Riedemann an den Montagnachmittag. Riedemann heißt eigentlich anders, der 25-Jährige ist Krankenpfleger auf der Onkologie-Station im Charité-Klinikum in Mitte. «Wir wollten richtig loslegen und dann hat uns die Klinikleitung krachend gegen die Wand fahren lassen», sagt der Charité-Mitarbeiter am Mittwochmorgen zu «nd».
Es sollte der erste kraftvolle Streiktag werden, nachdem sich die Betreiber und Leitungen der landeseigenen Krankenhäuser nicht annähernd auf die Forderung von Beschäftigten und Gewerkschaft nach einer Aufnahme von Tarifverhandlungen eingelassen hatten. Das 100-Tage-Ultimatum der Berliner Krankenhausbewegung war am vergangenen Freitag abgelaufen, ohne dass aus Perspektive der Mitarbeiter*innen notwendige Schritte eingeleitet wurden: die Arbeitgeber sehen keine Notwendigkeit eines Tarifvertrags Entlastung für die Angestellten der landeseigenen Vivantes und Charité sowie eines Tarifvertrags Öffentlicher Dienst (TVÖD) für die Beschäftigten in den Tochterunternehmen der Vivantes.
Stattdessen war man dazu übergegangen, über Notdienstvereinbarungen zu verhandeln, um die Patientensicherheit zu gewährleisten. Tagelang dauerten diese an - auch, so hatte es Verdi-Verhandlungsführer Tim Graumann geschildert, weil die Arbeitgeber nicht mehr bereit gewesen seien, die an der Charité in früheren Jahren bis 2017 angewandte Notdienstvereinbarung auch für den aktuellen Streik abzuschließen. «Diese seinerzeit vom Ärztlichen Direktor der Charité selbst vorgeschlagene Vereinbarung hat in allen Arbeitskämpfen gut funktioniert», erläutert Graumann. Im aktuellen Arbeitskampf hatten die Arbeitgeber aber nur darauf beharrt, dass die Beschäftigten noch flexibler einzusetzen sein müssten, anstatt sich mit deren Wünschen nach Entlastung auch nur ansatzweise zu beschäftigen.
Er erlebe das als «Blockadehaltung», mit der versucht werde, «die Beschäftigten vom Streik abzuhalten und somit die Durchsetzung unserer Tarifforderungen zu verhindern», hatte der Gewerkschafter gesagt.
Charité-Mitarbeiter Riedemann und seine Kolleg*innen mussten laut der Schilderungen des Krankenpflegers am Montag genau das erfahren: «Die Klinikleitung hat versucht, uns ein Streikverbot durch die Hintertür zu erteilen», sagt Riedemann. Es sei den Streikwilligen immer darum gegangen, die Patientensicherheit zu gewährleisten, erklärt der Pfleger, der auf der Krebsstation selbst in einem sensiblen Arbeitsbereich tätig ist. Man sei trotz fehlender zu Ende verhandelter Notdienstvereinbarung in den lange angekündigten Streik gegangen und habe sich darauf verlassen, dass Betten gesperrt sein würden, berichtet er. Das sei das Mindeste, damit die Notdienst-Mitarbeiter*innen den Betrieb aufrecht halten können. Aber die Klinikleitung seines Hauses habe entschieden, mit voller Bettenbelegung in die Woche zu starten. «Nach vier Stunden mussten wir hinwerfen und den Streik abbrechen», berichtet Riedemann.
Man habe die Gewerkschaft kontaktiert und bei der Sitzung mit der Zentrumsleitung eine neue Notbesetzung vereinbart. «Aber was uns da als Notdienstbesetzung präsentiert wurde, entspricht unserer Normalbesetzung», sagt der junge Mitarbeiter fassungslos. Für ihn sei damit der «absolute Tiefpunkt» erreicht gewesen. «Heute heißt es Notbesetzung und ab Donnerstag wieder Normalbesetzung.» Dies sei andererseits ein Eingeständnis, wie es um die Personallage tatsächlich bestellt sei. «Wir erleben, wie es seit Jahren abwärts und bei Arbeitskämpfen schon lange nicht mehr um Geld, sondern nur noch um Personal geht», beschreibt der junge Krankenpfleger, der nebenbei zusätzlich Medizin studiert. Immer öfter sei von Beschäftigten zu hören: «Ich möchte selber nicht in meiner Klinik liegen». Riedemann spricht von «Kündigungswellen», mit denen die Mitarbeiter*innen auf den Umstand reagierten, sich den Patient*innen nicht mehr in angemessenem Maß zuwenden zu können.
Demgegenüber vertrete die Charité die Haltung, es sei juristisch nicht möglich, einem Tarifvertrag zuzustimmen, der es erlaubt, bei hoher Belastung einen Ausgleich in Anspruch zu nehmen. «Das kann nicht stimmen», sagt Riedemann. Es gebe solche Vereinbarungen in anderen Kliniken, zum Beispiel an der Mainzer Universitätsklinik. «Wir wissen, dass wir im Recht sind, wenn uns aus Mainz Beschäftigte die Botschaft zukommen lassen: »Bleibt tapfer, das was ihr wollt, ist bei uns bereits umgesetzt.«
Markus Heggen, Sprecher der Charité, widerspricht auf nd-Nachfrage den Vorwürfen der Beschäftigten. Man respektiere seitens des Unternehmens »das grundgesetzlich verankerte Streikrecht und hat es den Beschäftigten, die sich an den Warnstreikmaßnahmen beteiligen wollten, ermöglicht«, so Heggen. Man habe im Vorfeld des Warnstreiks sehr viele nicht dringliche Behandlungen abgesagt. »Daher waren Betten nicht belegt und daraus resultierte ein erheblicher Leerstand, der vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Wahrnehmung des Streikrechts ermöglichte«. Die Versorgung bereits aufgenommener Patient*innen sei aber erforderlich, ebenso die Behandlung von Notfällen. »Insgesamt war es zwar umsetzbar, die Belegung vieler Stationen stark zu reduzieren, aber es war nicht möglich, ganze Stationen zu schließen, insbesondere keine Intensivstationen, um eine Patientengefährdung zu verhindern«, stellt der Sprecher die Perspektive der Charité auf die Ereignisse zu Beginn dieser Woche dar.
Für die Charité-Beschäftigten geht es darüber hinaus um ihre Zukunft: »Wir haben keine Lobby«, sagt Krankenpfleger Riedemann. »Wir brauchen einfach mehr Leute auf der Straße«, erhofft er sich Unterstützung für sich und seine erschöpften Kolleg*innen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.