- Politik
- Gefangenen-Zeitschrift
»Der Vollzug gehört zur Gesellschaft dazu«
Andreas Bach ist Redakteur der Gefangenen-Zeitschrift »Lichtblick«. Er will mit seiner Arbeit Inhaftierten helfen und der Gesellschaft das Leben im Knast näherbringen
Wir haben den Telefontermin per E-Mail vereinbart, wieso dürfen Sie E-Mails schreiben?
Das dürfen wir schon seit Jahren. Wir unterstehen hier vollkommen dem Presserecht, alle Redakteure sind Mitglied im Deutschen Presseverband. Die E-Mails werden auch nicht überwacht. Und die Redaktionsräume betreten dürfen die Redakteure und ansonsten nur, wer einen Durchsuchungsbeschluss der Staatsanwaltschaft vorlegen kann - oder in dringenden Fällen, wenn die Ordnung und die Sicherheit der Anstalt gefährdet ist.
Andreas Bach ist einer von zwei Redakteuren der Gefangenenzeitung »Lichtblick« in der JVA Tegel in Berlin. Der »Lichtblick« ist die auflagenstärkste und am längsten durchgängig existierende Gefangenenzeitung Deutschlands. 1968 erschien er zum ersten Mal.
Die Besonderheit: Eine Zensur findet nicht statt. Auch die Leitung der JVA bekommt den »Lichtblick« erst nach dem Druck zu Gesicht. Die Zeitschrift wird in ganz Deutschland gelesen. Der Bezug ist kostenlos.
Es gibt auch eine Kampagne bei Betterplace, mit der Sie Spenden für neue Technik für den »Lichtblick« sammeln, die haben Sie selbst angelegt?
Ja, die Seite haben wir selbst angelegt. Wir haben jetzt seit fast zwei Monaten einen Internetanschluss und sind sehr stolz darauf, dass wir so viele Freiheiten haben. Wir haben natürlich einen getunnelten Internetanschluss, das heißt, wir können nicht alle Seiten aufrufen, aber alles, was für uns wichtig ist, für unsere Recherchen, für unser Rechtswissen, Bilder - da kommen wir dann überall drauf.
Bald soll es ja Internet für alle Häftlinge in Tegel geben, richtig?
Ja, so ab Mitte nächsten Jahres. Voraussichtlich sollen erst die Sicherungsverwahrten angeschlossen werden, danach die Bereiche, die mit der Schule was zu tun haben, und ganz zum Schluss kommen dann die übrigen Inhaftierten dran.
Finden Sie das gut?
Ja, ich finde Internetanschluss sehr gut für die Inhaftierten. Das dient natürlich auch der Resozialisierung, weil die Inhaftierten dann praktische Hilfe zur Selbsthilfe leisten können. Also sprich, sie können sich dann selbst kundig machen im Internet, Behörden anklicken, wichtige Maßnahmen ergreifen, die für ihre Entlassung wichtig sind.
Das Internet ist der große Feind der Printmedien, haben Sie nicht Angst, dass Ihre Auflage sinkt, wenn das Internet für alle zugänglich ist?
Nein. Wir werden ja deutschlandweit gelesen und bis auf ein Pilotprojekt wäre die Justizvollzugsanstalt hier in Tegel die erste, die Internet einführt. Wir wollen im Gegenteil immer noch mehr drucken, weil die Nachfrage so hoch ist, aber das würde unsere Kapazitäten sprengen.
Bei Wikipedia hatte ich gelesen, dass der »Lichtblick« 2014 noch eine Auflage von 8500 hatte, bei Betterplace hatten Sie von 7500 geschrieben, deswegen war ich davon ausgegangen, dass die Auflage sowieso schon gesunken ist.
Nein. Allerdings bekommen viele keine Printzeitung mehr, sondern einfach das pdf per E-Mail. Wir haben circa 12 000 Mail-Abos, die an Rechtsanwälte, Vereine, andere Zeitungen etc. gehen und drucken noch etwa 7500 Zeitungen auf Papier.
Die Spenden, die Sie sammeln, sind die nur für Technik oder auch für die Bezahlung der Redakteure?
Die Redakteure werden von der Justizvollzugsanstalt bezahlt, weil das hier ein ganz normaler Arbeitsplatz ist, für Inhaftierte. Die Spendengelder sind für neue Rechner und Software wie Indesign.
Sie selbst sind ja noch nicht lange Redakteur beim »Lichtblick«, welche Voraussetzung braucht man denn, um da Redakteur zu werden?
Ich bin Redakteur seit Oktober letzten Jahres, ich wurde von der Justizvollzugsanstalt Bützow hierher verfrachtet, damit ich den Job hier antreten konnte.
Damit Sie den Job antreten konnten?
Ja, so kann man das ausdrücken. Ich bin hierhergekommen und war dann einen Tag später schon in der Redaktion.
Weil Sie sich von Bützow auf die Stelle beworben hatten? War die ausgeschrieben? Oder wie funktioniert das?
Nein, die Stellen werden nicht ausgeschrieben. Man bewirbt sich ganz normal, schreibt einen eigenen Artikel, das Thema kann man selbst wählen. Wir prüfen das dann auf Inhalt und Ausdrucksweise und so weiter, unterhalten uns mit dem Bewerber. Redakteur sollte jemand mit guten Deutschkenntnissen sein, der sich auch am Telefon ein bisschen gewählt ausdrücken kann, der nicht aggressiv ist und kein Drogenproblem hat. Die Justizvollzugsanstalt prüft ihn dann intern im Rahmen der Sicherheit und der Ordnung der Anstalt.
Und dafür muss man nicht in der JVA-Tegel einsitzen?
Doch, das sollte man. Man muss hier inhaftiert sein.
Aber bei Ihnen war es anders.
Ja. Ich kann mich eben ausdrücken und kann auch ein bisschen was schreiben. Das fanden die Redakteure sehr gut und haben mich gefragt, ob ich hier nicht gerne anfangen will als Redakteur. Da brauchte ich nicht lange zu überlegen und habe sofort ja gesagt. Ich wollte auch sowieso nach Berlin, weil meine Kinder hier in der Nähe wohnen und meine ganze Familie sich hier befindet. Im August 2020 habe ich also meine Bewerbung eingereicht, und dann ging das sehr schnell und ich wurde am 6. Oktober hierher verlegt.
Also Sie wurden sozusagen angeworben?
So kann man das auch sagen, ja.
Woher wusste der »Lichtblick«, dass Sie schreiben können?
Auf der Seite der Gefangenengewerkschaft GG/BO und bei Criminals for Freedom kann man eine ganze Menge über die JVA Bützow lesen, und alles was da drin steht, stammt eigentlich von mir.
Da haben Sie sich über die Zustände vor Ort beschwert?
Genau. In Bützow habe ich zum Beispiel den Personalmangel und die fehlende Resozialisierung kritisiert und rechtsgerichtete Übergriffe. Und das Abfangen von Briefen. Ein Brief von mir an den »Lichtblick« und ein Brief vom »Lichtblick« an mich wurden abgefangen, weil sie als gefährlich eingestuft wurden.
Sie denken, die wollten unterbinden, dass Sie Ihre Kritik an den Zuständigen in der JVA auch im »Lichtblick« veröffentlichen?
Genau. Ich habe mich - ich sag mal, ein bisschen zu sehr öffentlich bemüht.
Bei Ihrer Kritik ging es also um Sachen, die Sie selbst betrafen, aber Sie haben sich auch um die Anliegen anderer bemüht.
Ja. Um die Justizverwaltung allgemein. Wegen dem hohen Personalmangel hatten die Inhaftierten zum Beispiel immer sehr viel Einschluss.
Das heißt, die Gefangenen durften nicht so oft aus ihren Zellen raus. Und was war das Problem mit der Resozialisierung?
Wir bekommen mit, dass viele Inhaftierte überall in Deutschland mit einem blauen Müllsack vor die Tür gestellt werden, so nach dem Motto, du hast jetzt deine Strafe abgesessen, wir wünschen dir noch einen schönen Tag. Erstens fehlt die Kapazität und zweitens das Personal in den Vollzugsanstalten. So gibt es kaum Unterstützung beim Kümmern um Wohnungen und Bewerbungen vor der Entlassung. Oder bei wichtigen Anträgen, wie beim Jobcenter usw. Man bekommt keine Ausgänge genehmigt, um sich bei Vermietern vorzustellen. Die Leute werden entlassen, ohne eine Wohnung zu haben oder auch nur einen festen Bezugspunkt. Da gibt’s dann den Inhaftierten, der hier rauskommt und den nächsten Supermarkt überfallen muss, damit er an Geld kommt, weil die Anträge beim Arbeitsamt drei Monate brauchen. Das ist traurig.
Sie selbst sitzen seit 2016 im Gefängnis, unter anderem wegen Betrugs. Ich habe mich gefragt, ob Missstände im Knast vielleicht hauptsächlich Leute interessieren, die auch länger einsitzen?
Wir haben festgestellt, dass Inhaftierte, die längere Haftstrafen haben, sich auf diese Missstände einstellen können. Da entsteht dann eine gewisse Selbstständigkeit. Bei einem Inhaftierten, der nur eine kurze Freiheitsstrafe hat, ist das völlig anders, der weiß nicht ein und aus. Da entwickelt sich oft ein sogenannter Drehtüreffekt, das heißt, die kommen dann immer wieder und die Haftstrafe wird von Mal zu Mal länger. Da läuft von Anfang an was schief. Das Verschulden liegt oft nicht bei dem Inhaftierten selbst, sondern bei der Justiz, weil es an der Unterstützung zur Resozialisierung fehlt. Wir bekommen sowas oft mit. Wir sind nicht nur Redaktion, sondern eine kleine Sozialstation. Alles unter einen Hut zu bringen, ist schwer. Wir versuchen aber unser Bestes, und das hat bisher eigentlich immer sehr gut geklappt.
Denken Sie, dass sich die Gesellschaft an sich, also außerhalb der Gefängnismauern, zu wenig interessiert für Gefangene?
Die Gesellschaft ist immer noch auf Distanz zum Vollzug. Obwohl der Vollzug zur Gesellschaft dazugehört. Man sollte die sogenannte Knastlandschaft schon irgendwann mal akzeptieren und sagen, okay, das sind Menschen, die haben ein paar Fehltritte gemacht. Die wenigsten im Knast sind ja Mörder oder Sexualverbrecher.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.