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Schweigen ist Gold
Die Paralympics inszenieren sich wie die große Schwester Olympia. Kontroversen werden abgeblockt
»Wie Sie sich vorstellen können, war das Zusammentreffen extrem emotional. Es flossen viele Tränen, von jedem im Raum«, sagt Craig Spence und beginnt selbst zu schluchzen. »Es war wirklich ein bemerkenswertes Treffen. Wenn man Bilder gesehen hat, wie die Athleten am Flughafen evakuiert wurden, und sie dann persönlich trifft … Wenn sie dann ins Paralympische Dorf ziehen … das ist so groß. Das werde ich nie vergessen. Es unterstreicht die Fähigkeit des Sports, die Menschheit zusammenzubringen.«
Der Vortrag von Spence, Sprecher des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), war an Emotionalität kaum zu übertreffen. Samstagnacht war die zweiköpfige Delegation aus Afghanistan, die wegen der täglich weiter eskalierenden Konfliktsituation im eigenen Land eigentlich schon ihre Teilnahme abgesagt hatte, doch noch in Tokio eingetroffen. Zuvor waren die zwei Athleten über Kabul nach Paris evakuiert und von dort aus an den Austragungsort der Paralympics weitergeflogen worden.
Am Sonntag, wenige Stunden nach der Ankunft, berichtete Spence minuziös von diesen Details auf einer Pressekonferenz, behauptete dann aber: »Hier geht es nicht um Medienberichterstattung.« Die Taekwondo-Kämpfer Zakia Khudadi und Hossain Rasouli seien in Tokio, um ihren Traum von den Paralympics zu erfüllen. »Das IPC ist eine Organisation, die sich auf Athleten konzentriert«, sagte Spence und betonte dann gegenüber der Presse: »Wir werden uns nicht von Ihrem Durst nach Storys treiben lassen. Nach ihren Wettkämpfen werden die beiden Athleten auch keine Interviews geben.«
Dass Khudadi und Rasouli mit der Hilfe mehrerer Regierungen und Organisationen aus einem kollabierenden Staat in letzter Minute noch zu den Paralympischen Spielen geflogen worden sind, ist ein Coup, auf den die Paralympics-Organisatoren stolz sein können. Die Freude hierüber war am Sonntag kaum zu übersehen. Umso absurder wirkte die Behauptung des IPC-Sprechers auf einer selbst einberufenen Pressekonferenz, es gehe hier nicht um Medienberichterstattung.
Zumal das IPC nicht nur im Fall der zwei afghanischen Athleten deren persönliche Geschichten in den Mittelpunkt rückt. Einige Tage zuvor stellte Teddy Katz, Presseattaché des IPC-Flüchtlingsteams, bereits die sechs Athleten aus Burundi, Iran, Syrien und Afghanistan folgendermaßen vor: »Gewaltige Athleten, gewaltige Geschichten. Ein Team wie kein anderes.«
Auch bei anderen Teilnehmern bemüht das IPC gern Narrative, die mit großen Rückschlägen beginnen, aber wegen des starken Willens der Athleten in Unbesiegbarkeit münden - denn sie sind ja hier, bei den Paralympics. Das Motto der Tokioter Spiele lautet: »We Have Wings« - wir haben Flügel. Gern betont das IPC auch, man inspiriere mit diesen Geschichten die ganze Welt. Das mag zutreffen, zeigt aber zugleich, wie sehr die Organisatoren versuchen, den Sport mit packend erzählten Geschichten zu kuratieren - eine Inszenierung, die ohne Berichterstattung nicht funktioniert.
Das Konzept der Paralympics zeigt Erfolge. Bei den Spielen von London 2012 begann sich die größte Behindertensportveranstaltung der Welt unabhängig von den Olympischen Spielen zu vermarkten. Damals erarbeitete der britische TV-Kanal Channel 4 eine höchst populäre Kampagne mit dem Titel »Superhumans«. Seit damals sind die Paralympics deutlich gewachsen. Heute werden sie in etwa 150 Länder übertragen, in Japan strahlt der öffentliche Rundfunksender NHK mit 600 Stunden mehr aus als je ein Kanal im Gastgeberland zuvor. »Wir haben kaum einen Grund, nicht optimistisch zu sein«, sagte Craig Spence vor dem Start der Paralympics.
Dabei bleibt beim Versuch, ein besonders gelungenes Drehbuch zu schreiben, etwas auf der Strecke: die Stimmen der Athleten. Denn sobald es droht, kontrovers zu werden, drängelt sich das IPC schnell vor. Als vor einigen Tagen die Athleten des Flüchtlingsteams auf die notorisch flüchtlingsfeindliche Asylpolitik des Gastgeberlands Japan angesprochen wurden, blockte Katz eilig ab, ehe die Sportler etwas dazu sagen konnten.
Und die afghanischen Athleten, die allerhand Politisches zu erzählen haben dürften, sollen in Tokio keinen Satz mit Journalisten austauschen - im Widerspruch zur eigentlichen Pflicht, nach einem Wettkampf immer durch die Mixed Zone zu gehen, wo Journalisten Fragen stellen können. Offiziell gibt es diese Ausnahme auf Wunsch der Athleten selbst, wie Craig Spence am Sonntag erklärte. Er sagte aber auch: »Ich glaube nicht, dass Sport und Politik eine besonders gute Mischung ergeben. Wir sind eine Sportorganisation und wir versuchen, dass die Paralympics das Beste der Menschheit zeigen.«
Es sind Worte, die wenige Wochen zuvor genauso bei einer Pressekonferenz der Olympischen Spiele hätten fallen können. Das Internationale Olympische Komitee ist seit Jahrzehnten bekannt dafür, sich schwer zu tun mit Kritik an der Verletzung von Menschenrechten oder anderen weltweit geltenden Prinzipien. Man will es sich mit niemandem verscherzen. Von seiner größeren und beispiellos vermarkteten Schwesterorganisation hat das IPC einiges gelernt.
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