Ramstein: Schaltzentrale für ferngesteuertes Morden

Auf dem US-Stützpunkt Ramstein kommen nicht nur aus Afghanistan Evakuierte an. Auch die Kommunikation zu bewaffneten Drohnen wird von hier aus sichergestellt

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Dass sich harsche Kritik umgehend in heftigen Beifall wandelt, ist US-Präsident Joe Biden von den Demokraten so nicht gewöhnt. Schon gar nicht, wenn beides von republikanischer Seite kommt. Nachdem bei einem Selbstmordanschlag am Donnerstag nahe dem Kabuler Airport vermutlich bis zu 100 Menschen, darunter 13 US-Soldaten, gestorben waren, »gratulierte« der Kongressabgeordnete Adam Kinzinger dem Präsidenten: »Herzlichen Glückwunsch, der endlose Krieg ist gerade wieder angeheizt worden.« Kinzinger, ein ehemaliger Luftwaffenoffizier und treuer Gefolgsmann des einstigen Präsidenten Donald Trump, kritisierte heftig das Abzugs- und Evakuierungsmanagement der neuen US-Regierung. Sie bestimme »die Zukunft des Terrorismus nicht nur in der Region, sondern in der ganzen Welt«. Nur Tage später, nachdem der von Biden angeordnete Vergeltungsschlag ausgeführt worden war, twitterte Kinzinger: »Glückwunsch an unser Militär und gute Entscheidung von Präsident Biden. Nichts wird unseren Verlust an Männern wettmachen, aber er darf nicht unbeantwortet bleiben.«

Unmittelbar nach den ersten Bombenanschlägen am Kabuler Airport, die von den an der Evakuierung beteiligten Militärs seit Tagen erwartet worden waren, hatte der US-Präsident den mutmaßlichen Drahtziehern des Terrors gedroht: »Wir werden euch jagen und büßen lassen.« Unmittelbar darauf befahl er Drohnenangriffe. Erstes Ergebnis: In der afghanischen Provinz Nangahar wurden ein Kommandeur des afghanischen IS-Ablegers sowie ein Begleiter getötet. Für den Abgeordneten Kinzinger – und laut Umfragen für die Mehrheit der US-Bürger – war der Angriff auf die IS-Leute »der Beginn der Rache« und selbstverständlich angemessen. Dabei ist nicht belegt, dass die beiden Getöteten etwas mit dem Massenmord in Kabul zu tun hatten. Und dass, wie Captain Bill Urban, Sprecher des US-Zentralkommandos, betonte, man wisse von »keinen zivilen Opfern«, bedeutet nicht, dass es sie nicht gab. Beim zweiten Drohnenschlag am Wochenende in Kabul starben mit Sicherheit auch Unschuldige.

Die US-Streitkräfte erklärten, es habe sich bei den Angriffen um Operationen »hinter dem Horizont« gehandelt. Die »Reaper«-Drohnen starteten von einem Stützpunkt im Nahen Osten. Das bedeutet, die Piloten brauchten eine Relaisstation, um die Attacken fliegen zu können. Dazu dient die Air Force Base Ramstein in Rheinland-Pfalz. Die Piloten sitzen in den USA und nutzen ein Glasfaserkabel zu diesem Stützpunkt. Von dort übernimmt ein Satellit die Verbindung in das jeweilige Einsatzgebiet der unbemannten Waffensysteme. Nur mit der in Ramstein stationierten Relaishilfe werden die für gezielte Tötungen notwendigen Reaktionsgeschwindigkeiten erreicht.

Ramstein ist zudem ein global wichtiger Umschlagplatz für die US-Truppen. In den vergangenen Tagen war oft die Rede davon, dass viele von den US-Streitkräften aus Kabul ausgeflogene Menschen hier gelandet sind, um nach einem Gesundheits- und Sicherheitscheck irgendwann irgendwohin gebracht zu werden. Zurecht wurde immer wieder der humanitäre Charakter der Operation hervorgehoben. Dabei wird aber zumeist vergessen, dass der zwei Jahrzehnte dauernde blutige Krieg in Afghanistan nur geführt werden konnte, weil die US-Truppen Nachschub via Ramstein bekamen. Der wird nun nicht mehr gebraucht. Dafür nimmt die Intensität von US-Drohnenangriffen zu, die unsichtbar über Ramstein gelenkt werden.

Lange stellte sich die Bundesregierung trotz vielfacher Nachfragen, Belege und Zeugenaussagen unkundig, wenn es um das Wie der extralegalen Tötungseinsätze ging. Anfang 2020 musste sie zugeben, dass sich in Ramstein »eine von mehreren Relaisstationen« befindet, über die »Kommunikationen mit unbemannten Luftfahrzeugen laufen«.

Das Völkerrecht räumt niemandem eine Lizenz zum Töten ein. Laut deutschem Grundgesetz sind die allgemeinen Regeln des globalen Völkerrechtes auch Bestandteil des deutschen Rechts. Was folgt daraus? Die Bundesregierung müsste die Nutzung der Air Base für US-Killerdrohnen untersagen. Doch das geschieht nicht. Man sei aber, betonte Verteidigungsstaatssekretär Thomas Silberhorn (CSU) jüngst, mit den US-Partnern »in einem vertrauensvollen Dialog, auch zu völkerrechtlichen Fragen«. Dabei bestätige »die US-Seite regelmäßig, dass die US-Streitkräfte in Deutschland gemäß ihren Verpflichtungen aus dem NATO-Truppenstatut in Deutschland geltendes Recht, einschließlich des Völkerrechts, achten«.

Deutschland hat die rechtliche Hoheit über die US-Basen auf seinem Territorium. Die Bundesregierung tut aber oft so, als habe sie keinen Einfluss auf das Handeln des Nato-Partners auf seinen Stützpunkten in Deutschland. Andererseits haben die USA mit Deutschland ein Abkommen für die Evakuierungsflüge über Ramstein geschlossen. Dies bestätigte Außenminister Heiko Maas (SPD) beim Anlaufen der militärischen Luftbrücke aus Kabul. Er erklärte, man habe sich mit den USA geeinigt, dass »insbesondere die Ramstein Air Base temporär für den Transit von schutzsuchenden Personen aus Afghanistan in die USA genutzt werden kann«. Und US-Generalmajor William Taylor, Vizechef für regionale Operationen im Stab der US-Streitkräfte, erklärte, man sei den Verbündeten, »einschließlich Deutschland«, dankbar dafür, »dass sie mit uns bei diesen weltweiten Bemühungen zusammenarbeiten«.

Tatsächlich ist die Air Base Ramstein, auch wenn man sie wegen ihrer Größe oft »Klein Amerika« nennt, kein US-Territorium. Wie alle Einrichtungen ausländischer Streitkräfte auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik ist sie eine Bundesliegenschaft, die von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verwaltet wird. Artikel 26 des Grundgesetzes bestimmt, dass »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten«, verfassungswidrig sind. Nun wird die Bundesregierung auch künftig bestreiten, dass die weltweiten Attacken der USA Angriffskriege sind. Einerlei. Deutschland hat mit seiner Gebietshoheit über Ramstein die Pflicht, etwaige völkerrechtswidrige Einsätze ausländischer Truppen – also auch den Einsatz von Killerdrohnen – zu unterbinden.

Wie das geht? Theoretisch simpel, wie ein Blick in den mit Washington geschlossenen Aufenthaltsvertrag zeigt. Ursprünglich war die Stationierung der US-Truppen in Deutschland unbegrenzt möglich. Doch seit der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages im Jahr 1990 kann die Vereinbarung von beiden Seiten mit einer Zweijahresfrist gekündigt werden. So steht es auf einer Internetseite des Auswärtigen Amtes. Nachdem, wie dessen Chef Maas betonte, »unser ganzer Fokus« darauf lag, auch mit Hilfe des Luftdrehkreuzes Ramstein »so viele Menschen wie möglich aus Kabul zu evakuieren«, könnte die deutsche Regierung nun ihre ganze Autorität aufbieten, um zu verhindern, dass Menschen ohne ordentliches Gerichtsurteil weiter via Ramstein umgebracht werden. Doch in Deutschland gibt es außer der Linken nach wie vor keine Kraft im Bundestag, die konsequent gegen das Morden in Afghanistan – und gegen Waffenexporte – aufgestanden ist.

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