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Ein Wikinger sieht rot
Der Norweger Odd Christian Eiking führt seit Tagen überraschend die Vuelta an
Menschen wachsen an ihren Aufgaben. Das zeigt derzeit Odd Christian Eiking eindrucksvoll. Sechs Jahre lang ist der Norweger schon Radprofi. Aufgefallen ist er dabei bisher aber kaum. Seine größte Trophäe war bislang ein riesengroßer Plastiklachs, den er bei seinem Heimatrennen, dem Arctic Race of Norway, überreicht bekam. Ein gewöhnungsbedürftiges Sponsorenpräsent für den Sieg in der Bergwertung 2019. Ein Etappensieg war Eiking damals auch noch gelungen. Er wurde Zweiter der Gesamtwertung - gegen überschaubare Konkurrenz. Ansonsten war der Norweger stets ein unscheinbarer Helfer, erst für Thibaut Pinot beim französischen Team FDJ, die vergangenen vier Jahre dann beim belgischen Zweitligateam Intermarché-Wanty-Gobert.
In der aktuellen Spanien-Rundfahrt dreht Eiking jedoch mächtig auf. Sechs Tage steckt er bereits im roten Führungsleibchen der Vuelta a España. Das ist länger als erwartet. »Ich wusste selbst nicht, ob ich in der Lage dazu bin. Ich musste wirklich tief in den roten Bereich gehen, um in der Favoritengruppe zu bleiben. Es ist mir aber gelungen«, sagte er, nachdem er auch am Sonntag in El Barraco nicht aus dem Trikot zu fahren war. Er hing, wenn es steil wurde, zwar oft am Ende der Führungsgruppe. Abschütteln ließ er sich aber nicht. Zudem wird er über weite Strecken der Etappen gut geschützt von seinen Teamkollegen. »Die machen das richtig gut. Ich weiß, dass sie stark sind. Wir mussten das bisher noch nie machen, ein Führungstrikot bei einer Grand Tour verteidigen. Aber wir zeigen jetzt, dass wir das können«, so Eiking.
In der ersten Vuelta-Woche konnte die belgische Equipe schon einmal üben. Eikings Teamkollege Rein Taramäe hatte sich zwei Tage lang in Rot gekleidet. Der Este verlor die Führung erst bei einem Massensturz. Eiking ist von solchem Pech bisher zum Glück verschont geblieben.
Gänzlich unbekannt ist der Norweger nicht, besonders nicht in Deutschland. Als Junior holte er einst Top-10-Platzierungen bei der Friedensfahrt und der Tour of Berlin. Er wurde zudem U23-Meister seines Landes und bekam einen Vertrag bei Norwegens Eliteausbildungsteam Joker. Schon in seinem allerersten Profijahr bei FDJ wurde er für die Vuelta nominiert. Danach verschwand er aber etwas vom Radar, war Helfer, bekam lediglich bei seltenen Rennen in der Heimat den Freibrief, mal selbst Siegen nachzujagen. In diesem Jahr deutete er mit Platz sieben beim schweren Klassikerrennen in San Sebastian aber eine gewachsene Stärke und auch das Hineinwachsen in eine neue Führungsrolle an. Das Rote Trikot bei der Vuelta holte er sich dann als Teil einer Massenflucht auf der 10. Etappe. Der damalige Gesamtführende Primož Roglič ließ die Gruppe ausreißen. Dem Titelverteidiger kommt es entgegen, dass nun nicht mehr seine Mannschaft jeden Tag Führungsarbeit leisten muss und er seine Mannen schonen kann.
An diesem Dienstag geht die Rundfahrt nun in ihre entscheidende Woche, spätestens am Mittwoch bei der Bergetappe zu den Lagos de Covadonga, will der Slowene Roglič dann die alte Ordnung wieder herstellen. Und Eiking schätzt realistisch ein, dass dem Favoriten das auch gelingen wird. »Ich bin jetzt schon einige Tage in Rot. Ich nehme die Aufgabe auch sehr ernst und würde gern noch weitere Tage in dem Trikot verbringen. Aber gegen Leute wie Roglič, Enric Mas oder Egan Bernal, die alle schon auf dem Podium bei großen Rundfahrten gestanden haben, komme ich auf Dauer nicht an«, schätzte er ein - um dann doch wieder schelmisch zu fragen: »Aber, wer weiß?«
In der Tat: Wer weiß schon genau, was noch kommen wird? Eiking hat sich seine jetzige Situation ja nicht mal im Traum vorstellen können, und doch ist sie nun Realität. Er war Fußballer, lief auch Ski. Erst mit 14 Jahren konzentrierte er sich aufs Rad und fügt der Sportart nun ein neues Kapitel hinzu. Nach Sprintern und Klassikerfahrern wie Thor Hushovd, Alexander Kristoff und Edvald Boasson Hagen produziert die Nation im Hohen Norden nun auch Klettertalente. Vor Eiking sprach man jedoch eher über die Talente Carl Hagen, Tobias Johannessen oder Tobias Foss, der in diesem Jahr Neunter beim Giro d’Italia wurde. So oder so, es wächst etwas heran am Polarkreis.
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