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Initiative für die 99 Prozent
Die Jusos kämpfen für höhere Steuern auf Kapitaleinkommen im Alpenstaat
Mangelnden Sinn für Dramatik kann man der Jugendorganisation der Schweizerischen Volkspartei (JSVP) nicht vorwerfen. Das neueste Machwerk der konservativen Jugend, ein Plakat für den aktuellen Abstimmungskampf, trägt den Schriftzug »Keine neuen Steuern! - Nein zur linksextremen Initiative«, daneben ein schnauzbärtiger Musterproletarier, der eine Fahne mit Hammer und Sichel hochhält. Alles natürlich in dunkelstem Rot gehalten. Kennt man die »99%-Initiative« der Schweizer Jungsozialist*innen (Jusos) nur von ihren Gegnern, muss man meinen, die Schweizer Jusos verlangten nach einer 100-Prozent-Steuer oder gleich der Abschaffung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln.
Ungleiche Vermögensverteilung
Dabei kommt die Initiative eigentlich relativ harmlos daher. »Ein Prozent der Bevölkerung hierzulande besitzt 43 Prozent der Vermögen. Das kann nicht sein!«, erklärt die Juso-Vorsitzende Ronja Jansen dem »nd«. Kapitaleinkommen seien Treiber dieser Entwicklung. »Deshalb fordern wir, dass Kapitaleinkommen im Vergleich zu Arbeitseinkommen eineinhalbmal so stark besteuert werden.« Die Mehrheit der Menschen arbeite für ihren Lohn und lebe nicht von Kapitaleinkommen. Berücksichtigt man den Freibetrag von 100 000 Franken auf Kapitaleinkommen, wird nur noch eine verschwindend kleine Gruppe von der Initiative betroffen sein, für die die Jusos 100 000 gültige Unterschriften sammelten. Und dieser Widerspruch, in Kombination mit dem altbekannten Occupy-Slogan von den 99 Prozent, soll die Initiative zum Erfolg führen. Abgestimmt beim Volksentscheid wird am 26. September.
Doch schon jetzt werfen die bürgerlichen Parteien einiges in die Waagschale. Fünf Komitees wurden gegründet, um die Vorlage zu bekämpfen. Dabei wird viel mit der ganz großen Kelle ausgeteilt. Die Rede ist von der »Rettung des Werkplatzes Schweiz«, als würde eine andere Steuerpolitik sofort zum Wegzug unzähliger Unternehmen führen. Es ist eine alte Strategie des Schweizer Bürgertums, Initiativen zu bekämpfen, indem ihnen das Label »extremistisch« angeheftet wird. Aus den Argumenten der Komitees spricht aber auch eine ganz typisch schweizerische Angst vor den eigenen Reichen - beziehungsweise eine panische Angst davor, was diese machen, wenn man nicht das politische System nach ihnen ausrichtet. Denn dann nämlich, so befürchten die Bürgerlichen in der Schweiz, verließen die Reichen das Land umgehend, wodurch dieses ebenso rasch dem Ruin anheimfallen würde.
Und wie antwortet die politische Linke im Land? Sie betont, dass ihre Forderung eigentlich extrem gemäßigt sei. So hieß es vom Vizevorsitzenden der Schweizer Sozialdemokraten Cedric Wermuth auf Facebook, dass die »99%-Initiative« keinen Klassenkampf zu entfachen versuche, im Gegenteil: »Sie versucht einen zu beenden.« Gemeint ist der Klassenkampf des Kapitals. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Juso-Präsidentin Jansen, wenn sie anführt, dass es rational sei, die Kapitaleinkommen stärker zu besteuern, vor allem in Zeiten, wo durch die Pandemiesituation auch Staatsbudgets leiden: »Bei einer Annahme der Initiative rechnen wir mit zehn Milliarden Franken Mehreinnahmen für den Staat.«
Ob die Strategie aufgeht, kann bezweifelt werden. Zu seiner eigenen Zeit als Juso-Vorsitzender hatte Wermuth noch angekündigt, mit Juso-Initiativen die Hegemonie der Rechten zu brechen. Davon ist bei der »99%-Initiative« nicht viel zu spüren.
Umso mehr scheinen die Bürgerlichen hingegen Ängste schüren zu wollen. Wenig überraschend geht es für sie und ihre Klientel schließlich um viel Geld. Die Strategie der Panikmache vor der Willkür der eigenen Reichen könnte aufgehen: In aktuellen Umfragen haben die Befürworter der Initiative einen einzigen Prozentpunkt Vorsprung gegenüber den Gegnern. In aller Regel starten linke Volksinitiativen in der Schweiz mit guten Werten, um dann an Boden zu verlieren und letztlich an der Urne versenkt zu werden - für die »99%-Initiative« wird es also wohl ganz schön knapp.
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