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Auffrischender Gegenwind am Flughafen Leipzig
Bei einem Klimacamp in Sachsen zum Thema Mobilität üben junge Umweltschützer und bürgerliche Protestinitiativen den Schulterschluss
Bei Christian Kuhtz beginnt die Mobilitätswende mit grundlegenden Fertigkeiten: Wie bringt man die Rücktrittnabe eines rostigen Fahrrads wieder in Schuss? Der Mann mit der abgewetzten Latzhose ist Autor der legendären Heftreihe »Einfälle statt Abfälle« und Pionier der ökologisch motivierten Do-it-yourself-Bewegung der alten Bundesrepublik. An diesem Tag steht er vor einem Schraubstock in einem Zelt, auf das der Regen tröpfelt, und bastelt mit einem halben Dutzend junger Menschen an einem alten Rad und einer verbeulten Schubkarre herum. Im Laufe der Woche soll daraus ein Lastenrad entstehen.
Es ist ein Verkehrsmittel, das im Bundestagswahlkampf gerade das Sinnbild der Verkehrswende wurde. Die Grünen wollen die Anschaffung solcher Räder künftig fördern; Konservative sind empört. Kuhtz findet die Idee gut. »Motorisierte Mobilität stößt einen erheblichen Teil der Treibhausgase aus, die das Klima ruinieren«, sagt er. Es gehe darum, den »autofreien Aktionsradius der Menschen zu vergrößern«. Lastenräder sind dafür ein gutes Mittel. Jedoch richteten sich die Pläne der Grünen an »Wohlhabende, die einige Tausend Euro ausgeben und ein paar Hundert vom Staat dazu bekommen«, sagt er. Dabei gehe es auch »mit allereinfachsten Mitteln«: ein altes Rad, eine alte Schubkarre.
Zwei Stunden dauert der Workshop mit Kuhtz. Er ist Teil des »Klimacamps Leipziger Land« und nur ein Baustein in einem äußerst umfangreichen Programm voller Vorträge, Podien und Debatten. In dem Camp haben sich Aktivisten aus ganz Deutschland für acht Tage am Ufer des Störmthaler Sees im Süden von Leipzig getroffen, um sich über Ökologie, eine gerechtere Welt und gesellschaftliche Utopien auszutauschen. Derlei Camps gibt es in Deutschland seit gut zehn Jahren; die ersten fanden im Lausitzer und im rheinischen Kohlerevier statt. Im Leipziger Land wurde erstmals vor vier Jahren in das Dorf Pödelwitz geladen, das dem Braunkohlentagebau zum Opfer zu fallen drohte. Die Camps waren ein Erfolg: Je 1000 Menschen kamen 2018 und 2019, um sich für eine Zukunft ohne fossile Energieträger einzusetzen. Pödelwitz ist inzwischen gerettet. Der bis 2038 geplante Ausstieg aus der Kohle sorgt dafür, dass es von den Baggern verschont bleibt.
Noch aber läuft das Kraftwerk Lippendorf, für dessen Betrieb Pödelwitz hätte verschwinden sollen. Auch das Klimacamp 2021 findet vor seiner Kulisse statt. Die von hohen Dampfsäulen überragten Kühltürme stehen jenseits des Sees am Horizont. Dabei ist der »Gegner«, den sich die Organisatoren des Camps nach der Rettung von Pödelwitz gesucht haben, ein ganz anderer: der Flughafen Leipzig-Halle, der aber fast 40 Kilometer nördlich am anderen Ende von Leipzig liegt. Er hat fatale Auswirkungen auf die Nachtruhe der Anwohner. »Jeden Abend 22:35 Uhr wird der Himmel aufgeschlossen«, sagt Peter Richter von einer Bürgerinitiative, die sich seit 2004 für ein Nachtflugverbot einsetzt. Damals wurde der Flughafen mit der Ansiedlung des Logistikriesen DHL zum internationalen Frachtdrehkreuz ausgebaut. »Nun dröhnen Nacht für Nacht 65 bis 70 Flugzeuge über unsere Betten«, sagt Richter. Ein geplanter Ausbau, für den derzeit das Planfeststellungsverfahren läuft, hätte zur Folge, dass es künftig noch viel mehr werden.
Mobiles Solarkraftwerk und Trockenklos
Die Bewohner des Camps werden vom Fluglärm nichts mitbekommen; ihre Zelte stehen weit außerhalb der Einflugschneisen. »Wir wären gern näher am Flughafen gewesen«, sagt Maja Schmidt vom Organisationsteam, »aber dort war für uns keine Fläche zu bekommen.« Vielleicht ändert sich das in den nächsten Jahren. Diesmal wurde das Camp auf einer Pferdekoppel an dem See errichtet, der einst ein Tagebau war. Es gibt ein Zirkuszelt für die großen Podien und Sanitätszelte für die Workshops; außerdem ein mobiles Solarkraftwerk, eine Küche und ein zur Kaffeebar umgebautes Feuerwehrauto sowie lange Reihen von Duschen und Trockenklos, die aus Holzpaletten und Plastikfässern gezimmert wurden und von den Freiwilligen der »Shitcrew« alle paar Stunden geputzt werden. Es ist nur eine von vielen Tätigkeiten im Camp, die ehrenamtlich, oft auf Zuruf und meist mit Eifer erledigt werden. Sollte es der einen oder dem anderen Engagierten indes doch mal zu viel werden, hilft ein »Awareness-Team« dabei, Stress abzuschütteln.
Mehr »Awareness«, also Aufmerksamkeit, bräuchte auch das Thema Mobilität, das dem Planeten enormen Stress bereitet und dem das diesjährige Klimacamp gewidmet ist. Allein das Fliegen sei weltweit für sechs Prozent der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich, sagt Lena Tucnak. Sie engagiert sich im vor drei Jahren gegründeten Netzwerk »Am Boden bleiben«, das Teil einer weltweiten Bewegung ist und sich zum Ziel gesetzt hat, den Flugverkehr drastisch zu reduzieren. Man akzeptiere zwar Hilfsflüge in Krisen wie jetzt in Afghanistan, will aber die zahllosen »Bullshitflüge« weniger Wohlhabender streichen. »Ein Prozent der Weltbevölkerung ist mit ihrer Vielfliegerei für 50 Prozent der Emissionen im Luftverkehr verantwortlich«, sagt Tucnak; dagegen hätten 80 Prozent der Menschen weltweit noch nie in einem Flugzeug gesessen: »Das ist die ungerechteste Art der Fortbewegung.«
Diese Art, sich dem Thema Mobilität aus vielen Perspektiven zu nähern, ist prägend für die Debatten im Camp. Beim Fliegen etwa geht es nicht nur um Emissionen oder um Fluglärm, sondern auch um viele andere soziale und gesellschaftspolitische Facetten des Flugverkehrs und des Flughafens Leipzig. Dieser sei beispielsweise eine zentrale Drehscheibe für Abschiebeflüge, sagt Schmidt; regelmäßig werden von dort Menschen gegen ihren Willen in Herkunftsländer befördert, aus denen sie vor den Folgen der Klimakrise geflüchtet sind - oder denen eines Wirtschaftssystems, das auf ausbeuterische Verhältnisse setzt und in Ländern des Südens zu niedrigen Löhnen billige Waren produzieren lässt. Die wiederum werden dann per Flugzeug nach Europa befördert und an Frachtknoten wie in Leipzig umgeschlagen. Er ist damit auch Sinnbild des globalisierten kapitalistischen Wirtschaftssystems, dem die meisten Campteilnehmer ablehnend gegenüberstehen. Es gebe, sagt Schmidt, viele Aspekte, die sich am Flughafen wie in einem Brennglas bündeln und der kritischen Befassung durch die neue Klimagerechtigkeitsbewegung harren.
Die ist in den vergangenen Jahren nicht zuletzt im Zuge der »Fridays for Future«-Bewegung immer stärker geworden, hat sich aber, wie Aktivistinnen im Klimacamp einräumen, mit dem Thema Flugverkehr bisher nur am Rande befasst. Mit den Forderungen nach einer radikalen Verkehrswende wurde zunächst vor allem die Automobilindustrie konfrontiert. Nicht zu Unrecht: In Deutschland ist der Straßenverkehr für 95 Prozent der verkehrsbedingten Emissionen verantwortlich. Die auf PS-starke Spritschleudern orientierten deutschen Hersteller tragen dazu maßgeblich bei. Es ist eine Branche, die in wenigen Tagen bei der Internationalen Automobilausstellung in München wieder eine »skandalöse Party« feiern und »protzige E-Autos als dreckige Klimalüge« anpreisen werde, sagt Lola Löwenzahn von der Initiative »Sand im Getriebe«, die wie schon bei der vergangenen Messe in Frankfurt am Main mit Blockaden und Störaktionen droht.
Ähnliche Proteste, die nicht selten »im Graubereich des Legalen« angesiedelt seien, gab es zuletzt auch vermehrt gegen den Ausbau der Infrastruktur für den Autoverkehr, so den Bau der Autobahn 49 im Dannenröder Forst in Hessen. Dort besetze Bäume seien zwar geräumt worden, sagt Clara Thompson von der Initiative »Wald statt Asphalt«; die Proteste hätten aber zu »Vernetzung, Kreativität und erstarktem Widerstand« geführt.
Die Auseinandersetzung mit den schädlichen Aspekten des Flugverkehrs steht dagegen in der Szene noch am Anfang, bestätigt Dominique Just von der Umweltorganisation Robin Wood. Zwar ging die Ökobewegung auch in früheren Jahrzehnten bereits auf Konfrontationskurs mit der Fliegerei; legendär sind etwa die Proteste gegen den Bau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen, der viel Wald zum Opfer fiel. In jüngerer Zeit sei das Thema aber aus dem Blick geraten und werde jetzt erst langsam wiederentdeckt, sagt Just. Robin Wood etwa beschäftigt seit kurzem sogar einen Referenten, der sich ausschließlich mit Flugverkehr und dessen Auswirkungen befasst. Das Klimacamp 2021 im Leipziger Land, so hofft Just, könnte entsprechende Impulse auch in die breitere Szene geben: »Es ist wichtig, nicht nur gegen Straßen zu protestieren, sondern auch eine Brücke zu Flughäfen zu schlagen.«
In Leipzig wäre das auch eine Brücke zu Protestbewegungen, die teils schon sehr lange bestehen, sich aus anderen Milieus rekrutieren als das Camp und bisher andere Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele gewählt haben. Die Rede ist von »bürgerlichen« Initiativen wie der IG Nachtflugverbot, deren Mitglieder in Reihenhaussiedlungen im Speckgürtel Leipzigs wohnen und die seit fast 20 Jahren versuchen, mit »konventionellen« Mitteln die Auswirkungen des Flugverkehrs zu mildern: Demonstrationen, Gerichtsverfahren, Petitionen. Erst kürzlich wieder wurden Zigtausende Unterschriften gegen die Pläne zum Flughafenausbau gesammelt, die zur Folge hätten, dass die Zahl der nächtlichen Starts und Landungen von jetzt 38 600 auf fast 58 000 im Jahr 2032 steigen würde.
Freude über nächtliche Blockade
Das Problem ist: Diese Art Protest verzeichnet kaum Erfolge. Man sei »seit 2004 im Kampf gegen den Flugwahn unterwegs«, sagt IG-Sprecher Peter Richter, aber »es ist alles ins Leere gelaufen. Wir finden kaum Beachtung.« Zwar installierte die Landesregierung jetzt einen Lärmschutzbeauftragten im Wirtschaftsministerium. Bis zum Beweis des Gegenteils sieht man das bei den Bürgerinitiativen aber als Feigenblattaktion, ebenso wie die Widerspruchsmöglichkeit im Planungsverfahren. Am Ende, fürchtet Richter, »wird DHL doch seinen Willen bekommen«.
Es sei denn, der Widerstand gegen den Flughafen wird auf breitere Basis gestellt und erfährt bundesweite Unterstützung, so wie es beim Protest gegen den Kohleabbau in Pödelwitz durch Bewegungen wie »Ende Gelände« der Fall war. Als kürzlich Aktivisten der Initiative »Cancel LEJ« in einer nächtlichen Aktion zivilen Ungehorsams eine Zufahrt zum Flughafen besetzten, habe bei seinen Mitstreitern zunächst ungläubiges Erstaunen geherrscht, sagt Richter - darüber, dass »die jungen Leute das wirklich auch für uns tun«. Dann aber sei ein Aufatmen spürbar gewesen: darüber, dass der Protest gegen den Flughafen doch noch für Schlagzeilen und Aufmerksamkeit sorgen kann. »Sogar der Ministerpräsident hat sich geäußert«, sagt Richter sarkastisch - wenn auch mit einer scharfen Verurteilung der Aktion.
Nun wollen die älteren und die jüngeren Flughafengegner zueinanderfinden - was in manchen Punkten nicht einfach ist. Wenn es um den Widerstand etwa gegen Abschiebungen geht, gehen die Ansichten teils auseinander, ist zu hören. Das Klimacamp bietet Gelegenheit, den Schulterschluss zu üben: bei »Vernetzungstreffen«, aber auch bei Protesten in der Stadt und womöglich auch am Flughafen, die für Samstag geplant und vielleicht teils wieder im »Graubereich des Legalen« angesiedelt sind. Ob er kein Problem mit derlei Aktionen habe?, wird Richter gefragt. »Das ist wenigstens eine Art von Protest, die gehört wird«, sagt dieser - und fügt an: »Das Liebsein muss mal ein Ende haben.«
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