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SPD und Grüne sind in vielen Umfragen im Aufwind. Ihre letzte gemeinsame Regierungszeit weckt allerdings keine guten Erinnerungen
Aus Ökonomie und Zeitgeist entstand einst die grüne Bewegung. »Wut über die staatstragende Atomclique war treibende Kraft der Proteste in Wyhl, Brokdorf und Wackersdorf«, heißt es am Beginn der offiziellen Chronik der 1980 gegründeten Partei. Knapp zwei Jahrzehnte dauerte es, bis »Müslifresser« und »Latzhosenträger« im Establishment angekommen waren: Auf Bundesebene regierten Bündnis 90/Die Grünen und die »alte Tante« SPD dann gemeinsam von 1998 bis 2005.
Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) stellten die Grünen in zwei Legislaturperioden jeweils drei Bundesminister, darunter den schillernden Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer. »Noch heute«, lobt die Grünen-Chronik, »sind wir skeptisch, wenn Großkonzerne Allianzen mit den Regierenden eingehen.« In der Bankwirtschaft sieht man dies etwas anders.
Während der 90er Jahre hatten sich die engen Bande der »Deutschland AG« gelöst. Shareholder-Value - die Ausrichtung der Industriekonzerne an Aktienkursen sowie an kurzfristigen, hohen Renditezielen - und die Globalisierung der Lieferketten internationalisierten die wiedervereinigte deutsche Wirtschaft. Neue, ausländische Kapitalinteressen, Fonds und angelsächsische Investmentbanken drangen auf den deutschen Kapitalmarkt vor.
Doch gleichzeitig zog es deutsche Konzerne, die seit dem Kriegsende lange Nachholbedarf bei der Internationalisierung hatten, verstärkt über die nationalen, bald auch westeuropäischen Grenzen hinaus. Die manchmal jahrzehntelang gehaltenen Rundum-Kapitalbeteiligungen innerhalb der Deutschland AG galten nun im neuen »finanzmarktgetriebenen Kapitalismus« (Jörg Huffschmid) als zu wenig profitabel.
Die Politik half. Seit der Bundestagswahl 1998 hatten sich SPD und Grüne einer alten linken und liberalen Forderung angenommen und wollten die Deutschland AG entflechten. Diese hatte auch stimmungsmäßig noch die Wirtschaftsära Helmut Kohls (CDU) geprägt. Der fließende, grenzüberschreitende Kapitalmarkt sollte nun die industriellen Oligopole hinwegfegen und die »Macht der Banken« zerschlagen.
Das Alpha-Tier-Duo Schröder/Fischer hatte solche - je nach Standort - Hoffnungen oder Befürchtungen durch die Berufung eines der profiliertesten Bankkritiker, Hans Martin Bury, zum Staatsminister genährt. Bury hatte mit dem Buch »Das Bankenkartell« reüssiert. Er wird später für die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers arbeiten.
Konzeptionelle Streitigkeiten führten nach nur 186 Tagen zum Rücktritt Oskar Lafontaines als Finanzminister und SPD-Vorsitzender und bald zu Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften. Der hegemoniale Block aus Regierung, Parteien, gesellschaftlichen und unternehmensnahen Lobbygruppen entsprach jedoch im Oktober 2000 mit seiner entscheidenden Reform der Unternehmensbesteuerung einer alten Forderung der Finanzbranche selbst. Diese wollte ihre milliardenschweren Beteiligungen aus der Frühphase der westdeutschen Deutschland AG, die nun ja als unprofitabel galten, abwerfen. Steuerfrei. Um ihr Kapital profitabler anzulegen. Und internationaler. Mittlerweile betragen laut Bundesbank die deutschen Direktinvestitionen im Ausland 1371 Milliarden Euro. Damit gehört die Mittelmacht Deutschland weltweit zur Spitze.
Die rot-grünen Träume platzten. Auch wenn neue Akteure auf den immer größer gewordenen Finanzmarkt drängten. Es sind die großen Banken, die heute dem globalen Finanzstabilitätsrat FSB immer noch als »systemrelevant« gelten. Die Steuerreform 2000 scheiterte auch in anderen Punkten. Zwar wurde der Eingangssteuersatz für kleine Einkommen deutlich gesenkt. Eine Analyse des DIW kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Reform die Einkommensungleichheit »netto« verschärfte, weil gleichzeitig die indirekten Verbrauchssteuern erhöht wurden und der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent radikal gesenkt wurde - letzteres gegen den Willen der SPD und auf Initiative der Grünen.
Neben der Befreiung der Banken von ihrem Beteiligungsballast und Steuersenkungen für Unternehmen sticht im Rückblick die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung 2000/2001 hervor. Durch eine Teilprivatisierung (»Riester-Rente«) sollte die gesetzliche Rente »zukunftsfest« gemacht werden. Seither sank die Rente des statistischen »Eckrentners« von 70 auf heute etwa 45 Prozent. Auch die Hartz-IV-Reformen des Arbeitslosengeldes (»Fördern und Fordern«) sollten nach den Vorstellungen der Regierenden die Wirtschaft ankurbeln.
SPD und Grüne setzten auf den Markt und hofften auf einen Top-Down-Effekt: Entlastungen »oben« sollten »unten« neue Arbeitsplätze schaffen und höhere Löhne. Konjunktur und veränderte weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen liefen in eine andere Richtung. Die Arbeitslosenquote stieg bis zum Ende der rot-grünen Ära auf fast 12 Prozent. Erst nach der Finanzkrise folgte ein langer konjunktureller Aufschwung und die Arbeitslosenquote sank auf 5 Prozent. Dann nahm die Corona-Pandemie die Ökonomie und unseren Zeitgeist gefangen.
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