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Ein Kind kostet 60 Schilling
Viele Schwarze Besatzungskinder in Österreich wurden in der Nachkriegszeit von den Jugendämtern zur Adoption ins Ausland freigegeben
Die Überraschung bei den Mitarbeitern des Jugendamts der Stadt Salzburg muss groß gewesen sein, als sie vor einigen Jahren eine E-Mail einer US-amerikanischen Anwältin erhielten. Deren Mandant, Martin Schneider*, wurde 1956 als uneheliches Kind einer Wienerin und eines Schwarzen US-Besatzungssoldaten in Salzburg geboren.
Den Großteil seiner frühen Kindheit verbrachte Martin in einem staatlichen Kinderheim im Salzburger Stadtteil Taxham. Im Alter von sechs Jahren gab ihn die Jugendfürsorge einem afroamerikanischen Ehepaar zur Adoption frei, weshalb er in den USA aufwuchs. Dort wurde Martin viele Jahre später wegen eines Eigentumsdelikts zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Da er nie in den USA eingebürgert wurde, drohte ihm nach Abbüßung seiner Strafe die Abschiebung in sein Geburtsland Österreich.
Gegen ihren Willen
Aus diesem Grund hoffte die US-Anwältin, in den Akten des Jugendamts der Stadt Salzburg Hinweise zu finden, wer Martins leiblicher Vater war. Denn wenn sich der Name des amerikanischen Soldaten nachweisen ließe, der Martin gezeugt hatte, dann hätte dieser ein Anrecht auf die US-Staatsbürgerschaft und könne nicht abgeschoben werden, so ihre Argumentation. Doch die Akte verriet nur, dass Martins Vater ein amerikanischer »Neger-Soldat« gewesen sei, dessen Name die Mutter nicht nennen konnte - oder wollte. Die Strategie der Anwältin löste sich in Luft auf.
Martins Schicksal und das vieler anderer dunkelhäutiger Besatzungskinder hat der Wiener Historiker Philipp Rohrbach in jahrelanger Arbeit erforscht. »Martin ist eines von etwa 400 Schwarzen US-Besatzungskindern, die zwischen 1945 und 1956 in Österreich in einer post-nationalsozialistischen Gesellschaft geboren wurden. Diese definierte sich selbst als weiß und sprach diesen Kindern aufgrund ihrer Hautfarbe die Zugehörigkeit zu ihrem Geburtsland ab«, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter des Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien in Wien (VWI), der gemeinsam mit der Historikerin Ingrid Bauer von der Universität Salzburg zu den Lebensläufen von Besatzungskindern forscht.
Wenig bekannt war bisher, dass viele dunkelhäutige Besatzungskinder - wohl initiiert und organisiert von österreichischen Jugendämtern - in die USA geflogen und dort adoptiert wurden - zum Teil gegen den Willen der Mütter, die unter großem finanziellen und gesellschaftlichen Druck standen. »Diese Frauen hatten mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. In einer Art Generalverdacht wurde ihnen ein fragwürdiger Lebenswandel unterstellt, Unterstützung erhielten sie kaum«, sagt Bauer. Die Kinder dieser Frauen waren Schwarz in einem ansonsten weißen Land - noch dazu mit streng katholischer Tradition. Der gesellschaftliche Druck auf die Mütter und ihre soziale Ächtung waren riesig. Doch auch die Väter hatten ihren Rucksack zu tragen, denn sie kamen aus einem Land mit strenger Rassentrennung, wo Rassismus an der Tagesordnung und zum Teil staatlich verordnet war, auch in der Armee.
Manchmal wollten die so unterschiedlichen Eltern von Besatzungskindern zusammenbleiben, sagt der Historiker Rohrbach, aber von allen Seiten habe es erbitterten Widerstand gegeben. Die US-Armee hatte kein Interesse daran, ihre Soldaten im Besatzungsland heiraten zu lassen und versetzte werdende Väter in ihren Reihen quasi zur Strafe ans andere Ende der Welt, zum Beispiel nach Korea. Auch die Familien der Paare hatten oft enorme Bedenken aufgrund der jeweils anderen Hautfarbe. In der Nachkriegsgesellschaft wirkte auch die rassistische und menschenverachtende Indoktrination im Nationalsozialismus noch stark nach, weshalb Mütter mit Schwarzen Besatzungskindern oft als »Negerhuren« und ihre Kinder als »schwarze Schmach« beschimpft wurden - in nicht wenigen Fällen sogar vom engsten Familienkreis.
Unter diesen Vorzeichen gaben viele verzweifelte Mütter ihre Kinder zur Adoption frei. Schwarze Eltern aus den USA sollen etwa 7000 dunkelhäutige Besatzungskinder von deutschen oder österreichischen Müttern adoptiert haben. Diese Kinder alliierter Soldaten wurden meist alleine auf die weite Reise über den Atlantik geschickt. Den Heim- und Pflegekindern unter ihnen - viele davon im Kleinkindalter - erzählten die Jugendbehörden vor ihrem Abflug offenbar, dass sie nun zu ihren Müttern gebracht würden. »Viele sagten, ihre Mutti würde sie abholen. Als sie ihren Irrtum bemerkten, waren sie oft verzweifelt. Manchmal musste ich schreiende Kinder übergeben«, sagt Trudy Jeremias. Die gebürtige Wienerin flüchtete mit 13 Jahren vor den Nazis in die USA und hatte später als Flugbegleiterin die Aufgabe, unbegleitete Kinder beim Flug über den Atlantik zu betreuen. Diese Kinder waren nach ihrer Ankunft in ihrer neuen Heimat und oft für den Rest ihres Lebens erneut Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt, denn die Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen der USA sollte erst 1964 aufgehoben werden, wobei die gesellschaftlichen Folgen der jahrhundertelangen Segregation bis in die heutige Zeit nachwirken.
Viele alleinerziehende Mütter waren nach damaliger Gesetzeslage damit konfrontiert, dass ihre unehelichen Kinder bis zur Volljährigkeit Mündel der Jugendämter blieben. »Meine Mutter ist nach meiner Geburt ziemlich drangsaliert worden, mich zur Adoption freizugeben. Immer wieder sind sie gekommen und haben gesagt, das wäre doch viel gescheiter, das ist sowieso ein Wahnsinn, da aufzuwachsen«, sagt Peter N., der als Kind eines Schwarzen US-Soldaten und einer 21-jährigen Österreicherin 1954 in Linz zur Welt kam. Peters Mutter hielt dem Druck stand und er konnte behütet in Österreich aufwachsen.
Für das aggressive Vorgehen gegenüber Müttern dunkelhäutiger Besatzungskinder dürften die damaligen Fürsorgebehörden nicht nur rassistische Motive, sondern auch finanzielle gehabt haben. »Da die Väter Teil der US-Besatzungsmacht waren, konnten sie vor österreichischen Gerichten nicht zur Vaterschaftszahlung herangezogen werden. Konnte eine Mutter für ihr Kind nicht aufkommen, mussten die Länder einspringen, was für sie eine Belastung des Sozialbudgets bedeutete«, sagt der Historiker Philipp Rohrbach.
300 Besatzungskinder adoptiert
Während die Bundesländer Oberösterreich und Wien wegen der niedrigen Geburtenrate gegen Ende der Besatzungszeit verboten hatten, dass österreichische Kinder im Ausland zur Adoption gelangten, setzte das Land Salzburg dies fort. Der Artikel »Ein Kind kostet nur 60 Schilling Stempelgebühren« in der Zeitung »Bild-Telegraf« berichtete im September 1955, dass das Jugendamt der Stadt Salzburg insgesamt rund 300 Besatzungskinder - sowohl weiße als auch Schwarze - im Ausland zur Adoption brachte. »Das radikale Loswerden vor allem von Schwarzen Kindern alliierter Soldaten kann - neben dem weitverbreiteten Rassismus in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft - auch als Versuch verstanden werden, das sichtbarste Erbe der Besatzungszeit zu tilgen«, sagt Rohrbach.
Davon betroffen war auch der eingangs erwähnte Martin Schneider. Er durfte am Ende doch nicht von den USA in sein Geburtsland Österreich abgeschoben werden, da er im Vietnamkrieg in der US-Armee gedient hatte.
*Name von der Redaktion geändert
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