- Berlin
- Syndikalistischer Frauenbund
Berlins frühe Anarchistinnen
Eine Initiative erinnert an die Aktivistinnen des syndikalistischen Frauenbundes
»Weg mit dem Abtreibungsparagraf und her mit dem Recht auf den eigenen Körper!« So lautet eine auf einer öffentlichen Versammlung des syndikalistischen Frauenbundes (SFB) erhobene Forderung, die ein Vertreter der Gustav Landauer Initiative am Samstag in der Schönhauser Allee 10 verliest. Dort, wo diese Rede im Jahr 1923 im ehemaligen Saal der Königstädtischen Brauerei gehalten wurde und heute ein Neubau steht, macht er mit den Teilnehmer*innen einer geführten Fahrradtour Station. Um die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen wird noch heute wie damals gekämpft. Und die syndikalistische Bewegung habe bei den frühen Kämpfen gegen das Verbot von Abtreibungen eine wichtige Rolle gespielt, sagt der Stadtführer.
Lückenschluss im Geschichtswissen
Im Rahmen der »Wandelwoche« veranstaltete die Gustav Landauer Initiative am Samstag eine Fahrradtour mit dem Thema »100 Jahre syndikalistischer Frauenbund«. Die Initiative gründete sich 2015 mit dem Ziel, das Wirken des anarchistischen Kulturpolitikers und Publizisten Gustav Landauer bekannter zu machen. Danach habe es viele Nachfragen dazu gegeben, wo sich Anarchist*innen in Berlin getroffen hätten und auch, welche Informationen es zu den Frauen der Bewegung gebe, berichtet der Vertreter der Initiative. Daraus sei die Idee zu der Fahrradtour entstanden, die eine Wissenslücke zur anarchistischen Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Berlin schließen will.
Der syndikalistische Frauenbund setzte sich als Teil der Freien Arbeiter Union Deutschland (FAUD) in ganz Deutschland für die Rechte von Frauen und vor allem der Hausfrauen ein. Der Bund ging davon aus, dass eine freiheitliche und sozialistische Gesellschaft nur möglich sei, wenn Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau herrsche und auch Hausfrauen in den Kampf miteinbezogen würden. In den 1920er Jahren organisierte der Verbund deutschlandweit politische Veranstaltungen. Gleichzeitig schaffte der SFB ein Netzwerk der gegenseitigen Hilfeleistung und Unterstützung für Hausfrauen und veranstaltete Ausflüge.
Die Fahrradtour beginnt am Rosa-Luxemburg-Platz. Ganz in der Nähe, in der Kaiser-Wilhelm-Straße, fand im März 1920 die Frauenversammlung statt, aus der heraus sich der SFB in Berlin gründete. Initiiert wurde die Versammlung vermutlich von Milly Witkop-Rocker, der Frau des Anarchisten Rudolf Rocker, die gemeinsam mit Hertha Barwich die Struktur des Bundes in Berlin aufbaute. Es gebe jedoch nicht viele Schriftstücke über die Frauen und den SFB, berichtet der Sprecher der Gustav Landauer Initiative. »Geschichte wird eben oft von den Siegern geschrieben. Und von Männern«, erklärt er dazu. Mehrere Jahre recherchierte der Stadtführer zu den Frauen der frühen Arbeiterinnenbewegung aus dem anarchosyndikalistischen Kontext. Diese Strömung des Anarchismus setzte ihren Fokus vor allem auf die gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiter*innen. Über das »Durchforsten« der »Mitteilungen der Arbeitsbörse Berlin« gelangte die Initiative an Informationen über das Wirken des Frauenbundes in Berlin.
Vom Rosa-Luxemburg-Platz geht die Tour über den Prenzlauer Berg bis nach Kreuzberg. Dabei werden ehemalige Versammlungssäle passiert, Treffpunkte der anarchistischen und alternativen Bewegung im Berlin der 1920er Jahre. In einer ehemaligen Schule in der Weinmeisterstraße organisierte der syndikalistische Frauenbund Veranstaltungen zur inhaltlichen Weiterbildung, Kurse zur Gesundheitsversorgung für Frauen und auch kulturelle Veranstaltungen. Zu seiner »Hochzeit« im Jahr 1921 waren bis zu 330 Frauen in Berlin im SFB aktiv, deutschlandweit waren es knapp 1000. Die Spuren des Frauenbundes verlieren sich zu Beginn der 1930er Jahre, als sich auch die FAUD auflöste.
Ein Stück Stadt- und Ideengeschichte
Den syndikalistischen Frauenbund als Struktur gibt es heute seit fast 90 Jahren nicht mehr und viele der damaligen feministischen Ansichten sind heute mit Sicherheit überholt. Doch durch den Frauenbund wurde ein Stück Berliner Stadt- und Ideengeschichte geschrieben, deren Bekanntmachung sich die Gustav Landauer Initiative weiter widmen möchte. Und für die Initiative gibt es Einiges, was man heute noch aus den damaligen Kämpfen mitnehmen kann. »Vor allem die Tradition der gegenseitigen Hilfeleistung durch Kinderbetreuung und Tauschbörsen ist heute noch relevant. Ebenso wie die verstärkte Wahrnehmung von Haus- und Carearbeit als Arbeit«, sagt eine Vertreterin der Initiative, die ebenfalls an dem Rechercheprojekt beteiligt ist.
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