Tarifbruch auf hoher See

Gewerkschaften kontrollieren bei der diesjährigen »Maritimen Woche« wieder Schiffe in deutschen Häfen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser - davon sind die Organisatoren der »Maritimen Woche 2021« überzeugt. Unter dem Motto »Fair Transport« reisen Vertreter der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) und der Gewerkschaft Verdi bis Freitag in mehrere deutsche Seehäfen. Die Inspektorinnen und Inspektoren werden Schiffe und Seemannsmissionen in Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Wilhelmshaven und Rostock besuchen. »Wir wollen mit möglichst vielen Seeleuten in Kontakt treten und uns aus erster Hand über die Arbeitsbedingungen an Bord informieren«, kündigte Verdi-Bundesfachgruppenleiterin Maya Schwiegershausen-Güth am Montag in Berlin an.

Seit Jahrzehnten organisiert die ITF immer im Spätsommer ihre maritime Aktionswoche. Dabei werden alljährlich allein in deutschen Häfen Dutzende Verstöße auf Schiffen gegen die gültigen ITF-Tarifverträge festgestellt. In solchen Fällen werden Frachter auch schon mal mit Hilfe der Hafenarbeiter so lange blockiert, bis säumige Reeder beispielsweise die fällige Heuer an ihre Matrosen nachzahlen. In einem Fall durfte ein Auszubildender, der bereits länger als zwölf Monate ohne Urlaub an Bord lebte, mit Hilfe der Inspektoren endlich die Heimreise antreten. Mit manchen Reedern, die sich künftig Ärger lieber ersparen wollen, schließt ITF dann auch neue Tarifverträge für einzelne Schiffe ab.

Aktuell stehen die Corona-Folgen im Mittelpunkt. »In dieser Woche werden wir Informationen darüber sammeln, wie sich dies auf das Leben der Seeleute und ihrer Familien ausgewirkt hat, ob sie Zugang zu Impfungen hatten«, sagt Susana Ventura, die die ITF-Kampagne in Deutschland leitet. Für die 1,6 Millionen Seeleute, die Waren zwischen den Häfen der Welt transportieren, habe die Pandemie eine noch nie da gewesene Mobilitäts- und Gesundheitskrise verursacht.

Nach Angaben der UN-Schifffahrtsorganisation IMO saßen im September 2020 rund 400 000 Seeleute fest und konnten wegen pandemiebedingter Reisebeschränkungen nach Ende ihres Kontraktes nicht in die Heimat zurückkehren. Ähnlich viele Seeleute warteten auf Aufnahme auf ihren Schiffen. »Und die Krise beim Besatzungswechsel ist noch lange nicht vorbei«, mahnt Ventura.

Die Zahl der festgesetzten Seeleute wird immer noch auf ungefähr 200 000 geschätzt, da viele Länder nach wie vor Einreisen verweigern. Es gibt sogar Länder, die medizinische Notfallhilfe verweigern. »Wir haben auch von Besatzungswechseln auf See in internationalen Gewässern gehört, die manchmal die Sicherheit der Seeleute gefährden und zu Verletzungen oder Tod führen«, erläutert Ventura.

Während die Schifffahrts- und Logistikbranche von einem extremen Nachfrageboom im Welthandel profitiert, fehlt es an internationaler Harmonisierung der sogenannten Verbringungsvorschriften für Seeleute. Auch mangelt es an Impfstoffen im globalen Süden. Die Mehrheit der Schiffer kommt aus südostasiatischen Ländern.

In Rostock, Hamburg und anderen deutschen Hafenstädten werden Matrosen und Offiziere seit Juli mit dem Einmalimpfstoff von Johnson&Johnson immunisiert. Regional gibt es ein weiteres großes Thema für die »Maritime Woche«: Schlepper. In den Zufahrten der Häfen tobt ein rauer Wettbewerb, seit das Bundeskartellamt die früheren »Arbeitskreise« der Schlepperreedereien als wettbewerbswidrig eingestuft hat. Dies geschehe auf Kosten der Belegschaften, kritisiert Verdi. Nationale Tarifstandards würden durch Ausflaggung von Schiffen umschifft und Besatzungen zu niedrigeren Tarifen angeheuert. Ventura: »Das kritisieren wir aufs Schärfste.« Bei der »Maritimen Woche« werden daher auch Betriebsratsmitglieder der großen in Deutschland operierenden Schlepperreedereien Boluda Towage aus Rotterdam und Bugsier/Fairplay aus Hamburg an Bord von Schleppern gehen.

Arbeitsbedingungen waren auch ein Thema in der »Wahlarena«, in welcher der Reederverband VDR ebenfalls am Montag mit den schifffahrtspolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen online diskutierte. Einig war man sich darin, dass die vergleichsweise emissionsarme Schifffahrt ihren Klima-Fußabdruck weiter reduzieren kann. Dazu bedürfe es staatlicher Hilfen in der EU.

Jörg Cezanne (Linke) plädierte zudem für eine neue Schiffsbesetzungsverordnung. Seit 2015 sind anstatt vier nur noch zwei (teure) deutsche beziehungsweise europäische Seeleute vorgeschrieben. Was eine Reduzierung von maritimem Know-how zur Folge hatte. Wissen, das in Häfen und Verwaltungen dringend benötigt werde. Hier sieht Cezanne, wie auch Verdi, dringenden Korrekturbedarf, den die neue Bundesregierung bis zur »Maritimen Woche 2022« erledigt haben sollte.

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